23.9.08

Der Baader Meinhof Komplex


BRD 2008 (Der Baader Meinhof Komplex) Regie: Uli Edel mit Martina Gedeck, Moritz Bleibtreu, Johanna Wokalek, Nadja Uhl, Jan Josef Liefers 150 Min.


Der Schuld-Komplex

Deutschland im Herbst. Herbst 2008 wohlgemerkt. Deutsche Soldaten schießen wieder weltweit für den Frieden und es gibt keine politischen Diskussionen in der Bevölkerung. Die Rote-Armee-Fraktion, die RAF, ist ein Märchen. Ein spannendes: Aus dem Sachbuch „Der Baader Meinhof Komplex“ von Stefan Aust, dem „Klassiker“ der RAF-Literatur, einen Spielfilm zu machen, ist schon eine verrückte Idee, die zum ebenso eigenwilligen wie erfolgreichen Produzenten Bernd Eichinger passt. Heraus kam ein starker, wirkungsvoller Film.

Brutale Schläge von Polizei und iranischen Agenten markieren 1967 den heftigen Anfang. Dann erschießt der Polizist den Studenten Benno Ohnesorg, bald darauf führt die Hetze von Bild & Co. zum Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke. Die Demonstrationen werden lauter, die Studentin Gudrun Ensslin (Johanna Wokalek), ihr Freund Andreas Baader (Moritz Bleibtreu) setzen mit anderen als Protest gegen den Vietnamkrieg und die deutsche Unterstützung amerikanischer Kriegseinsätze ein Kaufhaus in Brand. Die bürgerliche Journalistin Ulrike Meinhof hilft, Baader 1970 zu befreien. Zusammen mit Ensslin gründen sie die RAF, lassen sich in Palästinenser-Lagern ausbilden. Zurück in Deutschland rauben sie Banken aus und verüben blutige Anschläge.

Die Chronologie der Anschläge bestimmt die weitere Handlung. Dass die RAF-Attentäter tatsächlich ziemlich wild rumgeballert haben, kommt dem Film entgegen. Man wähnt sich stellenweise eher in Tarantinos Universum als in deutscher Nachkriegsgeschichte. Trotzdem ist „Der Baader Meinhof Komplex“ keine Räuber-Geschichte wie „Baader“, obwohl Baader/Bleibtreu als sexistischer, fluchender, nicht besonders intelligenter Comic-Leser wieder für eine Show gut ist. Aber auch für ernsthaften Einsatz und Glauben an den eigenen Kampf.

Vor allem Ulrike Meinhof kämpft zunehmend mit ihrem Schuld-Komplex. Die bürgerliche Journalistin erliegt sichtlich der Verführung des Aufstandes, dem in einer Szene sogar ekstatisch-religiöse und mystische Erlebnisse zugeschrieben werden. Aber ihre enorme Verbissenheit in den Kampf der RAF wird von Martina Gedeck als übersteigerte Abwehrreaktion gegen die eigenen Vorbehalte gespielt. So geht Ulrike Meinhof folgerichtig auch an ihrem Schuld-Komplex zugrunde. Und an dem gruppeninternen Psycho-Terror der in Stammheim zusammengelegten Gefangenen.

Ein fortwährender Wiedererkennungs-Effekt ergibt sich sowohl bei den Namen aus der RAF- und Zeit-Geschichte, aber auch bei der eindrucksvollen deutschen Darsteller-Riege, bei der Bleibtreu, Wokalek und Gedeck als Baader, Ensslin und Meinhof die meiste Leinwandzeit bekommen. Das Dreigestirn der ersten RAF-Generation legt auch im Sog der immer unsinniger wirkenden Attentate, Anschläge, Verhaftungen und Befreiungsversuche ein internes Spannungsdreieck aus, das dem Film sein emotionales Gerüst stellt.

Bruno Ganz rehabilitiert sich vom Eichinger-„Untergang“ in einer grandiosen Darstellung des BKA-Mannes Horst Herold: Der Erfinder der Rasterfahndung behält als einziger auf der Seite des Staates den Durchblick. Und bemerkt, dass man Terrorismus nicht beenden kann, wenn man sich nicht um die Gründe wie Unrecht im Nahen Osten oder soziale Missstände in der ganzen Welt kümmert. Ganz spricht damit auch die Bezüge zum aktuellen Terror-Wahn aus. Der Dreh im Original-Gefängnis von Stuttgart-Stammheim unterbrach übrigens einen aktuellen Al Qaida-Prozess!

Produzent Eichinger und Regisseur Edel („Letzte Ausfahrt Brooklyn“) waren Zeitgenossen der RAF und Studienkollegen. Am Anfang steht ihr Film ganz klar auf der Seite der Anti-Schah-Demonstranten, die brutalst zusammengeschlagen werden. Eine Identifikation mit den Attentätern wird aber vermieden. Der Richter in Stammheim ist eine totale Witzfigur. Die Zweifel an der Selbstmord-These kommen überhaupt nicht vor.

„Der Baader Meinhof Komplex“ ist kein Film, der verstört, Fragen aufwirft oder provokante Stellungnahmen macht. Aber eine solide Grundlage für weitere Diskussionen. Man kann sich freuen, dass sich ein richtig guter und packender Film eines nah-historischen Themas annimmt.