29.6.21
Nomadland
USA 2020 Regie: Chloé Zhao, mit Frances McDormand, David Strathairn, Linda May 108 Min. FSK ab 0
Der lang erwartete Oscar- und Festival-Erfolg „Nomadland" ist erneut die gekonnte Mischung von Dokumentation und inszenierten Szenen, die Filmemacherin Chloé Zhao in „Songs My Brother Taught Me" (2015) und „The Rider" (2017) zeigte. Die Vermischung der Genres macht beides stärker und bewegender. Diesmal geht es um Fern (Frances McDormand), die wie viele in den USA nach der großen Rezession 2008 Arbeit und Haus verloren hat. Nun reist sie mit der Schar von Arbeitsnomaden im zum Camper umgebastelten Van von Job zu Job. Bei Amazon kümmert sich das Unternehmen um einen Parkplatz für die Nacht. Ansonsten müssen Raststätten und Campingplätze als Kurzzeit-Heimat herhalten.
In den USA müssen große Teile der Bevölkerung in Wohnwagen leben. Diesen „Ausschuss" der kapitalistischen Gesellschaft erleben wir aus der Innenperspektive. Mit Fern nehmen wir an Überlebenskursen für Arme teil, spüren berührende Solidarität. So wird eine immer hilfsbereite, krebskranke „Nachbarin" auf den vielen offiziellen und wilden Camping-Plätzen zur Freundin Ferns.
Um Fern herum zeigt Zhao wirkliche Menschen, andere „dwellers", die tatsächlich dieses Leben führen. Während Frances McDormand unprätentiös die Peinlichkeit spielt, als ältere Frau irgendwo in freier Landschaft auf Toilette gehen zu müssen, hören wir die wahren und ungemein bewegenden Geschichten der Laiendarsteller. Ferns eigenes Schicksal mit dem Krebs-Tod des Mannes und den Massenentlassungen in der Mine, die einen ganzen Ort auslöschten, tritt dabei zurück. So wie auch der „Star" Frances McDormand angenehm zurückhaltend spielt, oft nur auf die Erlebnisse der anderen reagiert. Trotzdem ein faszinierender Charakter – sie erträgt stoisch die Einsamkeit, verfolgt still ihren Weg. Selten gibt es ein kleines Lächeln, aber auch keinen großen Zusammenbruch. Selbst als ein tollpatschiger Verehrer ihr Geschirr zerbricht, eine letzte Erinnerung an ihr altes Leben.
Bei aller gerechtfertigten Begeisterung für Inszenierung, Spiel und grandiose Kamera darf die stille Musik von Ludovico Einaudi nicht unerwähnt bleiben. Dazu großartige Landschaftsaufnahmen, die doch ein Gefühl von Freiheit erzeugen, das sich in der brutalen Realität als wenig erstrebenswert erweist.