21.12.21
Ein Festtag
Großbritannien 2021 (Mothering Sunday) Regie: Eva Husson, mit Odessa Young, Josh O'Connor, Colin Firth, 104 Min., FSK: ab 12
Das Dienstmädchen Jane (Odessa Young) hat diesen Sonntag frei. Es ist Muttertag 1924. Ein bitterer Muttertag in einer Zeit fast ohne Söhne den Schützengräben des „Großen Krieges". Bitterkeit ist tief und unauslöschlich ins Gesicht von Mrs. Niven (Olivia Colman) geschrieben. Mr. Niven versucht verzweifelt, die Stimmung aufrecht zu erhalten. Wie Colin Firth diesen herzensgut verzweifelnden Mann noch großartiger als sonst spielt, ist allein diese Graham Swift-Verfilmung wert.
Die Nivens wollen mit den benachbarten Sheringhams Verlobung feiern, die mit Paul (Josh O'Connor) noch einen Sohn haben. Der wird allerdings vermisst, weil auch er feiert: Die sturmfreie Bude mit Jane, dem Dienstmädchen seiner Nachbarn. Tatsächlich ein weichgezeichneter Festtag aus Liebe und Sinnlichkeit. Das Licht des Frühlings legt sich sanft auf nackte Haut. Die angekündigte Hochzeit verursacht kein Geschrei oder Tränen, sie verstärkt die Innigkeit des Moments. Nachdem Paul doch zum Treffen mit den Nivens abgefährt, erweist sich Jane beim nackten Streunen durch das verlassene Schloss erstaunlich selbstbewusst. Steckt da schon die spätere Persönlichkeit einer erfolgreichen Autorin in ihr? Denn dieser „Festtag", der Janes Leben änderte, wird in einem gleitenden Strom von Ereignissen über drei Zeitebenen auf ungemein schöne und elegante Weise erzählt.
Eine französische Regisseurin Eva Husson liefert neuen Stoff für Freunde von Ur-Britischem wie „Downton Abbey" und „The Crown" (das ja noch fast ein Jahr auf neue Folgen warten lässt). Allerdings legt sie mit ihrer Ästhetik einen eigenen Schwerpunkt. Nicht gefesselt von den überkommenen Gesellschaftsformen sprengen ihr Stil, sinnliche Bilder und die Erzählform den erwarteten Rahmen. Genau wie es die Hauptfigur tut. Der Weg des Waisenkindes Jane („wir Waisenkinder haben immer einfache Namen") zur erfolgreichen Autorin wird nicht dramatisch geschildert. „Ein Festtag" ist nicht das Sozialdrama einer Liebe, die an Klassenunterschieden des beliebten „Upstairs-downstairs"-Genre scheitert.
Nach Graham Swifts Roman „Ein Festtag", der 2017 erfolgreich erschien, umkreisen Zeitebenen die Folge eines tragischen Tages. Das Dienstmädchen Jane wird zur Buchhändlerin, bekommt eine Schreibmaschine geschenkt, verliert als angehende Autorin ihren Partner. Als alte Frau bekommt sie einen weiteren großen Literaturpreis zugesprochen. Unglaublich gut, wie Odessa Young Phasen dieses Lebens spielt, als wenn es unterschiedliche Schauspielerinnen wären. (Die ganz alte Jane wird dann tatsächlich von Glenda Jackson verkörpert.) Derweil schreibt sich die Geschichte selbst, wenn wir hören, dass sich der „Festtag" gemäß den Erwartungen der Verlegerin in einen Thriller entwickeln soll.
Die wunderbare Kamera von Jamie Ramsay erzeugt Stimmungen zum Schwelgen, vor allem in der Musik Morgan Kibbys lauert eine düstere Vorahnung. Ein Höhepunkt ist der exquisite Kameramoment der schrecklichen Nachricht, wenn sich das Schauspiel von Odessa Young und Firth in der spiegelnden Scheibe des Wagens bricht. Und Firths Niven immer noch nicht zusammenbricht. Emanzipation zeigt sich in kleinen Zeichen wie dem Buchtitel von „Ein Zimmer für sich allein" (A Room of One's Own), Virginia Woolfs feministischem Text.
„Ein Festtag" ist ein cinematografisches Fest, das erhöhte Aufmerksamkeit für den reizvoll raschen Wechseln der Ebenen mit großem Kino-Glück belohnt. Grandiose Schauspieler wie Odessa Young („Steven King's The Stand", „Shirley"), Colin Firth („The King's Speech", „Supernova") und Olivia Colman („The Crown") vollenden die exzellent umgesetzte, außergewöhnliche Geschichte.