26.7.10
Space Tourists
Schweiz 2009
Regie: Christian Frei
mit Anousheh Ansari, Jonas Bendiksen, Dumitru Popescu, Charles Simonyi
Länge: 98 Min.
Webseite: http://www.space-tourists-film.com/de/home.php
Mit seinen „War Photographer“ wurde der Schweizer Dokumentarfilmer Christian Frei für den Oscar nominiert. Nun begleitete er den jungen Magnum-Fotografen Jonas Bendiksen zum kasachischen Weltraumbahnhof Baikonur. Dort erfüllt sich für einige reiche „Space Tourists“ der Menschheitstraum von der Reise ins All. In der weiten Steppe leben hingegen andere von den Himmelsgeschenken der ausgebrannten Raketenteile. Christian Frei dokumentiert in einzigartigen Bildern einen Wandel in der Geschichte der Raumfahrt, konterkariert diese Geschichte dabei gleichzeitig geistreich und humorvoll mit ebenso spannenden, anderen Perspektiven.
Kubrick sagte in seinem Presseheft zu „2001“, „im Jahre 2001 werden Weltraumflüge für Jedermann eine Selbstverständlichkeit sein“. Ganz so weit sind wir noch nicht, aber die ersten Touristen fliegen bereits mit einem 20 Mio.-Dollar-Ticket ins All und der mit 10 Mio. Dollar gesponserte Ansari X-Preis treibt die privatwirtschaftliche Raumfahrt voran. Die Sponsorin, jene aus dem Iran stammende Geschäftsfrau Anousheh Ansari, begleitet der Film bei ihrer Touristen-Reise ins Weltall. Nach einer Ausbildung im Raumfahrtzentrum Baikonur fliegt Ansari mit einer Sojus-Rakete zur Internationalen Raumstation (ISS), um dort als erste weibliche Weltraumtouristin in Schwerelosigkeit zu leben und zu forschen.
In den Bildern von „Space Tourists“ erweist sich das alles nicht als strahlender Science Fiction, wie er von Kubrick und anderen ausgemalt wurde: Schon die Landung der Raumkapsel in den ersten Szenen ist eine veritable Explosion, bei der einem Angst und Bange um die Leben der drei Kosmonauten wird. Nachdem man die Kapsel öffnete, zieht man zuerst Ansari mühsam heraus, gibt ihr Blumen und einen Apfel, mit dem sie sichtlich nichts anfangen weiß. Und die Kamera ist hautnah dabei - so hat man die Sojus-Landungen noch nie sehen können!
Ebenso ungesehen die Schrottsammler, die sich um die „Rüben“ genannten, abgestürzten Raketenstufen in der Steppe kümmern. Nicht ohne vorher ein zünftiges Picknick mit Wodka auf das gute Gelingen eingenommen zu haben. Es wirkt verrückt, wie sich die privatwirtschaftliche Demontage-Truppe zuerst aus einem ganz speziellen Teil des Hightech-Geräts Rakete einen Suppentopf bastelt und sich ihr Essen für die drei Tage Flexen und Sägen kocht. Derweil bereitet sich die ISS-Besatzung Tütennahrung und Anousheh wäscht sich die Haare! Damit nicht genug des vor-emanzipatorischen Rollenklischees: Die Millionärin und Ingenieurin saugt in einer der sehr inszeniert wirkenden ISS-Szenen eine der Kabinen.
Entmystifizierend auch die Situation am Boden: Der Glanz vergangener Raumfahrt-Zeiten blättert in Baikonur nicht nur von den Denkmälern ab. 1955 platzierte die Sowjetunion hier ihre Raketenbasis, ihr Kosmodrom mitten im Nichts. Heute ist Baikonur eine unfassbare Fundgrube alter Träume, Größe und Ästhetik. Hier ist die Zukunft schon in einem Museum gelandet; die Kaninchen und Mäuse, die vor der berühmten Hündin Leika ins All geschossen wurden, verharren ausgestopft in ihren Kapseln. Die Buran, das russische Space Shuttle, verrostet irgendwo auf diesem riesigen Gelände, das einst 100.000 Menschen beherbergte. Selbst auf dem Kinderspielplatz stehen kleine Raketen verwaist herum. Während das Fernsehen im Off erzählt, dass nun jeder ins All fliegen könne, zeigt das Bild dagegen alte kasachische Frauen, die sich höchstens eine Busfahrkarte leisten können. Frei stellt in den Bildern zusammen mit dem Kommentar vom Magnum-Fotografen Jonas Bendiksen den Niedergang des russischen Raumfahrtprogramms fest, bei dem alles verkauft wird, was sich irgendwie zu Dollar machen lässt.
Dazu gehören die vier ersten Brennstoffraketen, aber auch die zweite Stufe, die mit ihren giftigen Stoffen 2000 Kilometer weiter im Altai-Gebirge in einer relativ besiedelten Gegend auch mal auf Häuser fällt. Der Traum, dass wir als "ganz normale" Menschen unseren Planeten verlassen und ins Weltall reisen können, hat, wenn er wieder auf die Erde kommt, durchaus auch seine Schattenseiten.
Wirklich fortschrittlich in dieser Hinsicht ist ein rumänischer Raketenbauer, der nicht zuerst reich werden will, um sich ein Ticket ins All zu kaufen. Das würde keinen Spaß machen - deshalb baut er lieber seine eigene Rakete, um beim „Google Lunar X-Preis“ für den ersten Roboter, der privat-wirtschaftlich auf dem Mond landet, mitzumachen. Die Sonne heizt bei ihm einen Ballon auf, der seine Rakete ins All transportieren soll. Leider scheitert der erste Versuch und der Film leistet sich den Spaß, durch den Ton deutlich auf eine Fliege hinzuweisen, die im Cockpit der Versuchs-Rakete herumbrummt. Da ist sie wieder, die eigentlich bodenständige Flickschusterei im All, die schon in Andrei Ujicas Dokz „Out of the Present“ (1999) fasziniert und irritiert hat. Auch in „Space Tourists“ erstaunen die beschränkten Mittel, mit denen mal ins All kommt: Die Kosmonauten klettern rostige Leitern zur Einstiegsluke hoch, im Cockpit baumelt ein Stofftier als Talisman, nur der Fuchsschweif an der Antenne fehlt.
Die Einzigartigkeit der von Anfang an hochwertigen Bilder von „Space Tourists“, die geradezu sensationellen Einblicke, die sich bescheiden in den Gesamtfilm einfügen, machen die Dokumentation nicht nur humorvoll erkenntnisreich sondern auch sympathisch. Den Schrottsammlern der Steppe wird genauso viel Aufmerksamkeit gewidmet wie den Helden der Raumfahrt. Die Bilder der verbrannten, zerbeulten Antriebsrakete wirken reizvoller als die glänzender Hightech-Giganten. So „unter“-läuft „Space Tourists“ die üblichen Phrasen von „Alles ist möglich, solange man einen Traum hat“ mit anderen Geschichten und Bildern.
Christian Frei schuf aus - gut vorbereiteten und ausgewählten - Fundstücken einen Film, der wie das Gedicht von Arseny Tarkovsky zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen „Myriaden von Einzellern“ und „Myriaden von Sternen“ „eine Brücke, die zwei Welten vereint“, bildet. „Space Tourist“ zeichnet den alten Traum, zu den Planeten und Sternen zu reisen, nach. Der Blick geht dabei aber über diesen Horizont der erhabenen Gedanken über den Wert unseres Planeten, den man erst aus dem All schätzen lernt, hinaus. Die Herren von Baikonur brauchten sich keine Sorgen wegen der neugierigen Kamera zu machen. Es ist der Schnitt von Frei, der die Vermutung wachsen lässt, dass die wirklich wichtigen Erkenntnisse für die Menschheit vielleicht bei einem Nomaden in der kasachischen Steppe zu finden sind, der sich seine Hütte aus Resten einer Rakete baut. Entdeckungen kommen aus einer unerwarteten Richtung, so wie man am Ende der Wiederverwertungskette vielleicht sein Butterbrot in eine ehemalige Rakete wickelt.