30.1.07

Riding Alone for Thousands of Miles


Hongkong/China/Japan 2005 (Qian li zou dan qi) Regie: Zhang Yimou mit Ken Takakura FSK: o.A.
 
Zhang Yimou war einst Festivalliebling und Arthaus mit Filmen wie "Rote Laterne" oder "Ju Dou", dann bot er sich als Exportschlager für national-chinesische Großproduktionen, für grandiose Historienschinken wie "Hero" und "House of Flying Daggers" an. Vor dem nächsten Spektakel dieser Art ("Curse of the Golden Flower") ins Kino kommt, erscheint dieser stille, kleine Film - nur auf DVD: Um seinem im Sterben liegenden Sohn eine letzte Ehre zu erweisen, sucht der japanische Fischer Takata im ländlichen China einen traditionellen Opernsänger. Gleichzeitig Roadmovie und Familiendrama beeindruckt auch dieser Film mit Bildkraft. (Verkaufsstart: 06. Februar 2007)

29.1.07

Nach der Hochzeit


Dänemark, Schweden 2006 (Efter bryllupet) Regie: Susanne Bier mit Mads Mikkelsen, Rolf Lassgård, Sidse Babett Knudsen 125 Min. FSK: ab 12
 
Die blutige Träne machte ihn als Bondgegner weltberühmt: Nun zerdrückt der dänische Star Mads Mikkelsen ein paar Tränchen mehr und beeindruckt stark in dem packenden Familien- und Psychodrama von Susanne Bier.
 
Zwei Welten: Hier das Waisenhaus in Indien, in dem sich Jacob Petersen (Mads Mikkelsen) still, aber mit großem Herzen um die Straßenkinder kümmert. Als das Haus von der Schließung bedroht ist, soll Jacob zurück nach Dänemark, sein tief empfundener Widerstand hilft nicht.
 
Mikkelsen zeigt sich direkt als exzellenter Schauspieler, die Angst vor der luxuriösen Welt des Westens wirkt in seinem Gesicht noch eindringlicher als im verwirrenden Luxus des Hotels. Hier schwenkt dann die Handkamera - Copyright: dänisches Dogma - besonders schwindelerregend herum. Jacob hat ein Treffen mit dem reichen Mäzen Jorgen (Rolf Lassgård). Der hält ihn abgelenkt hin, bricht das Gespräch ab, lädt den irritierten Bittsteller aber zur Hochzeit seiner Tochter am Wochenende ein. Wieder willigt Jacob widerwillig ein. Dann überschlagen sich die Ereignisse.
 
Schnell wird klar, dass der Brautvater Jorgen hier etwas einfädelt. "Eine Prüfung" sagte er anfangs. Der extrem reiche Mann spielt mit seinen Mitmenschen. Weil er auch bei den Gefühlen berechenbare Sicherheit will? "Nur können wir nicht alles bestimmen in dieser Welt ..." Aber wir versuchen es doch, das Schicksal. Allerdings verdient selbst Jorgen die Gnade einer späteren Enthüllung.
 
Doch zuerst muss Jacob entdecken, dass da vor seinen Augen seine leibliche Tochter heiratet, von deren Existenz er nichts wusste. Jorgens Frau ist die Helene (Sidse Babett Knudsen), die den damals untreuen und saufenden Jacob in Indien zurückließ. Ein großer Moment für einen kleinen Tropfen, der gleich einige emotionale Fässer überlaufen lässt: Die Träne Jacobs in Nahaufnahme bei der Erkenntnis der Vaterschaft brennt sich stärker ein, als die blutige Varianten im "Casino Royale". Immer wieder gibt es "Nach der Hochzeit" Augen und Tränen ganz groß im Bild. Es gilt, eine ganze Menge Verschwiegenes runter zu spülen. So wie auch "Das Fest" enthüllte, deckt Susanne Bier (""Open Hearts", "Brothers") auf, was unter der oberflächlichen, satten Zufriedenheit verborgen liegt.
 
Wobei dies mit Sympathie und Verständnis für die realistischen Figuren, mit gespannter Aufmerksamkeit geschieht. Die Verlegenheit des ersten Gesprächs von Vater und Tochter etwa - rührend, herzergreifend ohne jeden Kitsch. Darin liegt gerade die Stärke von Susanne Bier, zeitlos und universell starke Geschichten mit neuen Mitteln zu erzählen. Vor allem das Spiel von Nah- und Detailaufnahmen erzeugt eine hochspannende Intimität mit den Figuren. Die unkonventionelle, von klassischen Regeln befreite Kamera-Führung mit dem kreativ sprunghaften Schnitt zeichnet die Welle exzellenter dänischer Filme aus, die nun schon mehr als einem Jahrzehnt die Gefühle von Arthouse-Fans mitreißt.

Dreamgirls


USA 2006 (Dreamgirls) Regie: Bill Condon mit Jamie Foxx, Jennifer Hudson, Beyoncé Knowles 134 Min. FSK: o.A.
 
Dreamgirls. Das ist der Traum vom Erfolg, wobei sich letzterer meist als bitter erweist. Der Traum von einem großen Musical-Film über eine berühmte "Mädchenband". Und nicht zuletzt der Traum von vielen Oscars für einen exakt kalkulierten, schillernden Film.
 
Viele Geschichten erzählt diese Musical: Ganz offensichtlich die eine über eine erfolgreiche schwarze Frauenband, die nicht zufällig an "The Supremes" mit Diana Ross erinnern. Drei Frauen aus einfachen Verhältnissen - Effie, Deena und Lorell - starten bei einem Nachwuchswettbewerb und enden an der Spitze der Hitparaden. Von Soul bis Disco reichen ihre Hits. Mit etwas Bestechung der Radio-DJs wurde selbst die Hochsicherheitsgrenze zwischen "Schwarzer" und "Weißer" Musik durchbrochen. Doch Effie (Jennifer Hudson) mit der sagenhaften Stimme und der etwas fülligen Figur wird vom gerissenen Manager Curtis (Jamie Foxx) gegen Deena (Beyoncé Knowles), die Frontfrau mit Star-Potential, ausgetauscht. Die begnadete Sängerin verlässt die Band und zerbricht fast daran.
 
Mitreißende Szenen liefern nicht nur die Bühnennummern und die Aufnahmen der Songs in Studios oder gar Auto-Garagen ganz am Anfang der Karriere. Auch viele der dramatischen Auseinandersetzungen werden im Musical-Stil gesungen und getanzt. Klar, es ist ja ein Musical, ein sagenhaft gut verfilmtes. Da kann man vom Kostüm- und Ausstattungs-Rausch (Sharen Davis / John Myhre) schwärmen, von der ausgefeilten Choreographie. Und von den Schauspielern, die (im Gegensatz zu "Chicago" und Co.) wirklich singen können. Jamie Foxx hat sich sehr seidig selbst schon als Soul-Sänger versucht. Beyoncé selbstverständlich, die als Traum-Frau Deena Jones des Managers glänzende Projektionsfolie darstellt, hinter der die Person verschwindet, wie einer der rührenden Songs zwischen lauter Abbildern Deenas zeigt. Curtis' Tragik, zeigt sich im Größenwahn des Warhol-Triptychon, das über seinem eigenen Schreibtisch thront. Das Bühnenbild hängt nicht nur Zeitkolorit aus, immer erzählt es expressiv von Stimmungen und Gefühlen. Den R & B-Star James Early gibt (Eddy Murphy) als James Brown-Hommage niemals albern und auch noch richtig gut.
 
Schön, dass dann auch noch bei der Besetzung selbst so eine typische Erfolgs-Geschichte mitspielt. Jennifer Hudson, die Darstellerin der geschassten Effie, wurde beim amerikanischen Superstar-Wettbewerb kurz vor dem Finale rausgeschmissen und feierte mit "Dreamgirls" ein filmreifes Comeback. Dieses dreckige Geschäft, das Oben und Unten, Drinnen und Draußen, zeigt sich treffend in zwei Momenten, bei denen ein Song einfach geklaut wird: Das eine mal ist es der erste Erfolg der drei jungen Sängerin. Dann macht es Curtis selbst bei seiner Ex-Sängerin Effie.
 
Die Show, die vom Entstehen und Vergehen ihrer Selbst singt, erlebte 1981 als Broadwaymusical ihre Premiere. David Geffen, Produzent mit auch so einer filmreifen Karriere, träumte lange von der Filmversion. Als das "G" neben Spielberg und Katzenberg in der mittlerweile verkauften Produktionsfirma DreamWorks SKG realisierte er seinen Traum. Das perfekte Unterhaltungs-Paket schnürte Bill Condon ("Gods and Monsters", "Kinsey" und das Drehbuch zu "Chicago"). Eskapistisch, wie es sich für ein Musical gehört, sind die sozialen Unruhen nur dekorativ eingestreut, nicht wirklich von Belang für alle, die Karriere machen oder an ihr zugrunde gehen. Doch dieser Traum wurde im wahrsten Sinne des Wortes glänzend und mitreißend in Szene gesetzt.
 

23.1.07

Idiocracy


USA 2005 (Idiocracy) Regie: Mike Judge mit Luke Wilson, Maya Rudolph, Dax Shepard 84 Min. FSK: ab 12
 
Ein dämlicher Film über die Verdummung der Menschheit? Macht das Sinn? Auf keinen Fall. Außerdem auch nicht besonders viel Spaß.
 
Joe Bowers ist selbst für die Army noch zu doof und wird im Archiv zwischengelagert. Für ein Experiment lässt er sich zusammen mit einer billigen Prostituierten einfrieren und wird - wie immer in solchen Filmen - vergessen. Erst 2505 rüttelt eine der dann üblichen Mülllawinen sie auch dem Tiefkühlschlaf. In der Zukunft gibt es nur noch Modells als Nachrichtensprecher. (Was ist daran neu?) Gatorate hat die komplette Flüssigkeitsversorgung übernommen. Auch das Bewässern der Pflanzen, die das selbstverständlich nicht überleben. Kurz: Weil die Doofen mehr Kinder kriegen als die IQ-Bestien, ist die Menschheit abgrundtief dämlich geworden. Millionen Menschen verhungern, Kriegen verwüsten überall Länder, Umwelt und Luft sind verschmutzt, das Klima ist eine Katastrophe ... ach, das sind ja die Nachrichten von heute.
 
Joe Bowers jedenfalls wird umgehend Minister des Wrestling-Präsidenten, landet aber auch direkt wieder im Knast. Weshalb die geringer Doofheit schließlich doch obsiegt, interessiert längst nicht mehr, wenn man das Gehirn wegen Unterbeanspruchung und humorloser Mangeldurchblutung längst abgeschaltet hat.

Das Fräulein


Schweiz/BRD 2006 (Das Fräulein) Regie: Andrea Staka mit Mirjana Karanovic, Marija Skaricic, Ljubica Jovic 81 Min. FSK: ab 6

Eine ganze Reihe guter Frauenfilme versucht die Grausamkeiten gegen Frauen in den Jugoslawien-Kriegen zu verarbeiten. "Esmas Geheimnis - Grbavica" von Jasmila Zbanic gewann den Goldenen Bären 2006. Das "Das geheime Leben der Worte" der Spanierin Coixet fesselte und schockierte auf höchstem cineastischen Niveau. Der Locarno-Sieger "Das Fräulein" notiert eher stiller, am Rand, die Nachbeben im Leben dreier Frauen.

"Das Fräulein" bringt drei Frauen jugoslawischer Herkunft in einer Züricher Kantine zusammen. Die junge Ana kommt gerade aus Sarajewo und stürzt sich exzessiv ins Leben, während die 50-jährige Kantinenbesitzerin Ruza jeden Rappen wie auch jede Regung fest verschließt. Wie diese stimmigen Figuren mit ihren eigenen Schmerzen aufeinander reagieren, hat die 33-jährige Andrea Staka in einer psychologisch dichten und ästhetisch fesselnden Weise inszeniert. Staka wurde in der Schweiz geboren, ihre Familie stammt aus Jugoslawien. Die Österreicherin Barbara Albert arbeitet übrigens am Drehbuch von sowohl "Esmas Geheimnis" als auch von "Das Fräulein" mit.

Arthur und die Minimoys


Frankreich 2006 (Arthur and the Minimoys) Regie: Luc Besson mit Mia Farrow, Freddie Highmore, Ron Crawford 97 Min. FSK: ab 6
 
Ein Puppenfilmchen mit Snoop Dogg, David Bowie, Madonna? Da steckt Musik drin und noch viel mehr. Alleskönner Luc Besson begibt sich auf das Terrain der ganz kleinen ... Zuschauer und Figuren. Die fantastische Reise von Arthur in der Art von "Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft" entdeckt Neuland auf spannende und originelle Weise.
 
Luc Besson erzählt sein Abenteuer für Kinder und Erwachsene auf zwei Ebenen: Im Realfilm erleben wir, wie böse Banker Arthur (Freddie Highmore) und seiner Oma (Mia Farrow) die Farm wegnehmen wollen. Daraufhin folgt der Jungen den Spuren des verschwundenen Großvaters und landet geschrumpft knapp unter der Grasnabe im Land der Minimoys, sehr knuffige Püppchen mit lebendigen Augen. Selber zum Minimoy und kleinem Held verwandelt, muss Arthur gleich mit der Prinzessin Selenia und ihrem Bruder Beta losziehen, um dem Schurken Maltazard samt seiner dunklen Scharen das Handwerk zu legen. Selenia erweist sich als resolute Heldin, eine Lara Croft, die erst mit ihrem Schwert zusticht und dann fragt.
 
Diese kleine Arthur-Legende bietet eine spannende Odyssee, eine kräftige Portion Fantasie und eine sympathische Hauptfigur, bei der man gerne mitfiebert. Die wunderbare Verwandlung von Mensch in Minimoy gelingt ebenso wie die Verbindung von Real- und Trickfilm. Luc Besson bringt heftige Action ins Zwergenland und für kleine Kinder vielleicht zu schauerliche Gestalten. David Bowie hat nach Tesla in "The Prestige" noch mal ein eindrucksvollen Auftritt. Wobei ihm der große böse Maltazard, dem er im Original die Stimme gibt, irgendwie ähnlicher sieht, als er sich selbst. (Madonna spricht die Prinzessin, Robert De Niro ihren Vater und Snopp Dogg einen bekifften Barkeeper.) Selbst die Rasanz von seinem Erfolg "Taxi" kann Besson transponieren, doch trotz vieler bekannter dramatischer Elemente entstand eine durchaus originelle und vor allem tolle Geschichte.

Blood Diamond


USA 2006 (Blood Diamond) Regie: Edward Zwick mit Leonardo DiCaprio, Jennifer Connelly, Djimon Hounsou 143 Min. FSK: ab 16
 
Blut-Diamanten, Sklaverei, Waffenhandel, Kindersoldaten, Diktaturen - alles keine schönen Sachen. Doch die Frisur von Leonard DiCaprio hält, in Rhodesien, in Sierra Leone oder was sonst ein schneller Dollar mit Waffen und Diamanten zu machen ist. Großes Engagement und große Kasse unter einem Hut? Regisseur Edward Zwick gelingen zumindest große Bilder...
 
Mitten im Bürgerkrieg von des bitterarmen westafrikanischen Sierra Leone stürzt brutaler Gewalt-Einbruch von der Leinwand. Zügellose Banditen morden, plündern, schlachten in einem kleinen Dorf. Die Familie des Fischers Solomon Vandy (Djimon Hounsou) wird auseinander gerissen, er verschleppt und versklavt zum Diamantenschürfen. Im dauernden Kampf zwischen Regierung und Rebellen wird die Mine befreit, gerade als Solomon einen sagenhaft großen Diamanten fand und unbeobachtet vergrub. Nur der Aufseher der Mine konnte ihn dabei beobachten und wird in seiner Gier von nun an Solomon und seine Familie verfolgen...
 
An einer anderen Stelle des Kreislaufes von Diamanten, Waffen und Gewalt verkauft der junge Waffenhändler Danny Archer (Leonardo DiCaprio) seine mörderische Ware an einen Rebellenführer, beim Schmuggeln des Diamanten-Lohns wird er erwischt - ausgerechnet vom einzigen nicht korrupten Soldaten des Films. Im Gefängnis trifft er auf Solomon und versucht danach alles, um den verzweifelten Familienvater zur gemeinsamen Suche zu bewegen.
 
Bevor sie wirklich ihre Kriegs-Odyssee starten, überfallen die Rebellen noch die Hauptstadt Freetown, Solomons Frau findet sich inhaftiert in einem überfüllten Flüchtlingslager. Sein Sohn wird durch blutige Folter und Gehirnwäsche zum seelenlosen Kindersoldaten. Es ist eine düstere Welt, die Regisseur Zwick in großen, grandiosen Bilder vorführt: Der skrupellose Söldner-General zwischen seinen Weinstöcken. Zynischer Smalltalk an der Strandbar. Dort trifft Danny auf die idealistische Journalistin Maddy Bowen (Jennifer Connelly), zwei völlig gegensätzliche Charaktere, die trotzdem voneinander angezogen sind. Was der Film allerdings nicht rüberbringt.
 
Wie im Kleinen die hehre Ethik der beteiligten Journalistin in Frage gestellt wird, so könnte man dem Film an sich kritische Fragen stellen. Für die Produktions-Millionen ließen sich sicher einige Flüchtlingslager versorgen. Aber es wäre naiv, zu denken, es geht bei "Blood Diamond" um ein hehres Ziel. Es geht um Erfolg an der Kasse. Wenn dabei beim nächsten Gang zum Juwelier die Frage, wo die Diamanten herkommen auftaucht, um so besser.
 
Ansonsten wirkt vieles aufgesetzt. Leichen und Stichworte werden gleichermaßen ins Bild geworfen. Der soundsovielte Machtwechsel erfolgt zwar mit einem gewaltigen Feuerwerk, aber es lässt einen kalt. Dadurch wirken die Action-Einlagen schal. Wenn etwas vermittelt wird, dann über Bilder. Etwa das riesige Flüchtlingslager, das eine Million Menschen einpfercht. Der zynische Kriegsgewinnler und die schöne Idealistin - das war "Der ewige Gärtner". Hier sind zwei von drei Hauptfiguren sind unglaubwürdig. Schlechte Voraussetzungen für einen wirklich guten Film.

22.1.07

Paris, je t'aime


Frankreich 2006 (Paris, je t’aime) Regie: Joel & Ethan Coen, Nobuhiro Suwa, Olivier Assayas, Gus Van Sant, Gérard Depardieu mit Emilie Ohana, Julie Bataille, Steve Buscemi, Axel Kiener, Juliette Binoche, Willem Dafoe, Orlando Bloom 120 Min. FSK: ab 6

Paris ist schönes Kino - das weiß man nicht erst seit "Amelie". 18 Facetten der "Stadt der Liebe", benannte nach Vierteln der Seine-Metropole, inszeniert von 21 Meisterregisseuren, Cannes-Sieger wie Gus van Sant oder Walter Salles, gespielt von Schauspielstars wie Juliette Binoche, William Dafoe, Elijah Wood oder Nick Nolte. Und dann gibt es auch die ganze Palette des Kinos: Drama, Abschiede, Horror und Liebe, vor allem Liebe. Was will man mehr: "Paris, je t’aime". Ein Film zum Verlieben.

Wir sind in Paris - auch wenn hier nicht alles wie im Reiseführer ist, was Steve Buscemi in der Coen-Episode "Tuileries" erleben muss. Er wird von einem eifersüchtigen Franzosen in der U-Bahn zusammengeschlagen und mit seinen Paris-Andenken überschüttet.

Aber vielleicht stimmen die Postkarten noch im "Quartier Latin", der Episode von Frédéric Auburtin und Gérard Depardieu. Gena Rowlands schrieb die Geschichte und trifft sich als Hauptdarstellerin mit ihrem Nochh-Mann (Ben Gazzara). Der will die offizielle Scheidung. Denn seine neue, junge Freundin erwartet ein Kind. Ein langer, sarkastischer Dialog voller Gefühl, begleitet von Depardieu als Restaurantchef.

Der schnellste Liebesgeschichten-Erzähler von "Paris, je t’aime" ist übrigens Tom Tykwer in "Faubourg St. Denis". Natalie Portman erlebt im genialen Zeitraffer die Jahreszeiten einer Liebe mit dem blinden Thomas. Und das Publikum eine schöne Überraschung. Bibelfeste ahnen, dass es ein Thomas immer etwas schwerem mit dem Glauben hat. Das ist "Lola rennt" kurz und auf Musik geschnitten - genial!

"Hobbit" Elijah Wood erfährt im "Quartier de la Madeleine", dass es neben dem French Kiss (Zungenkuss auf Englisch) auch einen "Vampires Kiss" (Regie und Drehbuch: Vincenzo Natali) in den Straßen von Paris gibt. Er verfällt dem Reiz eines weiblichen Vampirs, spendet sogar Blut, um selbst in den Biss-Genuss zu kommen. Diese innige Vereinigung bekam sogar Szenenapplaus in Cannes, wo der Film eine Nebensektion eröffnete.

Walter Salles und Daniela Thomas ("Die Reise des jungen Che") zeigen "Loin du 16ème" ein ergreifendes Sozialdrama: Eine junge Frau steht früh morgens in einer der tristen Vorstädte auf. Sie singt ihrem Baby ein Lied vor und gibt es dann in die Krippe. Nach einer langen, anstrengenden Fahrt mit Bahn und Bussen kommt die junge Frau bei ihrer Arbeitsstelle an: Sie kümmert sich als Kindermädchen um das Baby einer anderen Frau.

Bob Hoskins und Fanny Ardant leiden in "Pigalle" (Regie und Drehbuch: Richard LaGravenese) als altes Paar an der Liebe, die nicht mehr ist und spielen sich selbst trickreich ins Gefühl zurück. Alexander Payne ("About Schmidt") schickt eine amerikanische Postbotin mit furchtbarem Französisch auf die Reise.

Insgesamt ein wunderbares Füllhorn an Geschichten, Momenten und Erlebnissen. Und dabei ist das Kinoticket nach Paris sogar noch billiger als der Billig-Flieger.

17.1.07

Das Streben nach Glück

USA 2006 (The Pursuit of Happyness) Regie: Gabriele Muccino mit Will Smith, Thandie Newton, Jaden Smith 117 Min. FSK: o.A.

Für jemanden, der im noblen Bel Air aufgewachsen ist, geht es ihm ganz "schön" mies. Doch stopp: Wir dürfen ja nicht die überaus erfolgreiche Karriere von Multi-Millionär Will Smith mit seiner Rolle als "Prinz von Bel Air" und seiner aktuellen als alleinerziehender Praktikant verwechseln. Und keine Bange: Das Karriere-Melodram ist so gut gemacht, das man Will Smith glatt ein paar Dollar in die Hand drücken möchte.

In der "wahren Geschichte" des Börsenmenschen Chris Gardner verkörpert Smith zuerst den Klinkenputzer Gardner, der mit einer unverkäuflichen medizinischen Apparatur Anfang der 80-ger Jahre durch San Francisco rennt. Seine Frau verlässt ihn, auf den Schulden bleibt er sitzen und kümmert sich um den fünfjährigen Sohn. Irgendwann setzt er alle Hoffnung auf die Börse, da hier anscheinend die Reichen und Glücklichen zu Hause sind. Mit Rubiks Cube beeindruckt er einen Banker und bekommt eine unbezahlte (!) Praktikantenstelle.

Derweil reiht sich ein Unglück ans andere, die Erfolgsgeschichte sieht lange nach Melodram aus. Doch sympathisch geht Gardner auf die Menschen zu und wird seinen Weg machen - ihn spielt ja schließlich Will Smith! Und Thomas Jefferson hat das Streben nach Glück schon in der Unabhängigkeits-Erklärung verankert. Wohlgemerkt: Das Streben, nicht das Recht. In Zeiten, in denen immer mehr Leute immer weniger Jobs und Geld bekommen, könnte so ein gut gemachter Film aufrütteln. Allerdings kommt hier das soziale Unrecht aus heiterem Himmel, es gibt kaum gesamtgesellschaftliche Bezüge. Dafür ein paar anständige Stevie Wonder-Songs, gutes Schauspiel und bestimmt ein Happy End.

Chanson d' Amour


Frankreich 2006 (Quand j'etais chanteur) Regie: Xavier Giannoli mit Gérard Depardieu, Cécile De France, Mathieu Amalric 112 Min. FSK: o.A.
 
Die ewige Wahrheit der Schnulze und ein erneut ganz anders grandioser Gérard Depardieu machen diese altmodische Romanze zum ganz besonderen Vergnügen. Eine Mischung aus Begeisterungs-Schauern und leichtem Ekel überfällt einem, wenn Alain Moreau (Depardieu) in kleinen Clubs und bei Firmenfeiern sein angestaubtes Repertoire an Schlagern schmettert. Aber er macht es mit Stil, einige würden sagen, mit geschmacklosem Stil. Ein armseliger Sänger mit Würde. Und durchaus selbstkritisch. Doch Alain hat noch Erfolg bei älteren Damen und sein Auskommen.
 
Da trifft er die Immobilienmaklerin Marion (Cécile De France). Eine gemeinsame, schier endlose Wohnungssuche gibt dem Wort Kammerspiel neuen Sinn. Die leeren Wohnungen lassen Freiraum zum wortreichen Kennenlernen. Dabei redet Alain wie ein Wasserfall. Marion schweigt und strahlt Schönheit aus. Die Sache mit ihr läuft nicht wie geplant, dafür kommen die Schlager mit Nachdruck und treffen ins verletzte Herz.
 
Es ist grandios wie Regisseur Xavier Giannoli und Gérard Depardieu diese Figur des altmodisch gekleideten, übergewichtigen, abgehalfterten Schlagersängers eben nicht diskreditieren. In mit Anstand seiner Liebe nachschwärmen lassen. "Pour un flirt avec toi" klang es zu Anfang. Es muss nicht gleich mit "Morir di amor" enden, es wird weitergehen, irgendwie: Qui sas, Perhaps, Qui sais...

Rache ist sexy


USA 2006 (John Tucker Must Die) Regie: Betty Thomas mit Jesse Metcalfe, Brittany Snow, Ashanti 89 Min. FSK: o.A.
 
Drei Highschool-Mädels tun sich zusammen um den Basketball-Star John Tucker fertig zu machen, der sie alle betrogen hat.  Dabei öffnet ihnen Kate (Brittany Snow) die dick geschminkten Augen und einigt sie zum Rachezug. Ausgerechnet Kate, die noch keine Erfahrung mit Jungs hatte und bislang wie unsichtbar durchs Schulleben ging.
Die typische Teenagerkomödie will vermitteln, dass auch in Gefühlsdingen Lügen kurze Beine haben. Und mit kurzen Beinen kriegt man ja schließlich keinen ab. Das macht mal Spaß, wenn John Tucker, nachdem man ihm Östrogen in das Muskelpülverchen gemischt hat, weinerlich auf dem Platz rumzickt. Doch ihm gelingt erstaunlicherweise immer wieder der Rebound. Als sie ihm einen Herpes anhängen, kriegt er dafür einen Preis. Dann schicken sie ihn im sexy Mädchen-Slip auf den Hotelgang und am nächsten Tag laufen alle Spieler mit Stringtanga auf.
 
Allerdings gerät die Rache dann doch für Kate zu einem romantischen Geschichtchen. Das hässliche Entchen wandelt sich zum hässlichen Star. Der Teeniefilm allerdings bleibt sich treu: Mit Ausnahme kleiner flotter Einsprengsel ist er ermüdend konventionell.

Wer Feuer sät...


USA 2006 (Catch a Fire) Regie: Phillip Noyce mit Derek Luke, Tim Robbins, Bonnie Mbuli 101 Min. FSK: ab 12

Wie sich Sicherheitsorgane ihre eigenen Terroristen schaffen, zeigt diese packende Geschichte aus dem Südafrika der Apartheid. Ein unpolitischer Familienvater wandelt sich unter Folter-Druck der Staatsgewalt zum Freiheitskämpfer. Nach der Hochspannung von "Todesstille", den politischen Thrillern "Long Walk Home" und "Der stille Amerikaner" inszeniert Phillip Noyce wieder mitreißend und gut.

Patrick Chamusso (Derek Luke) lebt als ein Musterbürger zweiter Ordnung im Südafrika der Rassentrennung. Der Familienvater ist ein lernbegieriger, angepasster Vorarbeiter, der mit vielen Bücklingen seinen Mitarbeiter auch schon mal Kaffer nennt, um ihn vor einer Strafe zu schützen. Als Trainer einer Jugend-Fußballmannschaft großes Vorbild, scheint er mit seinem aufmerksamen, klugen Handeln die Gefahren der Apartheid zu umschiffen. Doch dann geraten ein falscher Verdacht und ein brutaler Polizei-Offizier in sein Leben.

An Patricks Arbeitsplatz, einer Raffinerie, explodieren Bomben. Der Polizist Nic Vos (Tim Robbins) nimmt gleich eine ganze Straße schwarzer Arbeiter fest, foltert sie, lässt Patricks Frau schlagen und vergewaltigen. Doch der brutale Fuchs Vos erkennt letztendlich die Unschuld seines Opfers. Nach der Freilassung geht Patrick nach Angola in ein Ausbildungslager des ANC und plant den Anschlag, der ihm fälschlich vorgeworfen wurde.

Es ist immer wieder schockierend, mit welcher Selbstverständlichkeit die Buren die schwarzen Bewohner des Landes schikanierten, unterdrückten, folterten und einfach umbrachten. Diese Verachtung kristallisiert sich in Nic Vos, dem Saubermann, der seine Familie und deren Reichtum in der weißen Enklave erhalten will. Dafür foltert und tötet er. Für seine unsinnigen Angst, die damals Kommunismus und Terrorismus hieß. Letztlich schafft diese Angst, dieser Terror des Staates erst die Terroristen, die er vorher herbei fantasierte: "Wer Feuer sät ..." Aus dem angepassten, unpolitischen Hilfsarbeiter wird so ein gefährlicher Gegner des Unrecht-Staates.

16.1.07

The Fountain


USA 2006 (The Fountain) Regie und Buch: Darren Aronofsky mit Hugh Jackman, Rachel Weisz, Ellen Burstyn, Mark Margolis, Stephen McHattie 94 Min. FSK: ab 12
 
Vom 16. Jahrhundert der spanischen Eroberung Lateinamerikas bis zum 26. Jahrhundert irgendwo draußen in einem fernen Sternennebel reicht der Bogen dieses Liebes- und Lebensfilms. Die Suche nach dem Ewigen Leben, der Kampf gegen Krankheit und Tod entfremdet einen Mann über ein Jahrtausend von seiner Liebe. Nach "Pi" und "Requiem for a Dream" gelang dem Regie-Unikat Darren Aronofsky mit "The Fountain" erneut eine komplexe und faszinierende Filmwelt.
 
Der Konquistador Tomas Verde (Hugh Jackman) sucht für seine spanische Königin Isabel (Rachel Weisz) mit Schwert und Kompass den biblischen Baum des Lebens, den Gott nach Adam und Evas Sündenfall versteckt hatte, die Quelle (engl.: the fountain) des ewigen Lebens. Alte Sagen berichten, dass ihn Maya-Priester irgendwo bei ihren Pyramiden im Dschungel versteckt halten. Der tiefere Sinn dieser fantastischen Geschichte erschließt sich in einer anderen Ebene des Films, die heute spielt. Dort versucht Tom Creo (Hugh Jackman), das Alter Ego des forschen Entdeckers, verzweifelt mit Tierexperimenten den Hirntumor seiner Frau Izzi Creo (Rachel Weisz) zu stoppen. Kurz vor dem Durchbruch, der das Leben seiner Liebe retten könnte. Tragisch dabei, dass der Wissenschaftler vor lauter Forscherdrang seine sterbende Frau vernachlässigt, ihr nicht die Nähe gibt, die sie nur noch spüren will. Weil Izzi sich längst mit dem Unabänderlichen abgefunden hat. Als Nachlass schrieb sie ein Buch, das von einem spanischen Eroberer erzählt. Und von einem Weltraum-Reisenden. Ihr letzter Wunsch war, dass Tom diese Geschichte fortschreiben und somit verstehen würde.
 
Doch die Reise geht weiter in Sphären, die Aronofsky bei der Premiere in Cannes dem Kitschvorwurf ausgesetzt haben: In einer großen Kugel schwebt Tommy (wieder Jackman) zum Sternennebel Xibalba, wo sich nach der Maya-Mythologie die Unterwelt befinden soll. Mitten in der Kugel wächst der Baum des Lebens. Und ein Mann versucht immer noch, sich mit dem Tod abzufinden...
 
Eindrucksvolle Film- und Gedanken-Bilder gibt es reichlich beim lang erwarteten neuen Film von Darren Aronofsky, der mit "Pi" sowie "Requiem for a dream" mitreißende Strudel aus Bildern und Tönen aufwirbelte. Nun geht es in "The Fountain" um Leben und Tod. Vor allem in den Science Fiction-Szenen kann man Aronofsky Beziehung zu Kubrick ahnen, zu den abgehobenen Bildrätseln des im All von "2001" schwebenden Zimmers. In den drei eng verbundenen Ebenen stehen sich ein männliches Prinzip der Ratio und ein weibliches Verständnis für den Lebenszyklus gegenüber. Im Kern eine wichtige, eine spannende Idee, die man sich nicht von teilweise kitschigen Bildern verstellen lassen sollte.

Flags of our Fathers


USA 2006 (Flags of our Fathers) Regie: Clint Eastwood mit Ryan Phillippe, Jesse Bradford, Adam Beach 131 Min. FSK: ab 12
 
Clint Eastwood hat eine erstaunliche Karriere hinter sich: Als TV-Cowboy über den Spaghetti-Western zum internationalen Star geworden, dann lange festgelegt auf den "Dirty Harry", aber doch noch die Kurve zum exzellenten, vielseitigen Schauspieler geschafft und gleichzeitig zum Regisseur gewachsen, dem mittlerweile alles gelingt. Nun drehte der 76-Jährige nach langer Zeit wieder einen Kriegsfilm, der allerdings vor allem das Heldentum in Frage stellt.
 
In den letzten Monaten des 2.Weltkrieges ist die Iwo Jima schwer umkämpft. Auf dem Haufen Dreck im Pazifik ist jeder Quadratmeter von Bomben und Granaten umgepflügt. Ganze Flottenverbände karren junge amerikanische Männer heran, die Iwo Jima von den Japanern erobern sollen. Mitten in diesem Schlachten, das Eastwood drastisch, aber nicht so schockend wie Spielbergs "Soldat Ryan" darstellt, hissen ein paar Soldaten die amerikanische Nationalflagge. Das Foto dieser Szene taucht sofort auf allen Titelseiten auf, drei der Beteiligten werden propagandistisch zu Helden hochgejubelt und touren durch die Heimat, um weitere Milliarden für die Waffenindustrie einzusammeln.
 
Der Hohn hinter diesen historischen Ereignissen: Die Drei waren gar nicht die eigentlichen Flaggenhisser, sie bildeten quasi ein unbedeutendes Ersatzteam. Außerdem ereignete sich alles am fünften Tag der Eroberung der Insel - die Kämpfe gingen jedoch noch 35 Tage weiter. Deshalb gab es auch kaum Überlebende zum Hochjubeln und zur Heldenverehrung.
 
Eastwood erzählt seine sehr menschliche, allerdings nicht gänzlich unpatriotische Geschichte geschickt auf mehreren Zeitebenen: Einerseits schildert er die drei "Helden". Den stolzen Schönling Rene, den von allem angewiderten Indianer Ira und der nachdenkliche Erzähler Bradley. Ira beginnt zu trinken, auch wenn er in vielen Kneipen als Indianer kein Bier bekommt. Opportunist Rene holt das Maximale aus der Lüge raus. Patriotische Parolen stehen Anstand und gesundem Menschenverstand gegenüber - man zieht dabei selbstverständlich Vergleiche zum Irak, zu Afghanistan... Besonders wertvolle Gedanken in Zeiten, in denen Regierungen und Abgeordnete andere Menschen ihres Landes mit zunehmender Begeisterung in alle möglichen Kriege schicken.
 
Während der oft ekelhaften Propaganda-Tour erinnern sich die Helden wider Willen immer wieder an das wahre Grauen, das gar nicht heldenhafte Gemetzel. Schwerste Verwundungen, Gedärme, abgetrennte Glieder, Momente tierischer Rache. Nicht wirklich ein Antikriegs-Film, aber trotzdem sehr wirkungsvoll. Dabei kann einem schon mal von Erdbeersoße schlecht werden, die über eine geschmacklose Eisfigur der Flaggenpflanzer gegossen wird. In der aktuellsten Zeit stehen alte Männer immer noch allein in verwüsteten, verbrannten Landschaften ihrer Albträume und suchen einen Freund.
 
Der Blick zurück von Ryan Phillippe, der den Erzähler John "Doc" Bradley spielt, ist symptomatisch. Es bleibt die Perspektive der Kriegs-Teilnehmer. Für sie muss das alles Sinn gehabt haben. Das Massaker muss Leben gerettet haben, weil die eroberte Insel später als Flughafen für Bomber gegen Japan benutzt wurde. Diese Erinnerungen hielt der reale John Bradley fest, sein Sohn Jamessetzte die Arbeit fort und schrieb auch das Drehbuch mit Paul Haggis ("Million Dollar Baby") und William Brayley Jr. ("Jarhead"). Es entstand ein melancholischer Kommentar zum Heldentum. Im letzten Bild legen die Soldaten fast utopisch Waffen und Uniformen ab und baden im Pazifik. Ganz einfach ein Haufen ausgelassener Jungens.

9.1.07

The last days


USA 2005 (The last days) Regie: Gus Van Sant mit Michael Pitt, Lukas Haas, Asia Argento 97 Min.
 
Man braucht es nicht zu wissen: "Last Days" soll die letzten Tage der Grunge-Legende Kurt Cobain zeigen. Der Leadsänger von Nirvana erschoss sich im April 1994 mit einem Gewehr. Wer jetzt Details, Hintergründe oder gar wilde Auftritte von Skandal-Nudel Courtney Cox erwartet, ist im falschen Film. "Last Days" wird bestimmt von Stimmungen. Die Kamera folgt dem jungen Rocker Blake (Michael Pitt), auf seinem Anwesen und drumherum delierend. Nebenbei, aber doch wie schon in einer anderen Welt, treffen "Freunde" ein, kümmern sich um ihre Dinge. Vor allem eine große Einsamkeit entströmt diesen Bildern. Ein Mensch ist schon nicht mehr in dieser Welt, bereits von den anderen getrennt, der Tod letztendlich nur noch ein leiser Schock.
 
Mit "Last Days" schließt Gus van Sant ("To Die For", "Good Will Hunting") eine Trilogie ab. Wie in "Gerry" und dem Cannes-Sieger "Elephant" filmt er mit eigenem Stil, Handkamera, langen Sequenzen. Dem dänischen Dogma anverwandt, allerdings nicht so dogmatisch. Teilweise unbekannte Darsteller füllen die Rollen gut aus, ohne dass sie sich aus der Gesamtkomposition herausspielen. Inszeniert wurde ohne festes Script, wenn Songs im Hintergrund laufen, dann meist ganze Lieder. Vor allem die langen Einstellungen lassen einen "wirklich kucken". Wer sich einlässt auf diese Filme, erlebt Kino auf eine ganz andere, sehr intensive Weise. Komposition ist dabei das Stichwort, "Last Days" ist wie auch "Elephant" über weite Strecken eine Symphonie aus Bildern, Bewegungen, wirkungsvollen Schnitten und Musik.

Lady Vengeance


Südkorea 2005 (Chinjeolhan geumjasshi / Sympathy for Lady Vengeance) Regie: Park Chan-wook mit Lee Yeong-ae, Choi Min-sik, Oh Dal-su 115 Min. FSK: ab 16
 
Schon jetzt ist einer der schönsten, bewegendsten, besten Filme des Jahres zu erleben: "Lady Vengeance" erzählt mit meisterlicher Brillanz in Story, Bild und Ton von Schuld und Sühne. Eine Mutter wird wegen Entführung und Mord verurteilt. Erst nach Gefängnisstrafe und Rachezug kommt die Wahrheit ans Licht. Das koreanische Kino zeigt sich bei Park Chan-wook wieder als eines der faszinierendsten unserer Zeit - nicht nur mit Kim Ki-Duk oder Alt-Meister Im Kwon Teak.
 
Dreizehn Jahre saß Geum-ja Lee im Knast, weil sie einen Jungen entführt und ermordet haben soll. Dort wurde sie zum Engel der Schwachen, half allen. Auch mal zum schnellen Tod als Strafe für übles Verhalten. Nun stößt sie die Samariter weg, die sie am Gefängnistor empfangen, schminkt sie die Augenlider rot und nimmt mit Hilfe der Freunde aus der Haft Rache.
 
Auf allen Ebenen faszinierend entwickelt sich die Geschichte in einigen Rückblenden und im Gesicht von Geum-ja Lee, zurückhaltend gespielt von Lee Yeong-ae ("Joint Security Area"). Doch obwohl die Brillanz der Bilder, die Details mit Kultpotential, locker mit "Kill Bill" und ähnlichem mithalten, ist dies erst die Basis für ein erschütterndes Drama. In einer Schlüsselszene entscheiden die Eltern der ermordeten Kinder, ob sie selber Rache üben oder den Täter - ein Lehrer, der von den Kinder genervt war, und sich grausamst an ihnen verging - der Polizei ausliefern. Man entscheidet sich zur Vergeltung a la "Mord auf dem Nil" - nur fließt hier Blut. Dazu spielt eine fast heitere Melodie. Klassische Musik wie besonders eindrucksvolle im gesamten Film.
 
Das geht nicht ohne Gewalt ab, "Lady Vengeance" ist keineswegs zimperlich, aber die Blutströme sind nichts vergleichen mit den seelischen Grausamkeiten. Hier klaffen ähnlich dramatische Tiefen wie in Dürrenmatts "Es geschah am helllichten Tag". Aber "Lady Vengeance" zeigt niemals diese Entseelung wie bei den rächenden amerikanischen Action-Figuren. Hier zeigt sich ein wahnsinniges Gesicht, zerrissen zwischen Leid und Liebe. Ganz wie der Film mit ungemein feinen, zärtlichen Momenten und mit Gewalt lebt.
 
Es ist die alte Folge von Schuld und Sühne, nur etwas komplizierter, weil Geum-ja Lee ja unschuldig verurteilt wurde. Am Ende seiner Rache-Trilogie (nach "Sympathy for Mr. Vengeance" und "Oldboy") gönnt uns der süd-koreanische Meister Park Chan-wook die betörende Reinheit des alles überdeckenden Schnees.

Der Fluch der Betsy Bell


USA 2004 (An American Haunting) Regie: Courtney Solomon mit Donald Sutherland, Sissy Spacek, Rachel Hurd-Wood 90 Min. FSK: ab 16
 
Es war einmal eine Frau, die von übernatürlichen Erscheinungen verfolgt wurde. Überall, wo man sie sah, waren Geister und Dämonen nicht fern. Doch wir wollen hier nicht die bedauernswert einseitige Karriere der Sissy Spacek analysieren. Darf sie doch in dieser historischen Horrorgeschichte wieder eine komplexere Rolle spielen. Genau wie der Film im Horror-Mäntelchen daherkommt, aber letztendlich von sexueller Gewalt in der Familie erzählt.
 
Das junge Mädchen Betsy Bell (Rachel Hurd-Wood) wird von etwas Unsichtbarem durch das Zimmer geschleift, geohrfeigt, getreten und gezwackt. Nachdem sich das Wesen ein paar Nächte so ausgetobt hat, ereignen sich im Bett eindeutige Stellungen und Zuckungen. Die Perspektive dieses Geistes sehen wir etwas farbloser, doch blass werden irgendwann alle Beteiligten. Man muss unweigerlich an den "Exorzist" denken. Oder besser gleich an Schmids "Requiem", der realen, psychologischen Seite dieser Teufeleien, um dem Filmschrecken und dem Aberglauben etwas Realität entgegen zu halten.
 
Es handelt sich wohl um den Fluch einer Nachbarin, der die Familie Bell mit Unheimlichen verfolgt. Weil Vater John (Donald Sutherland) unchristliche Zinsen verlangte - angesichts heutiger Dispokredite wünscht man so was auch den Bankern an den Hals. Doch im letzten Teil des Films erfährt er eine heftige Wendung: Das wahre Böse ist ziemlich real, nämlich der Vater, der seine Tochter vergewaltigt. Das Übernatürliche manifestiert nur die Verdrängung des Unfassbaren. Das funktioniert logisch nicht richtig, ist aber immerhin relevanter als der übliche Horror.
 
So erweist dieser "Fluch" nicht nur ungewöhnlich in seiner Handlung. Mit gutem Schauspiel, stimmungsvollen Bildern und sorgfältiger Inszenierung hebt er sich vom üblichen Horror ab. Der dosierte Schrecken baut nicht - wie so auf in diesem Genre - nur ein paar bekannte Namen, die den Großteil des Etats verschlingen und den Rest dementsprechend schlecht aussehen lassen.

Die Queen


Großbritannien 2006 (The Queen) Regie: Stephen Frears mit Helen Mirren, James Cromwell, Alex Jennings 97 Min. FSK: ab 6
 
God save the Queen. Mag der ganze Adel auch nutzlos wie ein Furunkel der Geschichte sein, wenigstens beschert er einem umwerfende Komödien wie diese oder Hape Kerkelings "Willi und die Windzors". Multitalent Stephen Frears, der jedes Genre beherrscht, amüsiert mit anfangs spitzer, aber letztendlich versöhnlicher Kritik einer überkommenen Kaste.
 
Harte Zeiten für Lisbeth: Ihre Ex-Schwiegertochter verunglückte mitten in einer ziemlich skandalösen Affäre. Die ganze Nachbarschaft schaut zu und die Enkel müssen den Tod ihrer Mutter verkraften. Nun ist die gute Lisbeth von Beruf König von England (grandios gespielt von Helen Mirren). Die historischen Ereignisse der dramatischen Zeit nach dem Tod von Lady Di werden aus der Perspektive des englischen Premierministers erzählt, des neuen Premiers, Tony Blair (Michael Sheen). Seinen sensationellen Wahlerfolg verdankte er zum Teil auch kritischen Äußerungen gegen das Königshaus. Nun geht es zum Antrittsbesuch bei der Königin mit allen Formalien mit höflichen Verbeugungen und schon hier kommt eine Ahnung auf, der so erfolgreiche, junge und moderne Politiker könnte einknicken. Verhält sich doch seine Gattin viel spöttischer gegenüber Königin und Ritual.
 
Doch in der nationalen Erschütterung um den Tod Diana entwickelt sich ein Machtkampf zwischen hochnäsiger Herrscherin und dem Regierenden. Dabei hat sie schlechte Karten, das Volk versteht nicht die kühle Reaktion auf den Tod der ungeliebten Schwiegertochter. Man zieht sich auf ein Landschloss zurück und Prinz Phillip (James Cromwell) - die grandiose Nachnummer des Films - geht mit den Jungs erst mal jagen. Blair ist in einer Zwickmühle: Eigentlich könnte er jetzt der teuren, unnötigen Monarchie einen Todesstoß versetzen. Doch die resolute alte Dame hat ihn schon für sich eingenommen und er hilft mit seiner besten Qualität. Als Imageberater sorgt er dafür, dass die Windsor auch diese Krise überstehen. Dafür kann sie ihn beim nächsten wöchentlichen Kamingespräch wieder von oben herab maßregeln. Sie hat schließlich auch schon Winston Churchill kommen und gehen sehen...
 
"The Queen" von Stephen Frears ("Mein wunderbarer Waschsalon") rüttelt trotz seines sehr treffenden, herrlichen Spotts über Elisabeth und ihre bizarre Familie nicht an den Grundfesten des britischen Königshauses. Doch das Lachen über eine sagenhafte und zum Verwechseln gut spielende Helen Mirren als zickige, schnippische Königin erschütterte die Kinos. Selten wurde der adelige Haufen so verspottet, allerdings auch mit menschlichen Seiten ausgestattet. Der große Verlierer ist dabei allerdings Blair, der letztendlich der Ausstrahlung der überkommenen Herrscherin verfällt. Nur wir haben gesehen, dass auch sie ein paar Tränen zerdrückte - nicht um Diana, sondern wegen eines erlegten Hirschs.
 
In Venedig wurde Helen Mirren wie erwartet zur Besten Hauptdarstellerin gewählt. "The Queen" von erhielt auch den Drehbuchpreis und war Bester Film für die Internationale Filmkritik (FIPRESCI).
 

4.1.07

Kinojahr 2007 - Ein Ausblick


Von Günter H. Jekubzik
 
Was bringt das neue Kinojahr? Filmverleiher zeigen dazu gerne Trailer mit Ausschnitten ihrer Top-Titel. Dem Publikum bleibt dieser "Genuss" zum Glück erspart, aber 2007 gibt es einen "Trailer", der alles enthält, was Kino sehenswert macht: Gleich zu Anfang des Jahres läuft "Paris, je t'aime" (25.1.) mit Meisterregisseuren, Cannes-Siegern (Gus van Sant, Walter Salles), Schauspielstars wie Juliette Binoche, William Dafoe, Elijah Wood oder Nick Nolte. Sie verzaubern mit Dramen, Abschieden, Horror und Liebe, vor allem mit Liebe. Denn alle Episoden spielen schließlich in Paris - ein Kinofest!
 
Oscar-Favoriten
In den anderen Sälen feiern die Kinos zu Anfang des Jahres viele amerikanische Oscar-Kandidaten ab: Sean Penn brilliert schon jetzt als populistischer Politiker in "Das Spiel der Macht". Der große, stille Mann der Regiekunst, Clint Eastwood, darf alles. Sogar Kriegsfilmen von ihm blickt man gespannt entgegen. Entkräftet er doch eines der Argumente gegen das Massenmorden auf der Leinwand mit zwei Filmen, die sowohl die Perspektive der Amerikaner ("Flags of our Fathers", 18.1.) als auch die der Japaner ("Letters From Iwo Jima", 22.2.) beim Kampf um die Pazifik-Insel Iwo Jima im Februar 1945. Beide Filme wurden fast zeitgleich gedreht.
 
 
Unendliche Geschichten, Teil 3
Auch die "Piraten der Karibik" haben beim Dreh Sonderschichten eingelegt, so dass Teil 3 "Fluch der Karibik 3 - Am Ende der Welt" bereits fertig war, als Teil 2 im letzten Jahr im Kino lief. Das nicht besonders befriedigende Ende sollte also die Neugierde auf die weiteren schauerlichen Abenteuer von Johnny Depp als Jack Sparrow steigern. Das kleine Einmaleins des Kinos übt auch dieses Jahr vor allem die Zahlen von 1 bis 3 ein: "Spider-Man 3", Bruce Willis mit "Stirb langsam 4", "Wilde Kerle 4" (1.2.), "Shrek der Dritte" (22.6.). "Hannibal Rising - Wie alles begann" bei Hannibal Lector, wissen wir eigentlich schon bestens seit Michael Manns "Roter Drache". Doch Hollywood setzt auf kurzes Filmgedächtnis und startet das "Prequel" am 15.2. Das Comeback von Senior Sylvester Stallone als "Rocky Balboa" (hier hat man schon aufgehört zu zählen) wird in Deutschland nach der niederschmetternden Rückkehr von Axel Schulz vielleicht nicht besonders gut ankommen (8.2.). Außerdem in der Abteilung "unnötig": Die ganzen Gemetzel a la "Saw 3" oder "Hostel 2" (12.4.). Nur das Rat Pack von heute, Steven Soderbergh und George Clooney nehmen die ganze Fortsetzungs-Einfalt auf höchstem Niveau in "Ocean's Thirteen" (7.6.) auf die Schippe.
 
 
Neues aus deutschen Landen
Was ganz anderes macht Michael "Bully" Herbig. Nach Western- und Science Fiction-Parodien werden in "Lissy und der wilde Kaiser" (20.9.) jetzt die Sissi-Filme durch den Humor-Wolf gedreht. Die Komiker Pastewka und Kalkofe legen mit "Neues vom Wixxer" (22.3.) noch mal ein paar Erinnerungen an Edgar Wallace nach.
Noch vor der Berlinale sorgt eine NRW-Produktion für einen gewaltigen Paukenschlag: "Mein Führer - die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler", der neue Film von Dani Levy ("Alles auf Zucker") wird mit Helge Schneider als Adolf Hitler schon nächste Woche laute Lacher und heftige Diskussionen hervorrufen (11.1.). Til Schweiger hängt sich als Hauptdarsteller und Produzent der deutsch-kanadischen Produktion "One Way" ab dem 25.1. wieder richtig rein. Er spielt einen Werbemanager, der kurz vor seinem beruflichen und privaten Durchbruch einen dramatischen Fehler begeht. Die Filmstiftung NRW förderte das Drama mit 100.000 Euro.
 
Festivals jubilieren
Zwei Festival werden 2007 richtig alt aussehen - und sind auch noch stolz darauf: Venedig hatte vor 75 Jahren die erste Ausgabe seiner "Mostra Internazionale d'Arte Cinematografica". So gibt es bei der 64.Ausgabe einen Spezial-Löwen zum Jubiläum. Auch die Schweiz ist mit Locarno fast schon im Rentenalter. Die Eidgenossen feiern ihre 60. Ausgabe im August. Die Siegerin der letzten Ausgabe, "Das Fräulein", erzählt seine jugoslawische Frauengeschichte schon Ende Januar.
 
Im Juli macht sich das Kino dünne, auch wenn es keine WM gibt: Schon Ende Juli traut sich kein Film mehr ins Kino, weil "Harry Potter und der Orden des Phoenix" am 12.7.2007 startet. Wird der erste Kuss des Zauberlehrlings dem Klassiker aus "Casablanca" Konkurrenz machen? Danach auch erschreckende Leere auf dem Startkalender bis sich vierzehn Tage später die Simpson respektlos auch im Kino breit machen.
 
Aber vielleicht lässt sich Ende 2007 mit "Alien vs Predator" wieder mal konstatieren, die sehen doch alle gleich aus - diese Filme. Auch wenn das Kinojahr soweit festgelegt scheint, ist immer viel Raum für Festivalüberraschungen und eigene Entscheidungen: Was will das Publikum? Weiter lauter, teurer? Oder "besser" auf andere Art, vielleicht mal mit besseren und originellen Geschichten.

3.1.07

Schweinchen Wilbur und seine Freunde


USA 2006 (Charlotte's Web) Regie: Gary Winick mit Dakota Fanning, Siobhan Fallon, Gary Basaraba 97 Min. FSK: o.A.
 
Eine Sauerei, was die armen Schweine im Tierfilm heutzutage alles machen müssen: Da grinsen Ferkel durchgehend und reden sich den Mund fusselig. Schafe schauen auf Bestellung blöd aus der Wäsche. Und selbst eine Spinne seilt sich sekundengenau auf die Markierung vor der Kamera ab, um fehlerfrei ihren Text abzuliefern. Oder stecken vielleicht doch digitale Techniken hinter den Tier-Tricks?
 
Ein Schweinchen namens Wilbur wird von der kleinen Farmertochter Fern (Dakota Fanning) vor der frühzeitigen Verwurstung gerettet. Erst als Haustier und dann im Stall der Nachbarn wächst Wilbur zu einem naiven, aber netten Kerlchen auf. Die Gesellschaft aus Schafen, Kühen, Gänsen und Pferden verplappert sich allerdings. So erfährt das "Frühlings-Schwein" Wilbur, dass es Weihnachten schon geräuchert sein wird. Doch jetzt folgt der starke Auftritt der weisen Stall-Spinne Charlotte: Sie spinnt fortan Botschaften in ihr Netz, welche die Menschen staunen lassen und Wilbur retten.
 
Dieser Mix aus Realfilm und Animation, aus Dressur- und Computertricks zeitigt zeitweise erstaunliche Ergebnisse. Beim nächsten Besuch im Stall könnten sich die kindlichen Zuschauer beschweren, dass die Tiere nicht richtig sprechen und sich irgendwie scheu verhalten. Darin liegt allerdings auch eine Stern-Stunde verborgen: Denn der Kinderfilm leistet Großartiges in der Verhinderung von Spinnenphobie! (Wer sie schon hat, darf seinen Feind jetzt mal richtig ins Auge blicken - in Großaufnahme!) Eine freche Ratte sorgt dabei für Ausgleich, in dem sie alles, also auch zu viel Süße sofort verputzt. Was nicht heißt, dass Dakota Fanning, diese schauspielerische Verkörperung von "Oh, wie süß!" angeknabbert wird.

Das Spiel der Macht


USA 2006 (All the King's Men) Regie: Steven Zaillian mit Sean Penn, Jude Law, Sir Anthony Hopkins 128 Min. FSK: ab 12
 
Die Macht und die vierte Gewalt im Staate. Die Politikerkaste und die Presse. Könnte Thema eines drögen Seminars sein. Aber auch ein faszinierender, packender, exzellent besetzter Film. So einer entstand schon zwei Mal nach dem Tatsachenroman "All the King's Men" von Pulitzer-Preisträger Robert Penn Warren. 1949 hieß er "Der Mann, der herrschen wollte". Jetzt macht Sean Penn als Politiker Karriere und Jude Law ist sein Schreibtischtäter.
 
Willie Stark (Sean Penn) gibt das Muster eines Populisten. Als im Süden der USA eine Schule über den Kindern zusammenbricht, hat seine Stunde geschlagen. Mit flammenden Reden gegen die Korruption reißt er seine Südstaatler mit und wird bald zum Gouverneur von Louisiana. Aber im Aufstieg und in seiner Entourage sind auch schon die Elemente des Verfalls enthalten. Die einst bekämpfte Korruption nimmt jetzt auch den Machtpolitiker ein. Wer etwas anpackt, muss sich die Hände schmutzig machen. So würde es Willie Stark simpel zusammenfassen. Ausgerechnet sein Wegbegleiter, der idealistische Journalist Jack Burden (Jude Law), erklärt sich zur Schmutzarbeit bereit. Er recherchiert in der Vergangenheit politischer Gegner, schreckt sogar nicht davor zurück, seinen Paten Richter Irwin (Anthony Hopkins) ans Messer zu liefern. Als Jack auch seine Jugendliebe Anne (Kate Winslet) und deren Bruder Adam (Mark Ruffalo) mit in die schmutzige politische Kampagne zieht, trifft ihn die Tragik mitten ins Herz.
 
"Das Spiel der Macht" - klingt knapp, deutlich, kompakt. Und kann doch grandiose und gewaltige Figuren hochjubeln und niederreißen. "Giganten" wäre angesichts der oscar-verdächtigen Leistung von Sean Penn auch ein passender Titel, doch der war schon vergeben. Der Schauspieler und Regisseur legt wieder mal eine grandiose Show hin. Er gestaltet die Reden seines Politikers gewaltig und mitreißend. Dem handelnden, herumhurenden, hochtrabenden Egomanen ist der nur beobachtende Journalist beigesellt. Zurückhaltend spielt Jude Law den Judas, kaum unterscheidet seine Miene zwischen distanzierter Beobachtung und tiefstem Schmerz. Darin liegt jedoch die ergreifende Tragik der eigentlichen Hauptfigur.
 
Das Remake von Robert Rossens Politthriller "Der Mann, der herrschen wollte" basiert auch auf der Biografie des legendären Louisiana-Gouverneurs Huey P. Newton. Regisseur Steven Zaillian schrieb das Drehbuch zu "Schindler's List" und verlagerte die Geschichte aus den Dreißigern in die 50er-Jahre.

Spiel auf Bew ä hrung


USA 2006 (Gridiron Gang) Regie: Phil Joanou mit Dwayne "The Rock" Johnson, Xzibit, Kevin Dunn 126 Min. FSK: ab 12
 
Wer jemals Blutgrätschen oder Olli Kahn in Zeitlupe erleben durfte, dürfte am Märchen zweifeln, dass solche Sportarten friedlicher machen. Aus Fußballspielen entstehende Kriege erscheinen logischer als Fanhorden, die sich plötzlich richtig gern haben. Doch der Ex-Wrestler "The Rock" hat mit dem (leicht autobiographischen) "Spiel auf Bewährung" ein versöhnliches Gegenargument.
 
Als Bewährungshelfer in einer Jugendstrafanstalt formt Sean Porter (The Rock) aus Mördern, Räubern und Gang-Mitgliedern ein Football-Team. Mit hartem Training und eiserner Disziplin gelingen ihnen einige völlig unerwartete Erfolge. Doch der größte Sieg für jeden Einzelnen ist im Kampf gegen die Kriminalität zu verbuchen. Klingt kitschig? Ist auch so!
 
Dwayne "The Rock" Johnson macht Sozialarbeit, wenn auch mit unkonventionellen Erziehungsmethoden. Eigentlich ein Hohn, dass einer, der in seiner Wrestling- und auch in der Film-Karriere immer das Prügeln vorgemacht hat (mit Ausnahme von "Southland Tales"), jetzt einen neuen Weg propagieren soll. Und außerdem: Sport bessert die Menschen? Da werden die Doping-Inquisitoren eine andere Meinung haben. Irgendwie muss man bei diesen amerikanischen Sportfilmen immer denken, dass solch eine autoritäre Ausbildung auch gute Soldaten für Irak und sonstwo produziert. Aber diesmal funktioniert das Schema Sportfilm, "Spiel auf Bewährung" bringt konventionell und glaubhaft rüber, dass die harten Jungs richtig auf das Prinzip Lohn für ehrliche (Trainings-) Leistung abfahren. Der Rest ist Routine. Lange Trainingseinheiten und das Erfolgsfinale hatten wir doch irgendwo schon hundertfach gesehen. Trotzdem lässt einem die durchaus glaubhafte Verfilmung einer "wahren Geschichte" hoffen, dass sie auch beim Zielpublikum Wege der Aggressionsbewältigung eintrainiert.