10.9.08
Gomorrha - Reise in das Reich der Camorra
Italien 2008 (Gomorra) Regie: Matteo Garrone mit Salvatore Abruzzese, Simone Sacchettino, Salvatore Ruocco 135 Min. FSK: ab 16
So mögen wir das sonnige Italien: Ein schmissig-schmantiger Song, die Sonne scheint... Doch hier in Neapel scheint erst einmal das Sonnenstudio auf die Haut kräftiger Kerle mit Goldkettchen. Dann knallen andere schmierige Typen die Gebräunten ab, Blut spritzt auf die Neonröhren. Nur das Lied trällert weiter.
„Vedi Napoli e poi muori“ (Neapel sehen und sterben) hat nichts mehr mit einstiger Schönheit der Stadt zu tun. In der heruntergekommenen, gefürchteten Siedlung Scampia geht es vor allem ums Sterben. Unverkleideter Beton rottet vor sich hin und nackte Gewalt beherrscht das Armenviertel. Männer im Anzug planen illegale Müllgeschäfte. Ein Junge hilft Nachbarn beim Einkauf, dann schnappt es sich den Beutel mit Drogen, der bei einer Razzia weggeworfen wurde und kommt den schmutzigen Geschäften zu nahe. Zwei große Jungs machen auf Mafia-Film und werden völlig größenwahnsinnig, als sie ein Waffenlager finden. Ein hervorragender Schneider wechselt die Seiten von einem Ausbeutungsbetrieb zum dem der Chinesen. Ein unauffälliger Mann besucht Familien von „Justiz-Opfern“, von festgenommenen oder verstorbenen Bandenmitgliedern, und liefert ihnen die Rente des Unrechts-Systems aus.
Das kann alles nicht gut gehen, doch genau so stark wie die Spannung um Einzelschicksale ist die authentische Wucht dieser Milieu-Schilderung. Grundlage des Films, der in Cannes 2007 den Jury-Preis gewann, ist das Buch von Roberto Saviano. Eine Enthüllung, die so deutlich wurde, dass der Autor untertauchen musste. Es geht um die Mafia, die in der Region um Neapel Camorra heißt. Ihr (a-)soziales Wirken führt zum dem klanglich nahe liegenden, biblischen Gomorrha des Titels. Sodom und Gomorrha waren derart der Sünde anheim gefallen, dass Gott sie mit einem Regen aus Feuer und Schwefel strafte.
Man muss angesichts dieses „Gomorrha“ überlegen, ob solch eine Strafe nicht milde wäre im Vergleich zum Elend im Vorort Neapels. Es gibt keine Hoffnung in diesen auch im Verfall noch futuristisch wirkenden Ausgeburten deplatzierter Architektenträume. Die Schicksale sind vorhersehbar, das Leben unter den Bedingungen der „ehrenwerten Familien“ unvorstellbar. Die Stärke des Films, der an Originalschauplätzen spielt, liegt in der ungeschminkten Direktheit. Dazu passt auch ein kräftiger Dialekt, der selbst in Italien Untertitel erforderlich machte. Das hat nichts mit den üblichen Mafia-Geschichten wie „Der Pate“ zu tun, auch nichts mit ehrenwerten, aber immer noch als Film inszenierten Polit-Thrillern. „Gomorrha“ ist nackt und hässlich - und nach dem Film weiß man, es kann gar nicht anders sein.