6.9.07
Alte Meister, bekannte Genres in Venedig
Venedig. Zum Abschluss des Wettbewerbs erlaubte sich die Programmplanung den Scherz, "12" von Andrej Michalkov, ein russisches Remake von "Die zwölf Geschworenen", anzusetzen. Heute Abend werden die Goldenen Löwen der "64. Mostra internazionale d'arte cinematografica" (29.8.-8.9.) verliehen, und es wird sich zeigen, welche Dramen sich in Juryraum der auf Film Eingeschworenen abgespielt haben.
Bei einem wohltemperierten Wettbewerb aus lauter Weltpremieren mit wenig Sensationellem und kaum Enttäuschungen dürften die Entscheidungen auch nicht sonderlich aufregen. "Venezia 64", wie man hier den Wettbewerb des Jahres 2007 nennt, verwöhnte mit Filmkunst auf hohem Niveau, bewies, dass aus Hollywood auch Anspruch kommen kann und ließ eine Filmsensation vermissen, die alle begeistert oder wenigstens entzweit. Drei Werke waren besonders im Gespräch: "The Darjeeling Limited", die einzigartig eigenartige Selbstfindung drei Brüder in Indien von Wes Anderson. Der Western "The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford" mit Brad Pitt als lebensmüdem Serienmörder. Und als mutigster, avanciertester Beitrag die frei assoziierende Bob Dylan-Biographie "I'm not there" von Todd Haynes.
Während Cannes in diesem Jahr betont jungen Leuten Platz im Programm machte, hat Venedig die alte Garde abbekommen: Woody Allen mit 76 Jahren und dem 43. Film "Cassandra's Dream" - durchgehend enttäuschend. Im Kwon Taek, der koreanische Altmeister (71) mit seinem 100.Film - wunderbar. Wieder hat er eine Geschichte über eine traditionelle Sängerfamilie gedreht: Der Vater ist fanatischer Künstler, der vor allem seine Stieftochter zur großen Sängerin machen will. Der Sohn verabschiedet sich irgendwann von der brotlosen Kunst und versucht ab dann jahrzehntelang, wieder mit der Stiefschwester zusammen zu kommen, weil sich beide lieben. Zwischendurch lässt der Vater seine Tochter erblinden, damit die nicht auch noch wegläuft und sich ganz auf die Kunst konzentrieren muss. Eric Rohmer (87, circa 50 Filme) blieb mit einem moralischen Schäferinnen-Stück weit in der Vergangenheit. Chabrol (77, mehr als 60 Filme) ließ der Moral erst gar keine Chance zwischen Lust und unglücklicher Liebe. Ken Loach ist zwar erst 71, machte aber auch nichts Neues im Kampf gegen Ausbeutung und Globalisierung. Der 98-jährige Manoel de Oliveira hält den Rekord und konnte uns deshalb noch eine wahrscheinlich persönlich erlebte Fußnote zum Landsmann Columbus erzählen.
Nicht unbedingt ein Trend, aber sehr erfreulich waren die Frischzellen-Kuren traditionsreicher Genres. Und solche neuen Sichtweisen verdanken wir meist den Asiaten. Der Western feierte mit "The Assassination ..." die (Wieder-) Entdeckung der Langsamkeit und mit Brad Pitt ein manisch-depressives Gesicht des Psycho-Duells. Doch die Krönung einer film-historischen Retrospektive zum Einfluss des Spaghetti-Western fand auch im Wettbewerb statt: "Sukiyaki Western Django" vom japanischen Kult-Regisseur Miike Takashi ist gleich Kult hoch drei. Wenn Quentin Tarantino im Epilog vor gemaltem Berg Fuji Essstäbchen aus dem Pistolen-Halfter zieht und mit herrlich von japanischem Dialekt durchsetzten Englisch die Saga vom Krieg des roten Heike- und des weißen Genji-Clans anhebt, dann jubeln die Asia-Fans und die alten Western-Knochen können sich ein Lächeln nicht verkneifen. Tatsächlich kreuzen sich bis zum letzten Gefecht immer wieder Colt und Samurai-Schwert, dazu mixt sich der Cowboy-Dress mit traditionellen japanischen Kostümen und anachronistischen Punk-Elementen. Eine rot-weiße Western-Stilblüte, die ungewohnt Spaß macht. Nur dass die japanischen Schauspieler alle Englisch sprechen mussten, so dass am Ende wohl weder japanische noch englische Ohren ohne Untertitel was mitbekommen, war eine Schnaps- ähm: Sake-Idee.
Greenaway erfreute, weil er in "Nightwatching", der Verfilmung von Rembrandts "Nachtwache" als Krimi, wieder zu seinen alten Qualitäten fand und den Abschied vom Erzählkino rückgängig machte. Auch der Überraschungsfilm überraschte tatsächlich: Johnny To, Meisterregisseur des Cop-Films aus Hongkong, landete mit "Mad Detective" einen Volltreffer genau zwischen den Augen: Ein Kommissar wie in Lynchs "Twin Peaks" gemischt mit "Monk" aus dem Fernsehen, klärt Fälle äußert unkonventionell auf, indem er die Tat nachspielt und sich dabei tatsächlich in die Mörder und Räuber versetzt. Zudem sieht er die vielfältigen Persönlichkeiten der Menschen ganz konkret als mehrere Personen. Man MUSS unweigerlich an die Bob Dylan-Biographie "I'm not there" denken! Bis zum Finale - selbstverständlich im Spiegelkabinett der Schizophrenie - findet noch ein komplizierter Austausch von Dienstwaffen statt. Das ist Johnny To pur und gefällt sowohl als Krimi als auch als verrückter Arthouse-Film.
So kann man auch den Klassiker "Mostra del cinema" auch siebzig Jahre nachdem der erste Filmprojektor anlief immer noch genießen. Die inhaltliche Revolution und Konzentration durch Festivaldirektor Marco Müller bleibt gelungen. Eine Runderneuerung der Infrastruktur wäre allerdings dringend vonnöten. Man staunt immer wieder, dass es dieses Festival überhaupt geben kann, weil an allen Ecken und Kanten irgendwas nicht funktioniert, aber sich auch keiner drum kümmert. Doch wenigstens die Filme liefen - und das sogar pünktlich.