Österreich, Frankreich, Luxemburg, Deutschland 2022, Regie: Marie Kreutzer, mit Vicky Krieps, Florian Teichtmeister, Manuel Rubey, 114 Min., FSK: ab 12
Elisabeth von Österreich-Ungarn (1837-1898) erfreut sich als mediale Figur weiterhin großer Beliebtheit, was sicher mit der parallelen Welle von Filmen um Prinzessin Diana zu tun hat. Während man die kitschige Sissi-Trilogie der 50er Jahre mit Romy Schneider und Karlheinz Böhm lange als Relikt der Vergangenheit belächelte und parodierte („Sissi – Beuteljahre einer Kaiserin" von Walter Bockmayer, „Lissi und der wilde Kaiser" von Michael „Bully" Herbig), lebte die Adels-Verehrung plötzlich wieder auf: 2009 und 2012 gab es wieder Spielfilme und 2021 sogar die RTL-Serie „Sisi".
Die Wiener Regisseurin und Drehbuchautorin Marie Kreutzer („Der Boden unter den Füßen", „Was hat uns bloß so ruiniert?") nähert und entfernt sich in „Corsage" nun der historischen Figur. Die Zwänge der 40-jährigen Kaiserin Elisabeth von Österreich (Vicky Krieps) zeigt treffend das zweite Bild, in dem genau nachgemessen wird, auf wie viele Zentimeter die Hüfte mit der Corsage eingezwängt wurde. Scheinbar leistet die aus Ungarn stammende Gattin des kaiserlich und königlichen Herrschers Franz Joseph (Florian Teichtmeister) einige Anstrengungen, um den repräsentativen Aufgaben des Hofes zu entsprechen. In der Badewanne hält sie unter Wasser möglichst lange die Luft an. Doch als ihr in der Öffentlichkeit dreiste Vorwürfe wegen ihrer Abwesenheit und ihres Gewichts ins Gesicht fliegen, fällt sie in Ohnmacht. Simuliert, wie sie später belustigt den Hofdamen vormacht.
„Corsage" ist das Porträt einer Frau, die sich vielfältig ihrer Zwänge entledigt. Sie lässt den mit angeklebtem Backenbart peinlichen Gatten vor der Tür stehen, während sie drinnen mit dem guten Freund scherzt. Einen Liebhaber in England besucht sie begleitet von ihrer Schwester und dem erwachsenen Sohn. Doch trotz Freiheiten fühlt sie sich unterfordert. Ihr Interesse an der Politik, der letztlich tragisch verlaufenden Balance im Vielvölkerstaat zwischen Ungarn und den Serben, wird knapp abgekanzelt. Frühe Experimente mit dem Film gefallen ihr. Gleichzeitig sucht sie andauernd Bestätigung für ihre noch nicht verblühte Schönheit, will angesehen und bewundert werden. Dabei entfremdet sie sich von der Tochter, die beim Vater aufwächst.
Marie Kreutzers „Sissi" ist in der konsequenten subjektiven Perspektive dem letzten Diana-Spielfilm „Spencer" von Pablo Larraín sehr ähnlich. Mit einer grandios einnehmenden und präsenten Vicky Krieps („Der seidene Faden", „Old") im Zentrum modernisiert sie den Historien-Film durch ein paar Pop-Songs („Help Me Make It Through the Night") und zeigt der Hofgesellschaft nicht nur sinnbildlich einen Stinkefinger. Richtig raffiniert allerdings der teils nur angedeutete Twist des Verschwindens der Kaiserin: Lässt sie sich anfangs von der in einem unmenschlichen Akt zur Treue verpflichteten Hofdame Marie (Katharina Lorenz) hinter Schleier und Hütchen vertreten, erfüllt sie im Schlussbild die unhistorische Prophezeiung, im Mittelmeer unterzugehen, statt in Genf erstochen zu werden. Ein in vieler Hinsicht faszinierendes Porträt, ganz weit weg vom üblichen Kaiserinnenschmarrn.