4.11.14

Im Labyrinth des Schweigens

BRD 2014 Regie: Giulio Ricciarelli mit Alexander Fehling, André Szymanski, Friederike Becht, Johannes Krisch, Gert Voss 123 Min. FSK: ab 12

Kein schöner Land zu dieser Zeit ... Die Menschen im Wirtschaftswunder-Deutschland, das kaum noch Nachkriegs-Deutschland ist, scheinen die biedere Seligkeit ihres kleinen Glücks zu glauben. Dass Ende der 1950er-Jahre so gut wie niemand unter ihnen ist, dem der Name Auschwitz etwas sagt, ist für den Journalisten Thomas Gnielka (André Szymanski) unfassbar. Denn „die Mörder sind unter uns", in diesem Falle die Henker und Sadisten des Vernichtungslagers Auschwitz.

„Im Labyrinth des Schweigens" ist die Geschichte des jungen Staatsanwalts Johann Radmann (Alexander Fehling), dessen enormes Gerechtigkeitsgefühl bei den Verkehrsdelikten unterfordert ist, und der sich, nachdem er eine Ahnung vom Grauen und Verbrechen in den Konzentrationslagern bekommt, besessen an die Verfolgung der Täter macht. Es beginnt mit einem ehemaligen Mitglied der Waffen-SS, der nach Kriegsende unbehelligt in Frankfurt als Lehrer lebt. Dass er, der an der berüchtigten „Todesrampe" Kranke und schwache Menschen direkt in die Gaskammern „aussortierte", nun ausgerechnet Abstammungslehre unterrichtet, gehört zu den Informationen, die der Film sehr dick und deutlich auftischt. Es ist aber halt aus heutiger Sicht unfassbar, dass eine Bibliothekarin bei der Frage nach Auschwitz auf Reiseführer nach Polen verweist.

Radmann, ein Detektiv alter (Film-) Schule, stößt auf eine massive Mauer des Schweigens in der eigenen Frankfurter Staatsanwaltschaft, bei der Polizei und dem Bundeskriminalamt. Das wusste beispielsweise schon immer, wo sich der Folter-Arzt Mengele aufhielt und dass er regelmäßig wieder nach Deutschland kam. Doch ein Befehl von „oben", also von Kanzler Adenauer, verhindert weiterhin die Festnahme. Unterstützt nur durch den Generalstaatsanwalt Bauer (der großartige Gert Voss in seiner letzten Rolle) recherchiert Radmann mit den damaligen Mitteln in hunderten Telefonbüchern nach dem Verbleib tausender Tätern, die gründliche deutsche Buchführung in den Lagerakten auflistete.

Dabei wird „Im Labyrinth des Schweigens" nicht nur immer spannender, sondern auch durch die furchtbaren Berichte der Opfer, die Radmann als Zeugen zur Aussage bewegt, zu einem erschreckenden und starken Historienfilm. Wie geschickt Regisseur Giulio Ricciarelli in der Verfilmung realer Ereignisse und Menschen geschickt fast nur mit den Reaktionen von Radmann und seiner Sekretärin (Hansi Jochmann), auskommt, zeigt ebenfalls die Größe des Films. Während sich sein Protagonist dabei fast im selbstgerechten Hass auf alle Deutschen verliert, wird die Argumentation immer dichter, ist die deutliche Setzung der Positionen vom Anfang längst vergessen. Alexander Fehling („Goethe!", „Wer wenn nicht wir") trumpft ganz groß im Stile eines Robert Redford auf: Der schicke Anzug, der später Risse bekommt, der entschlossene Blick, der Mengele und Co bis an Ende der Welt verfolgen würde. Und dabei die Menschen um sich herum aus den Augen verliert. Der süßen Freundin Marlene (Friederike Becht) die Vergangenheit des Soldaten-Vaters vorwirft, für den jüdischen Freund Simon (Johannes Krisch) nicht das Kaddisch in Auschwitz, am Todesort von dessen Zwillingstöchtern, sprechen will. Dass wir diesen großartigen Film heute verstehen können, dass wir wenigstens ahnen, welche Verbrechen in der Nazi-Zeit von ganz normalen Deutschen begangen wurden, verdanken wir in einem wunderbaren Zirkelschluss dem, was im Film gezeigt wird. Man muss ihn sehen und erleben - nicht nur, damit Auschwitz nicht irgendwann mal wieder unter „Polen-Touristik" einsortiert wird.