USA 2011 (Rum Diary) Regie: Bruce Robinson mit Johnny Depp, Aaron Eckhart, Michael Rispoli, Amber Heard, Richard Jenkins, Giovanni Ribisi 119 Min. FSK ab 12
Johnny Depp ist wieder Gonzo! Paul Kemp, die Hauptfigur im „Rum Diary" ist zwar ein anderer alter Ego Hunter S. Thompsons als Raoul Duke, der wahnsinnige Journalist aus „Angst und Schrecken in Las Vegas" („Fear and Loathing in Las Vegas", 1998). Doch Depp, der Freund des berüchtigten, 2005 und verstorbenen Autoren spielt ihn ähnlich. Obwohl „Rum Diary" wesentlich zahmer ist, vor allem formal. Wenn Kemp doppelt sieht, sehen wir das nicht selbst. Terry Gilliam machte aus dem konstanten Rausch Raouls einen mitreißenden Filmtrip. Bruce Robinson aus Kemps kurzem Karibik-Ausflug einen interessanten Film.
Depp stand schon hinter der Veröffentlichung des Romans von Hunter S. Thompson, der vor Jahrzehnten entstand und erst 1998 gedruckt wurde. Als Produzent und Hauptdarsteller blickt Depp mit seinem sattsam bekannten Stauen auf das Puerto Rico der früher 60er Jahre. Paul Kemp (Depp) wird als Journalist für die abgehalfterte englischsprachige Zeitung der Karibik-Insel angeheuert. Zwischen Alkoholrausch und Katerstimmung macht er Reportagen mit fetten US-Touristen auf der Bowlingbahn und beobachtet mit hochprozentigem Zynismus „The Big White", die gefährlichste Spezies der Welt. Gemeint ist selbstverständlich der weiße Ami. Ein besonders gefährliches Exemplar umkreist schnell den mittelprächtigen Schreiberling, der eigentlich Romane stemmen will: Sanderson (Aaron Eckhart), ein strahlend weißer Immobilien-Trickser, der tief in schmutzigen Geschäften steckt, will Kemp als Broschüren-Schreiber für einen Grundstücks-Schwindel. Der angebliche Autor der New York Times lässt sich im großen Stil kaufen und verführen, vor allem von Chenault (Amber Heard), der lebenshungrigen Frau seines Auftraggebers.
Paul Kemp ist hauptsächlich Beobachter einer unfassbare Ausbeutung und der soziale Ungleichheit dieses sogenannten Außengebietes der USA, in dem die Einwohner noch heute zwar Steuern zahlen, aber nicht wählen dürfen. Irgendwann in einem nüchternen Moment schreibt er ein anständiges Stück Enthüllungs-Reportage, doch da ist die Zeitung schon pleite und geschlossen. Neben der frühen Thompson-Geschichte und etwas Karibik-Couleur unterhält Regisseur Bruce Robinson mit ein paar aberwitzigen Szenen, einen Liebesdrama und faszinierenderen Randfiguren wie dem völlig abgewrackten Journalisten Moburg (Giovanni Ribisi). Bruce Robinson ist bislang als Schauspieler, Drehbuchautor („The Killing Fields", 1984) und Regisseur („Jennifer 8", 1991) auffällig geworden und auch nun gelingen ihm tolle Momente: Es ist umwerfend komisch, wenn Kemp mit seinem Fotografen Sala (Michael Rispoli) zu zweit aufeinander im einem ausgenommenen Fiat 500 unter Beobachtung der Polizei ohne Vordersitze fahren. Der gemeinsame LSD-Trip bleibt hingegen weit hinter der Las Vegas-Erfahrung auf den Spuren von Thompson zurück. Wer also „Fear and Loathing Puerto Rico" erwartet, wird sehr enttäuscht. Hier ist alles so strahlend, dass man wie Kemp dauernd eine Sonnenbrille braucht. „Rum Diary" hinterlässt als Instant-Kater das Gefühl, da muss doch mehr sein, und macht so Lust, den Roman zu lesen.