USA, Belgien 2013 (The Fifth Estate) Regie: Bill Condon mit Benedict Cumberbatch, Daniel Brühl, David Thewlis, Carice van Houten, Moritz Bleibtreu, Alicia Vikander 128 Min.
Eine (Medien-) Welt, die sich darüber empört, dass ihre Regierungs-Chefin abgehört wird, und der es egal ist, wenn hundert Millionen Bürger von eigenen und anderen Regierungen ausspioniert werden, ist noch nicht reif für diesen Film. Aber vielleicht bringt „Inside Wikileaks" sie ja unterhaltsam und spannend weiter. Denn selbst wenn Julian Assange als Gründer von Wikileaks letztendlich durch die hier verfilmten Erinnerungen seines Weggenossen Daniel Domscheit-Berg (Sachbuch „Inside Wikileaks") sowie der Guardian-Reporter David Leigh und Luke Harding („Wikileaks") diskreditiert wird - was mutige Whistleblower wie Manning oder Snowden mit Hilfe der revolutionären Enthüllungsplattform geleistet haben, ist atemberaubend und weltbewegend.
„Inside Wikileaks" dreht sich um Nachrichten-Geschichte, wobei die Nachricht diesmal selber Geschichte schreibt, als im Juli 2010 schockierende Kriegsverbrechen der US-Armee dank Wikileaks plötzlich für alle sichtbar werden. Es bleibt allerdings zu diskutieren, ob es sich im engen Presse-Sinne um Nachrichten handelt. Der Konflikt zwischen klassischem Journalismus („die Vierte Gewalt im Staate") und der neuen, Fünfte Gewalt („The Fifth Estate", so auch der Originaltitel) genannten Wikileaks wird treffend aufgefächert und personifiziert.
Julian Assange (Benedict Cumberbatch) und Daniel Berg (Daniel Brühl) trafen sich erstmals beim Berliner Chaos Computer Kongress im Dezember 2007. Dort stellte der legendäre australische Hacker seine Idee von Wikileaks einer Handvoll Zuhörer vor und gewinnt den sehr braven, geerdeten deutschen IT-Spezialisten Berg als Mitarbeiter. Als einzigen Mitarbeiter, wie sich nach der erfolgreichen Bloßstellung von Betrügereien der Schweizer Bank Julius Bär herausstellt. Parallel zum wachsenden Einfluss der Internet-Plattform für politische und wirtschaftliche Transparenz entwickelt sich das Verhältnis zwischen dem wahnsinnigen Visionär, dem neurotischen Egomanen Assange und dem netten, lieben Berg zu einem ungesund symbiotischen. (Anke Domscheit, mittlerweile verheiratet mit Berg, bleibt tatsächlich nur ein Platz am Rande.)
Neben den extrem gegensätzlichen Persönlichkeiten vom deutschen Bürgersöhnchen und dem in einer Sekte aufgewachsenen Manipulator, der verschiedene erschreckenden Geschichten für sein weißes Haar auf Lager hat, steht ein grundsätzlicher Streit zwischen beiden Protagonisten zentral: Soll man etwa zigtausend Nachrichten der us-amerikanischen Diplomatie ungefiltert veröffentlichen? Oder muss man sie bearbeiten und Namen zensieren, um so das Leben darin erwähnter Spione oder gar Unbeteiligter zu schützen, wie Berg meint. Der größte Coup Assanges, die Veröffentlichung der von Manning heldenhaft entwendeten US-Daten zusammen mit Spiegel, The Guardian und New York Times, bedeutet den endgültigen Bruch zwischen den Partnern, weil der eigenwillige Frontmann entgegen der Absprachen alles ungefiltert ins Netz setzt. (Dass in einer viel zu rührenden Nebenhandlung us-amerikanische Regierungsbeamte als Menschenfreunde dargestellt werden, ist eine peinliche Anbiederung des Films an das US-Publikum.)
Für eine psychologische Analyse dieses Konflikts in vielen Nuancen sollte man lieber einen anderen Film sehen. „Inside WikiLeaks - Die fünfte Macht" ist politisch, brisant und hochaktuell. Wie sieht die Zukunft der Medien aus? Wollen wir uns weiter wie blöde Schafe von Regierungen und Geheimdiensten für dumm verkaufen lassen? Wie geht man mit den endlich zugänglichen Staatsgeheimnissen um?
All dies packt Bill Condon in einen spannenden, faszinierend gestalteten Film. Der Regisseur von „Gods and Monsters" sowie „Breaking Dawn" erweist sich als exzellenter Filmemacher selbst bei einem eigentlich undramatischen Stoff über Ideen und politische Visionen. Wie ein virtuelles Großraum-Büro als immer wieder wandelbares, ästhetisch sehr reizvolles Bild die digitale Konstruktion Wikileaks verkörpert, ist genial. Ebenso die Verkörperung von Julian Assange durch Benedict Cumberbatch als Egomanen, in dem ein empfindliches, ängstliches Kind steckt. (Daniel Brühl und Moritz Bleibtreu haben da als deutsche Hacker weniger Möglichkeiten.) Assange bleibt im ironischen Epilog das letzte Wort, in dem er den eigenen, diesen Film als irrelevant abtut, aber auch den hochnotwendigen und essentiellen Aufruf tätigt: „Solange du weiter fragst, bist du gefährlich für sie!"