25.1.22
Licorice Pizza
USA 2021, Regie: Paul Thomas Anderson, mit Cooper Hoffman, Alana Haim, Sean Penn, Tom Waits, Bradley Cooper, 133 Min.
Was für eine wunderbare und endlos lange Eingangs-Sequenz, in der sich Gary Valentine (Cooper Hoffman) und Alana Kane (Alana Haim) zu Nina Simones „July Tree" kennenlernen! Er steht in der Schlange für das High School-Foto, sie hält ihm im Gehen den Spiegel. Paul Thomas Anderson halt. Auch wenn der Macher von „Magnolia", „Boogie Nights" und „The Master" diesmal wieder alles anders macht, die Handschrift ist unverkennbar.
Das Problem bei Gary und Alana: Er ist 15 und sie 25. Was dem Kinder-Schauspieler mit enormem Selbstbewusstsein nichts ausmacht. Sie staunt amüsiert und kommt abends doch zum Date, das keines ist. „Licorice Pizza" als Liebesgeschichte dieses ungewöhnlichen Paares zu erzählen, würde dem in vielen Facetten schillernden Film-Diamanten von Paul Thomas Anderson nicht gerecht werden. Der milde Rückblick auf eine Jugend im San Fernando Valley von 1973 ist ebenso leicht wie kunstvoll gelungen. Vier Jahre nach seinem Oscar-Film „Der seidene Faden" kehrt Paul Thomas Anderson in die Zeit und den LA-Stadtteil seiner Jugend zurück. Wie Balladen meist das Beste von Hardrockern zeigen, ist dies ohne das emotionale Feuerwerk von „Magnolia" oder die groß ausgestellte Filmkunst von „The Master" eines der leisen Meisterwerke.
Mit großer Lässigkeit eröffnet Gary – wieder mit einer traumhaften Plansequenz – einen bald enorm erfolgreichen Laden für Wasserbetten. Der Jugendliche, dessen Eltern immer mit Geschäften beschäftigt sind, wird durch die Ölkrise ausgebremst. Doch über einen neuen Job als Kameramann bei einem Politiker erfährt er von der baldigen Legalisierung der Flipper-Kästen in Kalifornien und macht den ersten Pinball-Laden der Gegend auf.
Doch all dies läuft nur als Hintergrund aberwitziger oder traumhafter Szenen mit. Wie die Ausstattung mit viel Mode und Gimmicks, die heutzutage heiß begehrt sind. „Licorice Pizza" ist mehr Stimmung als Geschichte im Sinne vom „Plot" logisch aufeinander folgender Ereignisse. Dabei gibt es Szene für Szene mal stimmungsvolle, mal absurde Glanzpunkte. Die großen Stars habe ihre Auftritte in besonders schrägen Episoden: Sean Penn gibt den selbstverliebten Filmstar Jack Holden, der versucht, Alana zu verführen. Tom Waits seinen alten Kumpel Rex Blau, der mitten in der Nacht einen Vietnam-Actionstunt auf einem Golfplatz re-inszeniert. Während diese lächerlichen alten Säcke viel Theater machen, aber ungefährlich bleiben, hat Bradley Cooper („Nightmare Alley") den wirklich wahnsinnigen Part von Barbara Streisands Partner Jon Peters.
Die Teenager vergnügen sich derweil mit kleinen Eifersucht-Szenen, denn es dauert eine Weile, bis Gary und Alana zusammenkommen. Der Darsteller des gewitzten Jung-Schauspielers Gary ist Cooper Hoffman, Sohn der verstorbenen Schauspiellegende Philip Seymour Hoffman. Er hat eindeutig dessen Talent geerbt. Die schlaksige Alana wird von der Grammy-nominierten Musikerin Alana Haim aus der Schwesternband Haim gespielt – ein Naturtalent, das Anderson bereits in mehreren Kurzdokus begleitet hat. Übrigens spielen auch die beiden anderen Schwestern und die Eltern Haim in „Licorice Pizza" mit. Einen weiteren realen Bezug hat der nach eine kalifornischen Plattenladen-Kette genannte Film in der Vorlage für Gary: Es ist andeutungsweise das Porträt des jungen Schauspielers Gary Goetzman, der später als Produzent unter anderem für „My Big Fat Greek Wedding" und „Mamma Mia" bekannt wurde.
Für die poppige Augenschmaus-Ausstattung sorgte der Oscar-Sieger für „Der seidene Faden", Mark Bridges. Die wunderbaren Bilder voller Sehnsucht und Melancholie nahm Anderson wieder selbst als Kameramann (zusammen mit Michael Bauman) auf. Die seligmachende Leichtigkeit dieser 70er Jahre-Stimmung, die „Licorice Pizza" heraufbeschwört, ist dabei das größte Kunststück dieses Ausnahme-Regisseurs.