USA 2021 (Being the Ricardo's) Regie: Aaron Sorkin, mit Nicole Kidman, Javier Bardem, J.K. Simmons, 126 Min., FSK: ab 12
Die überaus erfolgreiche 1950er-Jahre Sitcom „I Love Lucy" hätte man ruhig in „Alle lieben Lucy" eindeutschen können. Immerhin waren die albernen Episoden rund um Lucille Désirée Ball (1911-1989) so erfolgreich, dass in den USA Shopping-Abende den Wochentag wechselten. Wurde „I Love Lucy" ausgestrahlt, kam niemand. Nun zeigt Aaron Sorkin (Schöpfer „The West Wing", Drehbuchautor des David-Fincher-Films „The Social Network") unterhalt- und einfühlsam, was hinter der lächerlichen Nichtigkeit, von 1951–1957 in 180 Folgen ausgestrahlt, steckte: Eine ehrgeizige und kluge Hauptdarstellerin. Sowie ein untreuer Ehemann und Produzent.
Die Figur der Lucy (Ball) war in den 50er derart erfolgreich, die seltsam naiv-gewitzte Hausfrau derart ikonisch, dass sogar heute noch Nachbeben in der Medienwelt existieren: In Neil Gaimans Roman und Verfilmungs-Serie „American Gods" ist Lucy (gespielt von Gillian Anderson) neben Monroe eine der modernen Medien-Götter des heutigen Amerikas. Dort nennt sie sich Lucy Ricardo, in der Show „I love Lucy" sind Lucy und Ricky Ricardo die ewig kebbelnden, aber glücklichen „Ricardos" des Titels. Privat sah es zwischen Lucille Ball (Nicole Kidman) und ihrem schillernden Show- und Ehepartner Desi Arnez (Javier Bardem) anders aus. Der hervorragende Autor und gute Regisseur Aaron Sorkin komprimiert in „Being the Ricardos" eine Woche Vorbereitung auf die vor Publikum aufgenommene Show mit einer politischen, dramaturgischen und privaten Krise.
Ein beiläufiger Satz in einer nebensächlichen Talkshow versetzt die Welt um Lucille Ball in Panik: Lucy war Mitglied der kommunistischen Partei! Anfang der 50er war Höhepunkt der menschenverachtenden Hexenjagd des Senators McCarthy und des späteren Präsidenten Nixon. Allein ein Verdacht oder die Vorladung vom „Komitee für unamerikanische Umtriebe" zerstörten Karrieren und Leben. So warten Lucille und Desi, das ganze Team und vor allem Sender und Sponsoren gespannt, ob die Erwähnung zu einem „Shitstorm" in den Medien wurde. Eine andere Meldung interessiert Lucy fast mehr, groß macht eine Zeitung mit dem Foto von Desi und einer anderen Frau auf. Auch wenn es sich als alte Geschichte herausstellt, bleibt der Schmerz, dass der charismatische Musiker und Entertainer seine Nächte in Clubs durchmacht. Lucille hat drei Häuser, aber kein Zuhause.
Gegen das zeitgemäße Image der naiven Hausfrau schreibt nicht nur die Haupt-Autorin an. „Being the Ricardos" zeigt Lucille in Rückblenden als talentierte Schauspielerin, erfolgreiche Komödiantin im Radio und schließlich als Star, der für jede Kleinigkeit bei den Proben kämpft, damit der Witz anständig funktioniert. Vielschichtig schaut Sorkin genau auf die Psychologie des produktiven Paares: Um ihre Ehe zu retten, will Lucille ihrem Desi, der inoffiziell Manager, Produzent und wichtige Figur ist, dem immer noch nicht ganz angekommenen Kubaner einen offiziellen Produzenten-Titel zuschanzen. Medienhistorisch platzt noch eine Schwangerschaft in die Langzeitplanung und eine puritanische TV-Welt, die nicht mal das Wort „schwanger" erlaubt, geschweige dann in der Serie auftauchen lässt.
Aaron Sorkin komprimiert die Ereignisse mehrerer Jahre in diese intensive und schnelle Woche von „Being the Ricardos". Javier Bardem führt einen bis in die Nebenrollen grandiosen Cast an. Kidman spielt über die irritierende Maske hinweg, die sich über ihr Botox-Gesicht legt. Bis zur großen Shownummer im Finale, mit J. Edgar Hoover als Ass im Ärmel, packen die lebendigen Figuren, amüsieren die spritzige Dialoge und fasziniert die ungemein faszinierende Hintergrund-Geschichte.