8.4.08
Tödliche Entscheidung
USA 2007 (Before the Devil knows you're dead) Regie: Sidney Lumet mit Philip Seymour Hoffman, Ethan Hawke, Albert Finney, Marisa Tomei 117 Min. FSK ab 16
Wie klingt es, wenn das Leben, so wie man es sich vorstellt, erträumt hat, zusammenbricht? Wenn die Konstruktion von Familie, Beruf, Glück nicht mehr hält und zu Boden stürzt? Ganz gleich, welches Geräusch nun bei Ihnen anklingt, nach dem neuen Film von Sidney Lumet hat dieses Gefühl einen ganz eigenen Klang!
Schon an Anfang geht es mächtig schief - und wird nur noch schlimmer: Irgendwo in einem amerikanischen Einkaufszentrum betritt ein Mann mit Skimaske einen Juwelierladen, zückt seine Pistole und zwingt die alte Verkäuferin an die Wand. Wie bei den Coen-Brüdern überbieten sich die beiden Beteiligten in Dummheit, Schüsse fallen, der Räuber stirbt, die alte Frau ist schwer verletzt und den Parkplatz verlässt ein Autofahrer in heller Panik.
Die Idee für diesen Bruch war - wie immer - idiotensicher: Wirtschaftsprüfer Andy Hanson (Philip Seymour Hoffman) braucht Geld, viel Geld. Die Steuerprüfer stehen vor dem Büro und das Koks wird auch immer teurer. Er überzeugt seinen kleinen Bruder Hank (Ethan Hawke), der ebenfalls in einer verzweifelten finanziellen Situation steckt, den Juwelenladen der Eltern auszurauben. Nur die alte, halbblinde Angestellte sei da, die Versicherung würde sowieso zahlen und alle profitieren. Allerdings will Hank den Bruch nicht selber machen, engagiert einen Gangster. Und im Laden steht unglücklicherweise die Mutter von Hank und Andy. Klar wird den beiden das erst, als sie die Mutter im Krankhaus im Koma liegen sehen. Der Vater (Albert Finney) wird noch eine Weile suchen, bis er die Verantwortlichen für die Tat findet. Und - man glaubt es kaum - das ist nicht die einzige erschütternde Entdeckung in diesem Film. Aus der Raubgeschichte kristallisiert sich ein Familiendrama heraus, in dem Andy als vernachlässigter Sohn an der vermissten Liebe zerbricht, während „Baby“ Hank trotz aller Aufmerksamkeit auf die schiefe Bahn gerät.
Mit dem Geräusch von zerspringendem Glas, das auseinander fällt, wie das Leben aller Beteiligten, springt die Handlung immer wieder zurück. Sie zeigt, wie sich die Beteiligten in die verfahrene Situation hineinmanövriert haben. „Tödliche Entscheidung“ besteht aus einer ganzen Reihe von Entscheidungen, die alle falsch gefällt wurden. Und mitten im Herzen des Gefühlssturms aus Dummheit und Gier, die in liebloser Kindheit wurzelt, vermeint man kurz das Schlagen eines erbarmenden Herzens zu hören. Doch das EKG zeigt falsche Werte, Moral muss hernach neu überdacht werden.
Auf Basis des exzellenten Drehbuchdebüts von Kelly Masterson realisierte Altmeister Lumet einen gewaltigen Familienfilm und einen genialen Thriller. „Tödliche Entscheidung“ ist gleichzeitig klassisch gut und modern, hat die tragische Wucht der alten Griechen und die Absurdität der Gier aus Coen-Filmen. Hinter dem Film steht der bereits 83-jährige Sidney Lumet, der mit Werken wie „Die zwölf Geschworenen“, „Hundstage“, „Prince of the City“ und „The Verdict“ bereits Filmgeschichte schrieb. Nun inszeniert er atemberaubend geniale Schauspieler: Jede einzelne dieser Darstellerleistung von Philip Seymour Hoffman, Albert Finney und Marisa Tomei bildet einen schillernder Marmorblock der Filmgeschichte.