12.4.06
Rent
USA 2005 (Rent) Regie: Chris Columbus mit Rosario Dawson, Taye Diggs, Wilson Jermaine Heredia 134 Min. FSK: ab 6
Ein schwungvolles Musical über Obdachlosigkeit und AIDS von "Kevin - Allein zu Haus"-Regisseur Chris Columbus! Hört sich nach Mutter Theresa an, die einen Cancan steppt. Und es kommt noch schlimmer bei dieser unnötigen Boheme-Verwurstung ...
Weihnachten im East Village von New York. Hier brennen nicht alle Lichter, weil der Vermieter den Strom abgestellt hat. So geht es auf die Straße, wo "Fame" dunkel und dramatisch abläuft: Zwei Freunde, der verliebte Filmemacher Mark und der Junkie Roger, treffen ihren ehemaligen Mitbewohner Ben, der jetzt für seinen Schwiegervater den Rausschmeißer der Mietschuldner macht. Er träumt von einem hypermodernen Filmstudio, das an Stelle der Wohnungen entstehen soll. Lieblingsgegnerin der Immobilienhaie - siehe Fassbinders "Die Stadt, der Müll und der Tod" - ist Marks ehemalige Geliebte Maureen, die gerade eine Performance-Show vorbereitet.
Wie in einer Fernsehshow knubbeln sich die Schicksale dieser verarmten "Friends": Die ewig untreue Maureen ist jetzt mit einer Frau zusammen. Roger verliebt sich in die Stripp-Tänzerin Mimi und beide sind HIV-positiv - wie die Hälfte der Figuren. Den Moment, in dem die frisch Verliebten erkennen, dass beide AIDS haben, begleitet eine Schnulze auf rührendem Kuschelrock. Schon als in den schönen, kalten Lofts "They call me Mimi" gesungen wurde, erinnerten die modernen Bohemiens endgültig an Puccinis "La Boheme".
Diesem Künstlerelend, das alle paar Spielzeiten unverändert wieder auf die Opernbühne kommt, wünschte man immer eine Modernisierung - jetzt verflucht man sie. Ein AIDS-, Armuts- und Obdachlosen-Musical könnte man sich vielleicht als Trash, als schlechten Witz vorstellen. Doch als ernsthafter Broadway-Schlager ist es ebenso unglaublich wie unerträglich. Selbst einem hemmungslosen Fan von Film-Musicals, der sich über Bollywood-Kitsch, Busby Berkeley-Rosetten und Jacques Demys singende "Regenschirme von Cherbourg" begeistert, kommt dies falsch aufgesetzt vor. Dazu ist das Ganze auch als Rockoper angelegt, also musikalisch eher flach und laut. Wenn im Restaurant mit wehendem "Hair" zum Song "La vie Boheme" über Tische getanzt wird, denkt man wehmütig an Kaurismäkis kongenial reduziertes Schwarz-Weiß-Meisterwerk unter dem gleichen Titel.
Doch man hat ja gerade Mel Brooks "The Producers" gesehen und weiß, dass am Broadway selbst der größte Mist zum größten Erfolg werden kann. Und immerhin gab es schon mal Rollschuhläufer, die singend meinten, ein Zug zu sein. Oder wie war das mit den albernen Katzen-Kostümen, die einem die Ohren voll jaulten?
Jedenfalls war das Musical "Rent" von Jonathan Larson tatsächlich ein großer Erfolg am Broadway, wo die Quadratmeter-Preise wohl Top Ten der Weltrangliste sind. Dieser singende Zynismus wurde noch einmal weichgespült und mit dem kompletten Ensemble der Broadway-Aufführung (plus Rosario Dawson und Tracie Thoms) verfilmt. Dabei sehen alle nicht mehr ganz jung und suchend aus. Die Broadway-Premiere ist immerhin schon vor zehn Jahren gelaufen. Aber in der Oper interessiert es ja auch keinen, wenn schwergewichtige Vielverdiener hungernde Künstler verkörpern.