BRD 2013 Regie: Frauke Finsterwalder, mit Ronald Zehrfeld, Sandra Hüller, Michael Maertens, Margit Carstensen, Corinna Harfouch 95 Min. FSK: ab 12
Was machen die Deutschen denn so, wenn sie nicht shoppen oder Fußball schauen? Mit der Schulklasse ein KZ besuchen? Die Füße von Seniorinnen im Altenheim pflegen und ihnen dazu die eigene abgeraspelte Hornhaut in Kekse eingebacken verfüttern? In flauschige Tierkostüme schlüpfen und dann auf Partys kuscheln gehen! „Finsterworld", das äußerst bemerkenswerte Spielfilm-Debüt von Frauke Finsterwalder versammelt viele solcher faszinierenden Momente und erzählt reizvolle Geschichten mit skurrilen Menschen. Das Drehbuch zu „Finsterworld" schrieb Finsterwalder gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Bestsellerautor Christian Kracht, auf Basis von dessen Roman „Faserland" aus dem Jahr 1995.
Finsterwalders „Finsterworld" fährt für ein Debüt eine erstaunliche Besetzung auf: Corinna Harfouch ist als Inga Sandberg Teil eines reichen Zyniker-Pärchens, das sich in einem dieser gepanzerter SUV-Monster fortbewegt und zu wissen meint, was an der Welt nicht stimmt. „Man sitzt in der Blase und hört nichts!" - so scheint ihr höchstes Glück auszusehen. Ronald Zehrfeld, der Arzt aus „Barbara", hat als Polizist Tom zuhause ein sehr kompliziertes Leben mit der völlig verdrehten, egozentrischen Dokumentar-Filmerin Franziska Feldenhoven (eine tolle Sandra Hüller-Rolle), mit ihrem Sozialarbeiter-Gestus und den Haneke-Schwärmereien. Als Ausgleich schlüpft er von der Polizei-Uniform in die Rolle eines Eisbär-Teddys. Beim Treffen von Furrys - Menschen die als Kuscheltiere verkleidet miteinander schmusen - findet er endlich Zuwendung. Auch Carla Juri, die Hauptdarstellerin aus „Feuchtgebiete", taucht auf: Als überlegen intelligente Schülerin eines Eliteinternates wird sie von neidischen Jungs im Krematorium eingesperrt und der rettende Lehrer, ein anstrengender Gutmensch, bekommt auch noch die Schuld an allem. Derweil sucht ein vermeintlich schusseliger Fußpfleger besonders viel Kontakt und verbirgt sein abgründiges Geheimnis in süßen Knabber-Herzen.
„Finsterworld", ein Episoden-Film der nicht netten Art, zeigt ein Mosaik aus extremen deutschen Typen. Das ist sehr unterhaltsam und auch witzig. Man muss daraus überhaupt kein Panoptikum deutscher Befindlichkeiten ablesen, aber die Stichworte dazu sind da. Im deutschen Wald lebt ein extremer Natur-Freund mit seiner Krähe, der mit seiner Rache genau den Falschen tödlich treffen wird. Das KZ ist ebenso präsent wie ein unverschämter Reichtum, der glaubt, an den Autobahnraststätten für das Volk würden immer Mordopfer rumliegen. „Finsterworld" liegt direkt hinter Kehlmanns „Ruhm" und östlich von Martin Gypkens „Nichts als Gespenster", hat einen ganz eigenen Stil und ist auf jeden Fall einen Besuch wert.