BRD 2019 Regie: Christian Schwochow, mit Levi Eisenblätter, Ulrich Noethen, Tobias Moretti, Johanna Wokalek 125 Min. FSK ab 12
Der 1968 erschienener Roman „Deutschstunde" von Siegfried Lenz ist ein Klassiker der Literatur und auch auf der Bühne populär. Das sehr wichtige Buch über den Widerstand der Kunst in den Zeiten von Diktatur wurde nach einer TV-Fassung von 1971 nun erstmals fürs Kino verfilmt. Christian Schwochow („Bad Banks", „Paula") komprimiert den umfangreichen Roman mit sehr gutem Ensemble und großartigen Bildern von Küsten- und Watt-Landschaft auf seinen Kern.
In der „Deutschstunde" macht der jugendliche Häftling Siggi Jepsen (Tom Gronau) aus einem Aufsatz mit dem Thema „Die Freuden der Pflicht" eine Rückblende auf die letzten Kriegsmonate. Sein strenger Vater Jens Ole Jepsen (Ulrich Noethen) ist regimetreuer Polizist in einem kleinen Dorf an der norddeutschen Küste. Bei seinem Jugendfreund, dem expressionistischen Künstler Max Ludwig Nansen (Tobias Moretti), und dessen Frau Ditte (Johanna Wokalek) ist der elfjährige Siggi (Levi Eisenblätter) ein gern gesehener Gast. Nansen bringt dem staunenden Jungen das Zeichnen bei und „wie man Schmerz malt". Bis der Polizist auf Weisung „aus Berlin" ein Malverbot ausspricht, es mit zunehmender Verbissenheit überwacht und sogar die „kranke Kunst" abtransportieren lässt. Siggi soll dabei helfen und gerät damit zwischen die Fronten. Noch dramatischer wird die Situation, als sich Siggis älterer Bruder Claas verwundet und fahnenflüchtig Sohn Claas hier verstecken will. Es wächst der Graben zwischen Menschen, die einfach helfen, und denen, die blind den Gesetzen folgen.
Regisseur Christian Schwochow vertraut ganz auf die zentralen Elemente des Romans, um diese wirken zu lassen: Das ach so preußische Thema „Die Freuden der Pflicht" wird durch die Geschichte bloßgestellt, dem Umgang mit „Entarteter Kunst" stehen menschliche Schicksale gegenüber. Die scharfen Sätze des Romans („Brauchbare Menschen müssen sich fügen, mein Junge.") blitzen immer wieder auf. Da muss man nicht viel drumherum und dazu filmen.
An der starken Wirkung des Films sind die exzellenten Darsteller sehr beteiligt: Tobias Moretti ist als Maler Nansen mit seiner ruppigen Frechheit und einer großen Sensibilität wunderbar besetzt. Die unfassbare Härte des Jens Jepsen bekommt ausgerechnet der in seinen Kinderfilmen immer besonders nette Ulrich Noethen hin. Es ist überhaupt eine Freude, diese Darstellerriege zu erleben: Johanna Wokalek als kämpferische und liebende Ditte Nansen, und Maria Dragus verkörpert die frech ausbrechende Sexualität von Siggis älterer Schwester Hilke.
Aber auch die Aufnahmen des Films beeindrucken nachhaltig. Mit einer starken Szene von brennenden Bildern auf Malerstaffeleien am Strand beginnt Siggis Erinnerung. Bei seinen Erkundungen in einem verlassenen Haus, deren Bewohner „verschwunden" sind, werden seine Sammlungen toter Tiere gefilmt wie kleine Stillleben, als Memento mori. Die atemberaubende gute Kamera von Frank Lamm („Bad Banks", „Dogs of Berlin", „Paula") macht dem Sujet Malerei alle Ehre. Aber nicht im expressionistischen Stil Emil Noldes, der im Roman von Lenz porträtiert wird, eher in dem der alten niederländischen Meister. Dabei geriet der Film trotz offener Landschaft oft bedrückend dunkel.
Dass die Kanzlerin ihren Nolde kürzlich wegen Antisemitismus-Verdacht abgehängt hat, wirkt nicht auf den Roman von Lenz zurück. Dessen Kampf um die Freiheit der Kunst und die Anklage des fortgeführten kranken Gedankens von Pflicht und Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland sind zu allgemeingültig.