USA, Mexiko, Kanada 2021, Regie: Guillermo del Toro, mit Bradley Cooper, Cate Blanchett, Toni Collette, Willem Dafoe, 150 Min., FSK: ab 16
Es ist eine faszinierende Welt, in die der flüchtige Stanton Carlisle (Bradley Cooper) Anfang der 30er Jahre eintaucht: Spontan folgt er am Bahnhof einem kleinwüchsigen Mann und sieht auf einem Jahrmarkt Akrobaten, Hellseher und vor allem ein im Käfig gehaltenes Monster. Ein Sturm zieht auf, so ist Stantons Hilfe erwünscht. Später arbeitet sich der charismatische Mann vom Gehilfen zum Teil der Show hoch und lernt die Menschen der reisenden Zirkustruppe kennen. Mit der Hellseherin Zeena (Toni Collette) beginnt er eine Affäre, und von ihrem Mann, dem versoffenen Mentalisten Pete (David Strathairn), lernt er die Tricks des Wahrsagens.
Verliebt ist Stanton allerdings in die junge Molly (Rooney Mara) und peppt mit guten und makabren Ideen ihre Elektrizitäts-Show auf. Nachdem Pete gestorben und sein Schüler in den Besitz des Notizbuchs mit allen Geheimnissen der Branche gelangt ist, flieht dieser mit Molly nach New York. Zehn Jahre später hat der Verführer eine eigene, edle Show mit Molly als Assistentin und einen Clark Gable-Schnurrbart.
Man nennt „Nightmare Alley" treffend die albtraumhafte Umkehrung des amerikanischen Traums. Guillermo del Toro („The Shape of Water: Das Flüstern des Wassers", „Pans Labyrinth") ist als Regisseur des Fantastischen und des Albtraumhaften prädestiniert für die Verfilmung von William Lindsay Greshams gleichnamigen Roman. Obwohl im Gegensatz zur ersten Leinwand-Adaption von 1947 (mit Tyrone Power als Stanton und Coleen Gray als Molly) in Farbe fühlt sich die Neufassung tief düster an. Wobei nicht das zur Schau gestellte Monster, dessen einsame Menschlichkeit bloßgelegt wird - siehe „Der Elefantenmensch" von Lynch - die Attraktion ist, sondern der Show-Mann, der ein einer dramatischen, in jedem Moment packenden Handlung zum Monster wird.
Del Toros „Nightmare Alley" wartet mit sagenhaft guten Schauspielern in ikonischen Szenen auf, die es sicher alle beim jeweiligen Ableben in die Best of-Montage schaffen. Willem Dafoe („The French Dispatch", „Der Leuchturm") beispielsweise ist der unheimliche Direktor der Zirkus-Truppe mit einer Sammlung von Embryos. Trotz der obskuren Wirkung düsterer Charaktere bleiben sie mit geheimnisvoller Vergangenheit ambivalent. Besonders der charmant-gefährliche Stanton Carlisle von Bradley Cooper („A Star is Born", „American Hustle"): Stan sehen wir am Anfang bei einem vermeintlichen Verbrechen. Ein Körper wird unter die Bodenbretter eines Raums geworfen, dann zündet der Mann das Haus an. Ein Moment, an den fortan jedes Herdfeuer und jede der vielen angezündeten Zigaretten erinnert.
Wenn nicht das elegante Styling von Cate Blanchett als Raucherin Dr. Lilith Ritter jede Aufmerksamkeit und den Verstand raubt. Sie ist die tödliche, blonde Verführerin aus der Schwarzen Serie, diesmal als einflussreiche Psychiaterin der Reichen und Mächtigen New Yorks. Die will Stanton mit ihr zusammen ausnehmen. Ein gefährliches Spiel.
Der auf eindrucksvolle Weise in seine Welt saugende „Nightmare Alley" ist der bislang am wenigsten fantastische Film Guillermo del Toros. Er spielt mit dem Reiz der Mentalisten, der Vorstellung, die Mitmenschen „lesen" zu können, die auch die Serie „The Mentalist" mit Simon Baker antreibt. Der „Menschenleser" und die Psychiaterin bilden ein Team mit reizvollem Gedankenspiel: Sind beide Scharlatane oder basiert auch die Arbeit des Mentalisten auf fundierte Kenntnis der Menschen? Del Toro jedenfalls muss sie (mit seiner Koautorin Kim Morgan) haben. In keinem Moment entkommt man seiner Verführung und seinen ausgefeilten (Film-) Tricks.