BRD 2013 Regie: Caroline Link mit Samuel Schneider, Ulrich Tukur, Hafsia Herzi, Josef Bierbichler, Sophie Rois, Marie-Lou Sellem 118 Min. FSK: ab 6
Er solle doch eine Geschichte mit aus dem Urlaub bringen, gibt der Internats-Direktor (Josef Bierbichler) dem 17-jährigen intelligenten, aber gelangweilten Ben (Samuel Schneider) mit auf den Weg. Ben trifft in Marokko seinen Vater Heinrich (Ulrich Tukur), der in Marrakech „Emilia Galotti" (auf deutsch!) inszeniert. Der früh aus seines Sohnes Leben verschwundene Theaterregisseur holt Ben nicht selbst ab, es gibt auch keine Umarmung zur Begrüßung. Ein überdeutlicher emotionaler und zeitlicher Graben trennt sie, das ist auch ohne viel dialogischen Leerlauf klar. Als kleine Rache verschenkt der Junge des Vaters Sachen an Straßenkinder. Und lernt auf einem nächtlichen Streifzug - die unruhige Kamera wackelt vor lauter überwältigender Eindrücke - die junge Prostituierte Karima (Hafsia Herzi) kennen. Während der Senior nur Paul Bowles am Hotelpool liest, weil „das echte Marrakech total verbaut ist", folgt Junior der Marokkanerin spontan in die Berge zu ihrer Familie. Auch wegen der Zuckerkrankheit des Sprösslings beunruhigt, reist Heinrich hinterher und irgendwann finden beide Reisewege zueinander.
Familie sei immer Stress, meint Bierbichler als Schuldirektor und zitiert Tolstois „Anna Kerenina", dass „jede auf eigene Weise unglücklich sei". Das trifft allerdings nicht ganz auf diese Familie, auf dieses Vater-Sohn-Verhältnis zu, welches sich eher unoriginell darstellt. Bens Eltern sind als Künstler immer unterwegs, von der überfürsorglichen Mutter gibt es zu viel süße Liebe, vom Vater keine erkennbare - so könnte man die Zustände der Diabetes ausbuchstabieren. Die Begegnung mit dem Fremden, die Liebe eines Unerfahrenen zu einer Einheimischen, das hat Detlev Buck mit seinem Ben bei „Same Same but different" in einer rasanten Szene abgehandelt. Caroline Link, die 2003 einen Oscar für die Stefanie Zweig-Adaption „Nirgendwo in Afrika" erhielt, erzählt sehr umfassend, zu behutsam und zu viel erklärend.
Obwohl sie reichlich Landschaft vor die Kamera von Bella Halben nahm, beeindruckt diese nicht sonderlich, macht aber zumindest neugierig auf das echte Erleben. Dünen herunter zu skien ist keine existenzialistische Erfahrung, erst in der letzten halben Stunde kommen die Herren bei ein paar Joints zum Aussprechen und Kennenlernen. Dann darf endlich auch die Zuckerkrankheit für ein paar Minuten Spannung sorgen, doch „Exit Marrakech" nähert sich nur fast dem langsamen Entschwinden von Bowles' „Himmel über der Wüste". Aber selbst dies verläuft dramaturgisch im Wüstensand. Denn die Entschleunigung kam zu spät, der Film war bis dahin eher ungeschickt ausführlich. Er erzählte träge, kam aber zu selten in den „Flow" der fremden Eindrücke.
Der jungen Samuel Schneider („Boxhagener Platz") trägt die schwierige Rolle und die lange Leinwandzeit gut. Ulrich Tukur („Huston", „Das weiße Band", „Das Leben der Anderen") hat als Vater nicht die forderndste Rolle. Hafsia Herzi, die schon mit ihrem sensationellen Auftritt in „Couscous mit Fisch" begeisterte, wird leider irgendwo auf der Strecke vergessen. Es bleiben unvollendete Seitenblicke auf die Situation der Frauen in Marokko, westliche Kultur-Arroganz, eine Patchwork-Familienaufstellung und die Hoffnung, dass Caroline Link ihr Talent mal etwas mutiger herumstreunen lässt.