2.9.07

Mörderische Liebe in Venedig


Venedig. Eigentlich könnten Welt und Globalisierung so einfach zu verstehen sein: Die Amerikaner kümmern sich um den Krieg und seine Folgen. Die Franzosen um die Liebe und ihre Folgen. Und die Briten um Moral sowie ihre folgenschwere Abwesenheit. Zur Halbzeit des Wettbewerbes um den Goldenen Löwen sind filmisch die Aufgaben klar verteilt und herrscht am Lido angeregte Zufriedenheit. Ein Favorit ist allerdings noch nicht auszumachen. Doch in der Dramaturgie einer Marco Müller-Mostra kommen die Asiaten erst spät ins Spiel. 2006 gewann "Still Life" von Jia Zhang-Ke, der als "Überraschungsfilm" nachträglich ins Programm genommen wurde. Auch 2007 gibt es wieder einen noch unbekannten Starter aus Asien...

Perspektiven
Wenige Stunden nach "Redacted", Brian De Palmas Schein-Doku zur Verrohung amerikanischer Soldaten im Irak, ging zum exakt gleichen Thema "In the Valley of Elah" von Paul Haggis an den Start. Chancenlos eigentlich. Denn nachdem man gesehen hat, wie amerikanische Soldaten morden und vergewaltigen, interessiert es nicht wirklich, wie zerrüttet oder zerstückelt die "Jungs" nach Hause kommen. Doch Haggis, der mit "Crash" ein faszinierend differenziertes und einfühlsames Panorama amerikanischer Unnahbarkeiten zeichnete, erzählt mehr. Tommy Lee Jones - inzwischen eine Art moralischer Instanz im amerikanischen Schauspiel - versucht als Polizist und ehemaliger Soldat Hank Deerfield die Mörder seines Sohnes Mike zu finden, der erst vor wenigen Tagen aus dem Irak zurück kam. Dabei entdeckt er zum einen, was für ein Monster sein Sohn wurde, und er muss sich die Frage stellen, ob er ein guter Soldaten-Vater war. In der letzten Szene hisst der Patriot Hank die amerikanische Nationalflagge falsch herum: Eine Nation in Gefahr!

Auch beim Cannes-Sieger Ken Loach kommt es auf die Perspektive an. Seine moralische Lehrstunde über den menschenverachtenden Handel mit Arbeitskräften aus Osteuropa, wählt ausnahmsweise nicht den Blick der Opfer. Das hätte man schon zu oft gesehen, meinte der Brite Loach auf der Pressekonferenz. So erleben wir in dem von der Filmstiftung NRW geförderten Thesenspiel die ebenso reizvoll aussehende wie toughe Angie, die sich nach miesen Erfahrungen als Angestellte selbständig macht und mit viel Energie und Einsatz Arbeitskräfte vor allem aus Polen in London für miese Jobs vermittelt. Erschreckend zu sehen, wie der eiskalte Engel Angie auch den letzten Rest an Anstand aufgibt, um Wohlstand für die eigene Familie zu sichern. Nur ihr Vater, ein alter Sozialist, erinnert an schwer erkämpfte Werte - ungehört.

Liebe deinen nächsten Mörder
Während Altmeister Erik Rohmer in dem Schäferstück "Les Amours d'Astree et de Celadon" Treue und reine Liebe durchspielt und dabei in Kostüm (Römerzeit) und Text (aus dem 17.Jahrhundert) extrem altmodisch daherkommt, konjugiert der alte Zyniker Claude Chabrol in "La fille coupée en deux" (Die zersägte Frau") gekonnt die Wahnsinnigkeiten vergeblicher Liebe: Gabrielle verfällt dem 30 Jahre älteren Charles, der sie sexuell "erzieht" und benutzt. Nachdem der Autor sie rücksichtslos verlässt, fällt die hoffnungslos Verliebte erst in ein Koma, um dann dem Werben des albernen Millionenerben Paul nachzugeben. Doch der ist auch nach der Heirat vom Ziel seiner verzweifelten Liebe unendlich weit entfernt und erschießt Charles, der immer noch Gabrielles Herz besetzt.

Zu kompliziert? Wie wäre es mit einem echten Männerfilm? Im Western "The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford" darf Brad Pitt als Serienmörder Jesse James seinem Henker inmitten unheimlich dichter Atmosphären melancholisch verbunden lange in die Augen blicken. Bilder, Stimmungen und Texte (nach einem Roman von Ron Hansen) machen diesen gar nicht so eindeutig männlichen Western von Newcomer Andrew Dominik dann vielleicht doch zum ersten Favoriten.