Kompromissloser Brückenbauer
Aachen. Am 24. April erhält Fatih Akin zusammen mit dem französischen Regisseur Abdellatif Kechiche im Aachener Rathaus die „Médaille Charlemagne pour les médias européens“. Die „Karlsmedaille für die europäischen Medien“ geht an Akin und Kechiche, weil sie „mit ihren Filmen einen herausragenden medialen Beitrag zur europäischen Integration“ leisten, so Frauke Gerlach, die Vorsitzende des Kuratoriums Médaille Charlemagne pour les Médias Européens. Die Filme Fatih Akins zeichnet dabei aus, dass man bei ihnen nicht direkt an „Integration” denkt. Sie sind nicht aus dem Stoff der Sonntagsreden von Politikern, sondern prall des Lebens, das Letztere oft aus den Augen verloren haben.
Immer sind es die Leben von Grenzgängern. So fällt schon die Einordnung Fatih Akins in Herkunftsschubladen nicht ganz leicht: Am 25. August 1973 in Hamburg als Sohn türkischer Gastarbeiter geboren, könnte man ihn als Deutsch-Türken vereinnahmen. Wenn man ihn erlebt, ist er viel eher Hamburger, genauer: ein wahrer Bürger des multikulturellen Stadtteils Altona. Dort wuchs er auf, spielte an der Schule Theater und begann erste Geschichten zu schreiben. Später absolvierte er das Studium „Visuelle Kommunikation“ an der Hamburger Hochschule für bildende Künste, arbeitete beim Film und mit 22 Jahren drehte seinen ersten Kurzfilm „Sensin - Du Bist Es!“. Für den Nachfolger „Getürkt“ gab es 1996 bereits internationale Preise sowie eine Sicherheit: Hier lässt sich einer nicht von Klischees vereinnahmen, sondern spielt frech mit ihnen.
Und genauso tritt er auch auf: Fatih Akin begegnet seinem Publikum ebenso wie Staatsmännern und -frauen sympathisch unangepasst und lässig mit Kapuzenjacke, wenn andere Anzug tragen. Klar, deutlich und temperamentvoll, so geht er alle möglichen Themen an, verbreitet die trockene Launigkeit seiner Wahlheimat Hamburg ebenso wie eine kompromisslose Leidenschaft für den Film.
Die Karriere seiner Spielfilme verlief im Rückblick energisch und gradlinig: Das Debüt „Kurz und schmerzlos“ (1998) gewann direkt den Bronzenen Leoparden in Locarno. Die Liebes-Odyssee von Hamburg nach Istanbul „Im Juli“ mit Moritz Bleibtreu in der Hauptrolle war 2000 ein Kinoerfolg. Das Brüderdrama zweier italienischer Einwanderer-Söhne „Solino“ kam zwei Jahre später nicht mehr so gut an, für diesen Paukenschlag des europäischen Gefühlskinos war die Kinolandschaft noch nicht reif. „Gegen die Wand“ (2004) war auch ein Schlag, ein Volltreffer, und wieder ganz anders: Das äußerst heftige Drama einer Deutsch-Türkin auf der Flucht vor den Traditionen und eines Deutsch-Türken im Kampf mit sich selbst sowie dem Alkohol, konnte während der Berlinale nur den Hauptpreis, den Goldenen Bären erhalten. Später kamen noch der Deutsche und der Europäische Filmpreis hinzu. Obwohl wesentlich stiller und feinfühliger hätte auch „Auf der anderen Seite“ solch einen Erfolg verdient. Im zweiten Teil seiner „Liebe, Tod und Teufel“-Trilogie erzählt Akin darin kunstvoll und einfühlsam von sechs Menschen in Deutschland und der Türkei sowie vom Umgang mit dem Tod in diesen wechselnden Konstellationen.
Der Regisseur des Oscar-Kandidaten „Auf der anderen Seite“ hat aber viele andere Seiten: Man kann ihn immer wieder in kleineren und größeren Rollen als Schauspieler sehen, letztens etwa in der türkischen Komödie „Hirsiz var!“. Seine deutsch-mexikanische Frau Monique zeigt ihn in der Dokumentation „Fatih Akin - Tagebuch eines Filmreisenden“ beim Dreh von „Auf der anderen Seite“. Die mehrfach ausgezeichnete Fernsehdokumentation „Mein Vater der Türke“ von Marcus Vetter schildert das Wiedersehen mit Fatihs türkischem Vater, einem Gastarbeiter, den der Regisseur seit frühen Kindertagen nicht mehr gesehen hat.
Als Autor schrieb er das Buch der interkulturellen Väterpanik-Komödie „Kebab Connection“, als Produzent schickte er „Takva – Gottesfurcht“ im Februar für die Türkei ins Oscar-Rennen. Morgen läuft das ebenfalls von ihm produzierte Kiez-Drama „Chiko“ (wieder mit Moritz Bleibtreu) im Kino an. Im türkischen Heimatdorf seiner Großeltern startete er ein dokumentarisches Langzeitfilmprojekt mit dem Titel „Müll im Garten Eden“. Und gerade dreht Fatih Akin in New York seine Episode „Chinatown“ aus der Kompilation „New York, I Love You“.
Dass er mit renommierten Kollegen wie Mira Nair, Natalie Portman, Shekhar Kapur („Elisabeth“) in diesem Projekt arbeitet, zeigt dass er längst im Weltkino angekommen ist. „Auf der anderen Seite“ wurde im letzten Jahr gar als Favorit in Cannes gehandelt und der Regisseur meinte selbstbewusst: „Ich bin erst mal da angekommen, wo ich hinwollte. Mal sehen, wohin die Reise noch geht." Zwei Jahre zuvor war er Mitglied der Internationalen Jury und außer Konkurrenz lief seine Musik-Dokumentation „Crossing the Bridge“ - noch so ein Dokument des Grenzgängertums zwischen Europa und Asien wie zwischen verschiedensten Musikstilen.
Die Begeisterung des Regisseurs für Musik war bekannt: Zwischendurch legt er gerne als "DJ Superdjango" Platten auf, solch eine Einlage war auch im Rahmenprogramm der Karlsmedaille angedacht, doch die Zeit zwischen Ankunft aus New York und Weiterflug zum Deutschen Filmpreis in Berlin war zu knapp. Zu wenig Zeit zwischen der Arbeit und dem Einsammeln der Preise. Die süße Last des Erfolges wird der Energie des leidenschaftlichen Filmemachers keinen Abbruch tun. Bislang hatte er immer die Power, mit jedem Film gleich einen großen Schritt weiter zugehen. Was die Neugierde auf den nächsten Film besonders groß macht.