Frankreich, Italien 2013 (Le passé) Regie: Asghar Farhadi mit Bérénice Bejo, Tahar Rahim, Ali Mosaffa, Pauline Burlet 130 Min. FSK: ab 12
Es sind noch ein paar alte Sachen von Ahmad (Ali Mosaffa) in der alten Pariser Wohnung, die er zusammen mit seiner Frau Marie (Bérénice Bejo) bewohnte, bevor er in den Iran zurückkehrte. Nun fliegt er aus Teheran ein, um die Ehe zu beenden. Er weiß allerdings nicht, dass dort gerade Samir (Tahar Rahim) einziehen und auch Marie heiraten will. Die Patchwork-Situation mit einer kleinen und einer älteren Tochter aus früheren Beziehungen von Marie wäre schon schwierig genug, denn die 17-jährige Tochter Lucie (eindrucksvoll: Pauline Burlet) will nicht mit wieder einem neuen Freund der Mutter unter einem Dach sein. Doch da ist auch Samirs kleiner Sohn, der ganz verstört ist und sich nur über Wutanfälle ausdrücken kann. Im Krankenhaus liegt zudem noch Samirs Frau seit einem Selbstmordversuch im Koma. Eigentlich will Ahmad gleich wieder gehen, doch als er die Situation erkennt, bleibt er um zu helfen.
Der iranische Oscar-, Berlinale-, Golden Globe- und Césarpreisträger Asghar Farhadi („Alles über Elly" 2009, „Nader und Simin - Eine Trennung" 2011) schafft es, in seinem sechsten und ersten außerhalb des Iran entstandenen Film. diese hochkomplexe Situation vom ersten Moment an atemberaubend spannend zu gestalten. Schon das erste (Nicht-) Sehen von Ahmad und Marie am Flughafen, die erste gestörte Kommunikation, wenn sie sich nur durch eine Scheibe berühren und nicht verstehen können, ist das perfekte Beispiel für Farhadis Meisterschaft auf mehreren Ebenen. Im gelang ein ungemein bewegendes Psychogramm moderner Familienkonstellationen, ein Psychothriller um Schuld und heftige Gefühle, eine vorsichtige Moral-Suche zwischen Orient und Westen.
Die Patchwork-Familie rund um seine Ex (Bejo) fordert den klugen und großherzigen Ahmad heraus. Wie er seine nervöse und fahrige Frau mitten im Umzugsstress beruhigt und auch mit dem wütenden Kind redet, macht ihn sehr sympathisch: Sanft, milde, verständnisvoll und trotz eigenem Schmerz klug. Doch als die Tochter ins Restaurant iranischer Freunde abhaut, wird das vergangene Verschwinden des Familienvaters fragwürdig. Wäre all dies schon fesselnd und vielschichtig genug, um tagelang über den Film zu reden – was auch in Cannes passierte – das Geheimnis um den Selbstmord von Samirs Frau gewinnt hitchcocksche Dimensionen! Dabei eröffnet sich, wie schon in „Nader und Simin - eine Trennung" gleich ein ganzer Kosmos moralischer Zwickmühlen. Ein hervorragendes Ensemble rundet „Le Passé" zum Meisterwerk ab. Bérénice Bejo, das betörende Lachen aus „The Artist", erhielt in Cannes den Preis als Beste Darstellerin, Asghar Farhadi den der ökumenischen Jury.