26.6.22

Wie im echten Leben


Frankreich 2021 (Ouistreham) Regie: Emmanuel Carrère, mit Juliette Binoche , Hélène Lambert, Léa Carne, 107 Min., FSK: ab 6

Früh am Morgen hetzt eine Frau am Rand der Schnellstraße zum Arbeitsamt von Caen. Voller Angst und Wut will Christèle (Hélène Lambert) ohne Termin ihre „Beraterin" sprechen, weil wegen Mittelkürzungen und Verzögerungen beim Amt zuhause drei Kinder kein Essen mehr bekommen. Stille Beobachterin in unmoderner Fleecejacke ist Marianne Winckler (Juliette Binoche). Mit Termin, aber völlig neu in dieser Umgebung. Nein, sie habe seit 23 Jahren nicht mehr gearbeitet, doch jetzt habe sie der Ehemann verlassen. Nein, einen Arbeits-Integrationskurs habe sie auch noch nie gemacht. Mit etwas Hilfe bekommt Marianne trotzdem ihren ersten Job als Reinigungskraft.

Vorher lernt sie, wie sie sich verhält, wenn die Menschen beim Job nicht zurück grüßen. Während sie das erste Mal eine schwere Reinigungsmaschine („das Biest") bedient und öffentliche Toiletten sauber macht, hört sie Geschichten von den Kolleginnen und Kollegen. Dass sich Marianne Notizen macht ist ein erster Hinweis, dann kennt die Frau vom Arbeitsamt ihr Buch und die wahre Identität als gut situierte Autorin. Den moralischen Vorwürfen entgegnet sie, dass die anonyme Recherche dazu dient, diesen unsichtbaren Arbeiterinnen ein Gesicht und Stimmen zu geben. Menschen, die mit ihren „befristeten Jobs" zwölf Prozent aller Stellen ausfüllen. Und Putzfrauen, die grundsätzlich als dumm betrachtet oder sogar als Idiotinnen beschimpft werden, wie es Marianne erlebt. Wie in „Nomadland" mit Frances McDormand besteht auch „Wie im echten Leben" aus Porträts der Menschen am Rand der Wohlstandsgesellschaft. Marianne lernt einen charmanten Arbeitssuchenden kennen, der sie zur Pizza einlädt. Eine ältere Kollegin nimmt sie mit nach Hause, wo ihr der Ehemann sofort ein altes Auto zur Verfügung stellt. Beim Bowling-Abend gehen sie auf den Parkplatz und erfreuen sich der selbst mitgebrachten Getränke, weil sie sich das Bier drinnen nicht leisten können.

Mit dem Auto kann Marianne die junge Kollegin Christèle raus zum Hafen von Ouistreham fahren und einen Job auf der England-Fähre annehmen: Vier Minuten pro Kabine mit zwei Betten und Toilette haben die Mindestlohn-Arbeiter Zeit, wobei die Männer nie die Toiletten machen. Und die Passagiere benehmen sich zu oft wie Schweine bei der Überfahrt. Im Off-Kommentar ist Marianne ganz Autorin, die das Entstehen des Textes aus dieser Recherche erklärt und wie sich das Gruppen-Porträt auf Christèle kristallisiert. Eine Freundschaft, die enger wird und bricht, als die Tarnung der Schriftstellerin auffliegt.

„Wie im echten Leben" kam auf Betreiben von Juliette Binoche zustande. Lange „bearbeitete" sie die Buch-Autorin Florence Aubenas, doch diese wehrte sich erst gegen eine Adaption. Bis sie selbst Emmanuel Carrère als Drehbuchautor und sogar als Regisseur ins Gespräch brachte. Ein Schriftsteller, der bislang als Regisseur nur zwei, nicht sehr bekannte Filme ablieferte: Den Dokumentarfilm „Retour a Kotelnitch" und das Drama „La Moustache". Neben Juliette Binoche gab es keine weiteren professionellen Schauspieler im Film. Zwei Figuren verkörpern sich sogar selbst, die Fährarbeiterin Nadège und Justine, die ihre Abschiedsparty feiert.

Regisseur Emmanuel Carrère erzählt begeistert: „Juliette Binoche leistete einen großen Beitrag, als sie sich bereit erklärte, auf demselben Niveau wie die anderen zu spielen. Ich wusste, dass sie eine großartige Schauspielerin ist, aber ihre Bescheidenheit und Großzügigkeit haben mich verblüfft... Anfangs waren die Frauen etwas ängstlich, da Juliette ein großer französischer Star ist, aber sie hat sie schnell für sich gewonnen." Für „die Binoche", die angeschlagen vom Tod des Vaters zum Dreh kam, gab es einen besonderen Grund für diese Rolle: „Ich wollte schon immer eine Haushälterin spielen und im Grunde in ein anderes Universum eintauchen. Als meine polnische Großmutter während des Zweiten Weltkriegs nach Frankreich kam, musste sie Gelegenheitsjobs wie das Putzen des Hauses machen, um zu überleben."

Bemerkenswert an „Wie im echten Leben" ist, dass es kein hartes Sozialdrama geworden ist, kein Neorealismus französischer Art. Egal wie widerwärtig der Job ist, egal wie ekelhaft die Auftraggeber sind, die Frauen haben immer noch ein Lachen übrig. Nur der poetische Blick Mariannes auf Bäume erntet ein Stirnrunzeln. Wenn sie am Strand sitzt, muss sie lernen, dass die Kollegin keine Zeit hat für solche Sachen. Eine Vorarbeiterin wünscht sich bei der feierlichen Veröffentlichung des Buches, dass die Menschen von nun an mit anderen Augen auf der Fähre fahren. So etwas wäre als Effekt des Filmes auch sehr schön.

 

Minions - Auf der Suche nach dem Mini-Boss


USA 2022 (Minions: The Rise of Gru) Regie: Kyle Balda, Brad Ableson, Jonathan del Val 90 Min. FSK: ab 6

„Minions - Auf der Suche nach dem Mini-Boss" ist die fünfte Familien-Animation um die Idee des herzensguten Schurken Gru aus „Ich – Einfach unverbesserlich" und nach „Minions" die zweite, in dem seine Helferlein, die Minions, eine Hauptrolle spielen. Es ist das heutzutage unerlässliche Prequel, das erzählt, wie Gru und die Minions zu denen wurden, die wir kennen.

1976 ist der zwölfjährige Gru in der Schule schon gemein und raffiniert. Sein Wunsch, Super-Schurke zu werden, wird allerdings verlacht. Im Kino schaut er sich den „Weißen Hai" an, muss jedoch vorher mit einer Stinkbombe im ausverkauften Saal Platz schaffen. Danach friert er mit seiner Schaumkanone die Schlange in der Eisdiele ein, um als Erster dran zu sein. Also ein problematisches Kind, das rührend immer seine Minions ins Bett lässt, wenn sie Albträume haben.

Der nächste Karriereschritt steht an, als Gru eine Einladung zum Vorsprechen bei seinen Lieblingsschurken, den „Fürchterlichen 6", erhält. Versteckt in einem Plattenladen namens „Criminal records", was im englischen Wortspiel auch Kriminalakte bedeutet, finden diese den nervös piepsenden Nachwuchs gar nicht amüsant. Doch während der nächste Kandidat mit seinem albernen Fluganzug für Aufregung sorgt, stiehlt der Kleine ein mächtiges Amulett, das die nur noch fünf Gangster zuvor ihrem Anführer Wilder Knöchelknacker („Wild Knuckles") abgenommen haben. Nun beginnt ein wildes Suchen und Jagen mit einem Finale, in dem der Zauberschmuck die „Fürchterlichen 5" in Monster der chinesischen Tierkreiszeichen verwandelt.

Der sympathisch verrückte Klamauk der Minions hat auch im fünften Film nichts von seinem Charme und seinem Reiz für Groß und Klein verloren. Wenn alle gelben Knautschis im (selbsterzeugten) Regen die großen Kulleraugen auf traurig schalten, um den Job als Helferlein des jungen Gru zu bekommen, funktionieren Witz und knallgelbe Animation Händchen in Händchen. Die Kungfu-Lehrstunde bei der Akupunktur-Meisterin Chow (die Stimme von Michelle Yeoh im Original!) für Kevin, Stuart und Bob gibt den Erwachsenen noch eine Parodie von „Karate Kid" dazu. Spaßig sind auch die viele Cover bekannter Hits: „Bad Gru rising" von Creedence Clearwater Revival, Linda Rondstadts „You're no Good" ist die Eintrittskarte zu „Criminal Records" und Nancy Sinatras „Bang Bang (My Baby Shot Me Down)" passt perfekt zu den vielen „Kill Bill"-Zitaten im China Town von Los Angeles. Selbst die albernste Parodie kommt mit den Minions noch richtig gut.

Erfahren und auf einer Humorlinie für die Erwachsenen-Scherze ist das Regie-Team aus Minions-Experte Kyle Balda („Ich – Einfach unverbesserlich", „Minions"), Brad Ableson („Die Simpsons") und Jonathan del Val („Pets", „Pets 2"). Während Grus adoptierter menschlicher Nachwuchs noch keine Rolle spielen kann, wird die große Unverbesserlich-Familie um einen väterlichen Freund ausgebaut. Wilder Knöchelknacker, der gefeuerte Oberschurke, nimmt sich seinerseits des Nachwuchses Gru an. Die ganze wilde Action erfüllt dann nur das Familien-Mantra der Serie: Finde deinen Clan und lasse ihn niemals gehen.

Der beste Film aller Zeiten


Spanien, Argentinien 2021 (Competencia oficial) Regie: Mariano Cohn, Gastón Duprat, mit Antonio Banderas, Penélope Cruz, Oscar Martínez, 115 Min., FSK: ab 12

Herrlich, wie die exzentrische Regisseurin Lola Cuevas (Penélope Cruz) die beiden Super-Machos Félix Rivero (Antonio Banderas) und Iván Torres (Oscar Martínez) vorführt. Der vielfach ausgezeichnete Hollywood-Star und der elitäre Theater-Schauspieler sind bereit für einen großen Hahnenkampf. Doch vor der eigensinnigen Lesbe mit der roten Löwenmähne werden sie bald kuschen. Einiges ist skurril an diesem Filmprojekt, mit dem sich der Pharma-Millionär Humberto Suarez verewigen möchte. Für die Rechte am Roman zahlte er viel, gelesen hat er ihn nicht. So fasst Lola das Drama zweier zerstrittener Brüder zusammen. Der jüngere bringt als betrunkener Autofahrer die Eltern um, der Ältere ihn dafür ins Gefängnis. Nach der Freilassung lieben sie die gleiche Frau und glauben beide, Vater von deren Kind zu sein.

In dem ungenutzten, futuristischen Museumsbau der „Stiftung Humberto Suarez" finden sich die Schauspieler zu Leseproben ein und seit dem ersten Aufeinandertreffen schwillt ihnen der Kamm. Banderas spielt den oberflächlichen Schönling, der mit Sportwagen und Blondine angebraust kommt. Oscar Martínez ist der abgehobene Bühnen-Künstler, der den eitlen Erfolg verachtet. Während der eine Kampftechniken übt, entmutigt der andere angehende Schauspiel-Schüler- und Schülerinnen. Doch Lola lässt beide direkt auflaufen, die ersten zwei Worte „Guten Abend" müssen sie zehnmal lesen, bis sie ihr richtig vorkommen. In jeder Probe setzt die Filmemacherin die Männer unter Druck. Sie lässt sogar einen riesigen Felsen mit einem Kran hochziehen, unter dem sich die beiden setzen müssen, während sie den Text üben. Die Retourkutschen verletzter Eitelkeit lassen nicht lange auf sich warten und sind auch große Schauspielkunst.

Es werden ganz fiese Psychospielchen gespielt, wenn Lola die Preise der beiden Schauspieler schreddert, während sie wehrlos in Plastikfolie aneinandergefesselt sind. Darunter viele Goyas und eine Goldene Palme von Rivero/Banderas (2019 für „Leid und Herrlichkeit"). Aber auch die von behinderten Kindern gebastelte Figur, die Torres nach einem Unterricht erhalten hat. Vielleicht noch schmerzlicher ist eine „Kuss-Probe" mit der Darstellerin der gemeinsamen Liebe: Nach den Versuchen der Herren mit mäßigem Erfolg macht die Chefin am Set auch vor, wie Küssen richtig geht – bis die beiden Frauen eng umschlungen am Boden liegen. Verrückt und komisch, wie vieles in „Der beste Film aller Zeiten".

Im Gegensatz zum übervollen, chaotischen Skizzenbuch von Lola zeigt der Film selbst die klare Farbpalette der frühen Almodovar-Filme und immer wieder raffinierte Bild-in-Bild-Kompositionen in den riesigen Museums-Räumen. Bei einem besonderen Geständnis von Félix ist eine Kamera auf sein Gesicht gerichtet, das so gleichzeitig auf einer Riesen Leinwand hinter ihm zu sehen ist. Während die Proben auch den Film-im-Film erzählen, lernt man die vortrefflich gespielten Figuren in dieser originellen und unterhaltsamen Parodie kennen. Man lernt, dass man ihnen nichts glauben kann, dass sie immer spielen und einem was vormachen.

25.6.22

Abenteuer eines Mathematikers


Deutschland, Polen, Großbritannien 2020 Regie: Thorsten Klein, mit Philippe Tłokiński, Esther Garrel, Sam Keeley, 103 Min., FSK: ab 12

Der geniale polnisch-jüdische Mathematiker Stan Ulam (Philippe Tlokinski) hilft Robert Oppenheimer und Edward Teller beim Bau der ersten Atombombe, muss aber mit zunehmenden Zweifeln am Sinn der Vernichtungsmaschinen kämpfen. Ulam unterrichtet in Harvard, als ihm das Angebot gemacht wird, mit einer Bombe seine jüdische Familie im polnischen Lvov (heute Lviv) vor den Deutschen zu schützen. Ein Einsatz, der Kriege für immer beenden soll. Der Mathematiker ist ein Familienmensch mit engen Beziehungen zu seinen Geschwistern, aber auch ein nüchtern kalkulierender Mathematiker, der Françoise (Esther Garrel) einen Heiratsantrag macht, vor allem damit sie in den USA bleiben kann. Im eskalierenden Streit mit Teller geht es darum, ob eine Atombombe abschreckend genug ist, oder ob man eine Wasserstoffbombe mit viel größerer Zerstörungskraft braucht.
Mit sehr guten Schauspielern und einer hervorragenden Ausstattung werden, basierend auf der Autobiographie von Ulam, Ideen und Konflikte dieser Zeitenwende interessant erlebbar gemacht.

Axiom


Deutschland 2022, Regie: Jöns Jönsson, mit Moritz von Treuenfels, Ricarda Seifried, Petra Welteroth, 108 Min., FSK: ab 6

„Bekenntnisse eines Hochstaplers" wäre der eingängigere Titel über dieses Porträt des notorischen Lügners Julius (Moritz von Treuenfels), doch der ist ja schon vergeben. Der Wärter im Museum Ludwig Köln lädt Freunde zum Segeltörn auf dem Rursee ein. Sie schleppen einen Kasten Bier umständlich weit bis zum Hafen, wo Julius einen epileptischen Anfall erleidet. Als seine Mutter Hannelore (Petra Welteroth, Theater Aachen 2000-2005) ihn im Krankenhaus abholt, wird klar, dass er schon öfters eine Familienjacht erfunden hatte und sich mit Tricks vor der Entblößung wegstehlen musste. Julius erzählt andauernd fiktive oder woanders gehörte Geschichten. Die neue Freundin, die Opernsängerin Marie (Ricarda Seifried), ist zwar echt, aber bei ihr hat er sich als Architekt ausgegeben. Ein entsetzlicher Mensch, bei dem man trotzdem mitfühlt. Die Gründe könnten in benachteiligter Sozialisation liegen, aber stimmt diese Geschichte? Moritz von Treuenfels („Schachnovelle") gibt diesen faszinierenden Dauer-Lügner mit eindrucksvoller Schauspielleistung.

22.6.22

The Black Phone


USA 2021, Regie: Scott Derrickson, mit Mason Thames, Madeleine McGraw, Ethan Hawke, 104 Min., FSK: ab 16

Es ist eine Horror-Vorstellung für alle Eltern: Das Kind wird entführt. Schamlos beutet „The Black Phone" diese Angst aus, um seine düstere Spannung aufzubauen. Rasierklingen, Drogen, Blut und Plakate vermisster Kinder in den Straßen zeigen ein abschreckendes Bild der 70er in den USA. Der 13-jährige Finney Shaw (Mason Thames) und seine Schwester sind zwar aufgeweckte Kinder, doch sie erleben extrem brutale und blutige Schlägereien auf dem Schulhof sowie einen saufenden, gewalttätigen Vater zuhause. Nachdem erst einige Jungs aus der Umgebung entführt wurden, erwischt der „Grabber" (Ethan Hawke) auch Finney. Gefangen in einem Kellerverlies erreichen ihn über ein nicht mehr funktionierendes Telefon Anrufe früherer und verstorbener Opfer mit Tipps, wie er überleben und fliehen kann. Derweil nähert sich seine hellsichtige Schwester in ihren Träumen dem Versteck des Mörders.

Mit Hilfe tiefsitzender Ängste und einem erschreckenden Kindheitsbild erzeugt „The Black Phone" seine Kerker-Spannung um die raffinierte Idee der Anrufe aus dem Jenseits. Hawke spielt den mörderischen Sadisten hinter wechselnden Masken.

Elvis (2022)


Australien, USA 2022, Regie: Baz Luhrmann, mit Austin Butler, Tom Hanks, Helen Thomson, 160 Min., FSK: ab 6

Die Rock-Legende Elvis Presley (1935-1977) mal ganz anders und doch in den von Austin Butler gebrachten Songs zum Verwechseln ähnlich: Baz Luhrmann („Der große Gatsby", „Moulin Rouge!") bringt eine ungewöhnliche Biografie vom „King of Rock'n'Roll" auf die Leinwand, in der sein Manager „Colonel" Parker die zweite Hauptrolle spielt.

Was die Musik von Schmalzlocke Elvis, dieser fetten Vegas-Attraktion einst ausgelöst hat, ist heute schwer vorstellbar. Doch Baz Luhrmann, Schöpfer großer Film-Musicals und anerkannt für allerbeste Filmmusiken, lässt das Phänomen Elvis in wenigen Szenen wieder aufleben: 1955 ist der weiße Country-Sänger Hank Snow der Star, tourt mit der Kirmes-Show von Colonel Parker (Tom Hanks) durchs Land, als dessen Sohn begeistert eine Schallplatte auflegt, die jetzt überall gespielt wird. Parker horcht auf, weil diese eindeutig „schwarze Musik" von einem Weißen gesungen wird und fährt zur nächsten Show des jungen, unbekannten Elvis Presley. Dort erlebt er eine Offenbarung, die Verwandlung eines schmächtigen Jüngelchens (Austin Butler) in einen Superhelden beim ersten Wippen des Fußes zum Rhythm & Blues. Dass ein Weißer diese Musik macht, ist schon sensationell. Wie er sie dann live bringt, ein Erdbeben. Grandios, wie angesichts seiner wippenden Hüften das Kreischen reihenweise aus den Mädchen und Frauen herausbricht. Jung und alt, frei oder spießig - keine kann dieser Musik widerstehen.

Daraufhin startet der obskure Strippenzieher vom Zirkus seine Verführung im Spiegelkabinett und schließt auf dem Riesenrad einen Teufelspakt mit dem jungen Talent. Von hier an geht die Karriere ab wie der Superheld Flash, der Klein-Elvis immer sein wollte. Rückblenden zeigen die Wurzeln seiner Musik: Wie er allein mit seiner Mutter in einer schwarzen Armen-Siedlung die Verbindung von Blues, Gospel und Erotik erlebte, bringt Luhrmann in einer der vielen genialen Montage-Sequenzen aus mitreißenden Bild- und Musikmixen. Wie schon in „Moulin Rouge" gibt es bekannte Hits in modernen Remixen. In der schwarzen Beale Street von Memphis erlebt Elvis im „Club Handy" Little Richard und freundet sich mit B.B. King an. Von weißen Gleichaltrigen wird er dafür verspottet, die tief gefühlte Solidarität mit den unterdrückten Afroamerikanern bleibt ein großes Thema des Films. Elvis tritt immer wieder als Gegner der Rassentrennung auf.

Der „Elvis" von Baz Luhrmann ist lange Zeit ein Rebell. Ein Sänger, dem sein Lied verboten wird, weil er zu viel erotischen Hüftschwung hatte. Ein Teenie-Schwarm, von konservativen Politikern verfolgt und in den Militärdienst gezwungen. Von Oktober 1958 bis Februar 1960 bei der Army in Deutschland lernt er Priscilla kennen, die Stief-Tochter eines kanadischen Luftwaffenoffiziers und bald Frau des Stars. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich der Rocker längst in einem kreativen Dauerkampf mit seinem Manager, macht kitschige Weihnachts-Shows, während er zu den Unruhen im Land, zur Ermordung von Martin Luther King Stellung beziehen will. Der Film läuft schon zwei Stunden, als Elvis mal kräftig zu den Drogen greift. Von da an verschwindet der Song „Caught in a trap" nicht mehr von der Tonspur. Colonel Parker hat Elvis in seiner Falle, im Goldenen Käfig Las Vegas, gefangen.

Tom Hanks spielt den Niederländer (der in der deutschen Synchronisation seltsam osteuropäisch klingt) als fetten Vampir, der lächelnd alles Leben aus dem jungen Rebellen saugt. Ganz banal waren es Spielsucht und Schulden, die zu dem jahrelangen Deal mit einem Casino in Las Vegas führten. Der Niederländer, der trotz seines Namens niemals beim Militär war, erinnert die Elvis-Geschichte schwerkrank von seinem Sterbebett, während er im Delirium durch verlassene Spielhallen irrt. So erzählt der Film auch vom Kampf zwischen freier Kreativität und den Managern, den Konzernen, den Verlegern. Ein Kampf, den immer das Geld gewinnt. Obwohl „Elvis" keine Erfolgsgeschichte mit Happy End ist, obwohl die Gefangenschaft im eigenen Ruhm von Vegas sehr bedrückend rüberkommt, wirkt der Film trotzdem gütig beschönigend. Die Gehässigkeit der Presse, die sich auf die sehr mäßige Performance im Casino stürzte, findet nur kurz Erwähnung. Wenn in den Originalaufnahmen der letzten Minuten Tragödie und Talent verschmelzen, berührt der „wahre Elvis", der da nur noch ein Clown mit viel Bling-Bling war.

Dabei will der unsympathische Colonel Parker auch immer die „Greatest show on earth", die größte Show der Welt auf die Bühne bringen. Ein Verlangen, das Regisseur Baz Luhrmann gut verstehen kann, ist doch jeder seiner Filme eine große, grandiose Show.

21.6.22

Chiara


Italien, Frankreich 2021 (A Chiara) Regie: Jonas Carpignano, mit Swamy Rotolo, Claudio Rotolo, Grecia Rotolo, 122 Min., FSK: ab 12

Die 15-jährige Chiara (Swamy Rotolo) ist Teenager in einer quirligen italienischen Familie der kalabrischen Hafenstadt Gioia Taura. Die ältere Schwester wird bald ihren 18. Geburtstag feiern, die kleinere nervt anhänglich auf dem Sofa. Die große, ausgelassene Geburtstagsfeier zeigt das enge Verhältnis von Chiara zu ihrem Vater. Sie befürchtet eine Weile, sie würde wegen heimlichen Rauchens bestraft, doch diese Entdeckung geht in einer ganz anderen Aufregung unter, die Chiara nicht versteht.

Ihre Fragen werden von der Mutter und älteren Verwandten negiert. Nach Irritationen wie dem Abfackeln des Familienautos vor der Haustür und dem plötzlichen Verschwinden des Vaters kommt die schockartige Erkenntnis über das Internet: Die Nachrichten verbreiten, dass der als Mitglied der örtlichen Mafia namens Ndrangheta wegen Drogenschmuggel und Bandenkriminalität gesucht wird. Nach diesem ganz anderen Erwachen aus der Kindheit folgt bald der nächste Schock: Aus dem Klassenzimmer sieht das Mädchen Polizeiwagen vorfahren. Wegen einer Schlägerei entscheidet ein Jugendrichter, dass Chiara in einer Pflegefamilie aufwachsen soll, bis sie 18 ist. Eine brutale Trennung für alle, die der Film ganz nüchtern verfolgt. Nur mithilfe der Musik kippt die Stimmung.

„Chiara" ist kein Mafia-, Gangster- und auf keinen Fall Männer-Film. Es ist ganz und gar das Porträt eines Mädchens in spezieller, krimineller Umgebung, grandios getragen von der Laiendarstellerin Swamy Rotolo. Kurz wirkte es vorher irritierend, mit welcher Härte Chiara ein anderes Mädchen von der Hafenmauer verjagte, obwohl ewig viel Platz war. Doch das mag auch im Revierkampf von Mädels auf dem Schulhof normal sein. Hier wird nicht psychologisiert, keine Erbschaft im Gangstertum gesucht oder der soziologische Weg ins Kriminelle aufgezeigt. Selbstverständlich gibt es auch keine Verurteilungen aus der Perspektive der Tochter, selbst als der Vater ihr die Details seines Geschäfts erklärt. Dabei hat es etwas Magisches, wie sie in die Welt des Vaters eindringt, sich dem unterirdischen Versteck durch einen Nebel nähert.

Gioia Taura liegt tatsächlich in einer abgelegenen und abgehängten Region Italiens. Im Kalabrien, das jahrzehntelang von der berüchtigten Ndrangheta kontrolliert wurde. Der Hafen der Stadt ist Umschlagplatz für Kokain aus Kolumbien und andere Schmuggelware. Rau wie das Leben sind Setting und Farbpalette des Films, erinnern an entfärbtes Material der 70er. Ein besonders emotionaler Moment wird still wie ein Gemälde, wie ein Familienporträt gefilmt.

Nach seinem gefeierten Flüchtlingsdrama „Mediterranea" (2015) und der Roma-Geschichte „Pio" (2017) – beide ebenfalls im Süden Italiens angesiedelt - realisierte Jonas Carpignano nun ein stilles, aber überaus faszinierendes Porträt einer jungen Frau in extremer Situation. Wie das reduzierte Spiel der Laiendarstellerin zusammen mit den anderen filmischen Mitteln in dieses Leben hineinziehen, ist außerordentlich.

Cop Secret


Island 2021 (Leynilögga) Regie: Hannes Þór Halldórsson, mit Auðunn Blöndal, Egill Einarsson, Steinunn Ólína Þorsteinsdóttir, 114 Min., FSK: ab 16

Bússi (Auðunn Blöndal) ist ruppiger Supercop und Medienheld in Reykjavik: Er trägt ungepflegt Lederjacke und hält sich an keine Regel, weder im Straßenverkehr noch im Verhörzimmer. Aber die Hälfte aller Verhaftungen gehen auf sein Konto. Die andere Hälfte locht Hörður (Egill Einarsson) ein, der über-schicke andere Supercop vom Nachbarbezirk. Immer strahlend, souverän und ein Grund, Bússi zum Rasen zu bringen. Als beide gleichzeitig bei einer Geiselnahme in einer Bank auftauchen und die zahlenmäßig überlegenen Gegner als Schießscheiben benutzen, deutet sich ein Buddy-Movie an. Die kernige Chefin setzt sie auch zusammen auf eine mysteriöse Serie von Banküberfällen an. Denn gleichzeitig gilt es das entscheidende Fußballspiel der isländischen Frauennationalmannschaft gegen England zu schützen.

Doch aus den üblichen Streitereien mitten im action-geladenen Einsatz wird diesmal mehr als Freundschaft. Man hätte es schon bei der kriselnden Beziehung von Bússi zu seiner Freundin ahnen können, er ist heimlich verliebt in seinen Konkurrenten Hörður. Und im Moment größter Gefahr gibt es ein Liebesgeständnis im Kugelhagel. Wobei der raue Macho Bússi auch nach der ersten heißen gemeinsamen Nacht bis zum Coming Out noch einige Kämpfe mit sich selbst ausfechten muss.

„Cop Secret" ist einerseits eine trashige Parodie der zahllosen Cop-Filme aus Hollywood, siehe „Lethal Weapon – Zwei stahlharte Profis" mit Mel Gibson und Danny Glover. Dann aber auch eine herrlich lockere Breitseite gegen Homophobie und Sexismus. Dass zwei schießwütige Bullen während des Einsatzes Küsschen geben, verschiebt ebenso radikal Perspektiven wie das zur Spannung eingesetzte bombige Fußballspiel des Frauenteams. „Cop Secret" ist das Langfilm-Regiedebüt von Hannes Þór Halldórsson, ansonsten Torhüter der isländischen Fußballnationalmannschaft. Die sympathische Unterhaltung mit einfachen Mitteln, aber vielen richtig guten Ideen, feierte im Wettbewerb des 74. Locarno Film Festivals seine Weltpremiere.

A Day to Die

USA 2022, Regie: Wes Miller, mit Kevin Dillon, Bruce Willis, Gianni Capaldi, 105 Min., FSK: ab 16

Polizist Alston (Bruce Willis) leitet den Einsatz bei einer Geiselnahme. Die Opfer sind afroamerikanische Schüler, Helden gibt es nicht. Denn die Eingreiftruppe rund um Connor Connolly (Kevin Dillon) scheitert mit viel Geknall, Ballerei und reichlich Toten. Jahre später ist Alston Polizei-Chef der Stadt und Connor frustrierter Drogenjäger. Als er einen Gangster erschießt, will dessen Boss Schadensersatz in Millionenhöhe und entführt Connors schwangere Frau, um der Forderung Nachdruck zu verleihen.

Auch dieser billige Action-Film scheitert mit viel Geknall und Ballerei. Eigentlich nicht erwähnenswert, bei einer Produktion, die für das DVD-Regal geplant war. Prangte nicht das bekannte Gesicht von Bruce Willis auf dem Poster. Und auch der Titel macht Anleihen bei seinem größten Erfolg „Die hard". Leider verkauft sich die an Aphasie leidende Legende in der Dämmerung seiner Karriere in vielen billigen Produktionen mit reduzierten Möglichkeiten: Wenig Text und Mimik, kaum Bewegung, gar keine Action. Ein trauriger Weg, sich von der Leinwand zu verabschieden.

17.6.22

Lightyear

USA 2022, Regie: Angus MacLane, 100 Min., FSK: ab 0

Die Bruchlandung auf einem fernen Planeten, bevölkert von aggressiven Schlingpflanzen und fiesen Käfern fordert alles vom Kommandanten Buzz Lightyear und seiner Crew. So beginnt eine animierte, altmodische Science-Fiction, die manchmal an die Abenteuer von „Raumschiff Enterprise" erinnert. Wobei Buzz Lightyear das legendäre Logbuch nur für sich aufnimmt, niemand hört es jemals ab. Der Space Ranger braucht das, um seine Nervosität zu bekämpfen. Kollegin Hawthorne macht sich nett über ihn lustig, aber er darf eine Menge echter Heldentaten vollbringen.

Buzz Lightyear, der ewige Kumpel von Woody, war in den enorm erfolgreichen Filmen der „Toy Story"-Reihe ewig zur zweiten Reihe verdammt. Besonders wenn der Cowboy mal wieder verliebt war oder eine Kinderseele retten musste, wurde die Freundschaft arg strapaziert. Weswegen Lightyear sich auch in den bisherigen vier Kinofilmen und noch mehr Ablegern immer wieder aufspielen musste. Doch damit ist jetzt Schluss – der Kinofilm „Lightyear" dreht sich nur um den heldenhaften Astronauten aus der Spielzeugkiste. Ohne dass diese Doppelung einer Spielzeugfigur jemals erwähnt wird.

Die gescheiterte Mission mit Bruchlandung quält Buzz, er will sie vollenden und die Menschen von dem Planeten, der 4,2 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt ist, retten. Dafür muss der Held vom alten Schlage kurz mal um die Sonne fliegen, um eine Brennstoffzelle aufzuladen. Was ihn ein paar Minuten in Hypergeschwindigkeit kostet, während auf dem Planeten mehr als vier Jahre vergehen. Doch das Aufladen klappt erst nach mehreren Versuchen, nach 62 Jahren 7 Monate 5 Tagen. Alle anderen alterten rasant, seine Kollegin Hawthorne ist mittlerweile Vorgesetzte, verheiratet, Mutter, Oma. Und als es endlich geklappt hat, haben Roboter die Basis erobert.

Mit Hilfe von Izzy Hawthorne, der Enkelin seiner Freundin Alisha, tritt Buzz einem übermächtigen Gegner entgegen. Hinter der riesigen Maschine namens Zurg verbirgt sich eine deftige Überraschung. Mit dabei ist die Robot-Katze Sox, die ihm eigentlich für emotionale Probleme zugeteilt wurde, sich aber als tierisches Schweizer Messer mit Hacker- und Agenten-Fähigkeiten erweist.

Tricktechnisch auf hohem Niveau, bringt die Story von „Lightyear" wenig Mehrwert. Der einsame Held soll lernen, Hilfe zu akzeptieren und im anscheinend unmöglichen Team zu arbeiten. Dafür muss er andere aufbauen, statt immer nur runtermachen. Und Fehler verzeihen, auch die eigenen. Die Pixar-Studios lieferten bislang die Krönung von Disneys Animation. Mit Weisheiten weit über die kurzweilige Zerstreuung hinaus, siehe „Alles steht Kopf" über den Umgang mit überwältigenden Gefühlen wie Traurigkeit und Wut. Nun kann der Psychologe allein am sehr alten Buzz sehen, dass die bedingungslose Verfolgung seiner Ziele einen zum Extremisten werden lässt.

Der neue Pixar-Film „Lightyear" von Pixar-Veteran Angus MacLane (Co-Regie „Findet Dorie") ist eher leichte Kost, Erwachsenen-Action, dazu kurz die moralischen Fragen von Zeitreisen. Als digitale gezeichnete Nachmache von „Top Gun" eignet es sich eher für ältere Kids, die wohl meist Jungs sein werden.

14.6.22

Massive Talent


USA 2022 (The unbearable weight of massive talent) Regie: Tom Gormican, mit Nicolas Cage, Pedro Pascal, Tiffany Haddish, Neil Patrick Harris, 108 Min., FSK: ab 12

Wenn es doch immer so einfach wäre, wie im Film „Con Air", den die Tochter des kolumbianischen Präsidenten mit Popcorn und Freund genießt: Da wird eine andere Tochter sicher von ihrem Filmvater Nicolas Cage gerettet. Denn: „Er ist Legende!" Worauf maskierte Männer einfallen und das Mädchen entführen. Schnitt auf das „wahre" Leben der „Legende Cage" in Los Angeles heute: Stilvoll cruist er zum Gespräch für eine Filmrolle über den Highway, rastet dann wie ein Anfänger beim Vorsprechen aus. Beim Geburtstag der Tochter im Haus der getrennt lebenden Ehefrau ist Star Nicolas Cage nur noch besoffene Peinlichkeit. Als seine Hotelsuite für 600 Dollar die Nacht wegen Zahlungsverzug versperrt ist, nimmt der Schauspieler auf der Abwärtsspirale ein verachtetes, aber lukratives Angebot an: Für eine Million Dollar soll Cage bei einer Geburtstagsparty auf Mallorca auftreten.

Gastgeber ist Javi Gutierrez (Pedro Pascal), Milliardär mit kriminellem Hintergrund und vor allem Super-Fan von Nicolas Cage. Die reichlich skurrile Situation entwickelt sich mit gutem Gras und viel Männer-Bonding zur echten Freundschaft. Auch wenn Cage einige Ergänzungen zu Javis Drehbuch hat. Zudem ist Nick Cage die letzte Hoffnung der CIA, um an die entführte Politikertochter der Eingangsszene ranzukommen, die beim Gangster vermutet wird.

„Massive Talent" ist Action-Buddy-Komödie und erinnert nur in den albernsten Momenten an uneigentliche und ungeeignete Agenten wie Jackie Chan als „Spion wider Willen" oder Rowan Atkinson als „Johnny English". Doch eigentlich muss man Cage-Fan sein oder noch mal eine Woche in die „Mancage"-Mediathek eintauchen, um alle Hinweise in den Dialogen zwischen Fan(s) und Star zu verstehen. Denn der feinere Witz von „Massive Talent" liegt darin, dass eine ganze Karriere dekonstruiert wird. Bevor der einfache Actionheld noch einmal die Oberhand gewinnt, um wieder seine Tochter zu retten. Dabei taucht immer wieder sein wildes, jüngeres Ich namens Nicky auf, um wie das Teufelchen auf der Schulter ein paar verrückte Dinge vorzuschlagen. Nicky wie Nicolas Kim Coppola, wie der Neffe von Francis Ford Coppola eigentlich heißt, und ledermäßig bekleidet wie in seiner Rolle in „Wild at Heart".

Der 1964 geborene Cage hatte eine große Karriere zwischen frühen, kitschigen Glanzlichtern wie „Mondsüchtig" (1987) neben Cher bis zum „Oscar"-prämierten Meisterwerk „Leaving Las Vegas" (1995). Daneben eine knallharte Action-Schiene mit dem Gefängnis-Thriller „The Rock" (1996) und der irren Ausbruchs-Action „Con Air", bei der sich der gutherzige Unschuldige in einem Flieger voller Schwerverbrecher bewähren muss. Im gleichen Jahr von „Con Air", 1997, gab es schon einen ersten Ansatz, wieder aus der Action-Kiste rauszukommen: Bei „Face/Off - Im Körper des Feindes" wechselte Nicolas Cage das Gesicht mit John Travolta. Eine doppelte Doppelrolle, inszeniert vom Hongkong-Altmeister John Woo. 

Die enorme Filmliste, die im großen Devotionalien-Raum des Gangster-Bosses Javi Gutierrez Niederschlag findet, enthält auch reine Romantik wie den „unterschätzten" (Javi) „Corellis Mandoline" (2001) von John Madden oder „Stadt der Engel" (1998) von Brad Silberling. Werner Herzog kitzelte 2009 noch einmal alles aus der Ambivalenz von Güte und Härte im Gesicht von Cage heraus für das Abel Ferrara-Remake von „Bad Lieutenant - Cop ohne Gewissen". Der Rest war überkandidelter Trash wie „Ghost Rider" (2007), „Ghost Rider: Spirit of Vengeance" (2011), „Duell der Magier" (2010), „Das Vermächtnis der Tempelritter" (2004) oder „Der letzte Tempelritter" (2010). Der weitere Verlauf seiner Karriere lässt sich am besten dadurch beschreiben, dass kein Film erwähnenswert wäre. Nur auf den blutrünstigen Horror „Mandy" (2017) wird auch in „Massive Talent" referiert.

„Massive Talent" ist bei allen Referenzen kein „Adaption – Der Orchideen-Dieb", der Film von Charlie Kaufman, in dem Nicolas Cage den genialen Drehbuchautor Charlie Kaufman spielt und auch noch dessen Zwillingsbruder Donald, der sich auf simple, aber erfolgreiche Thriller spezialisiert hat. Im Vergleich zu jedem Charlie Kaufman-Film ist „Massive Talent" selbstverständlich unterkomplex. Referenz ist vor allem die belgischen „Action-Fritte" Jean-Claude Van Damme, die sich mit selbstreferenziellen „JCVD" aus einem Karriere- und Image-Tal herausfilmte. Das ist Cage mit diesem unterhaltsamen und augenzwinkernden Actionspaß für alte und junge Fans auch zu wünschen.

Schmetterlinge im Ohr


Frankreich 2021 (On est fait pour s'entendre) Regie: Pascal Elbé, mit Sandrine Kiberlain, Pascal Elbé, Manon Lemoine, 94 Min., FSK: ab 0

Dass ER nicht zuhört, soll öfters vorkommen. Dass er nicht mal ihre verführerischen Vorschläge im Bett mitbekommt und auch verpasst, wie sie beleidigt seine Wohnung verlässt, ist schon extrem. Antoine (Pascal Elbé) ist schwer schwerhörig und hat keine Ahnung davon. Selbst als seine Nachbarin Claire (Sandrine Kiberlain) sich wütend beschwert, sein Wecker würde unaufhaltsam plärren, findet er sie nur unverschämt. Während er den immer noch scheppernden Wecker überhört. In der Schule ist der Lehrer äußerst unbeliebt: Die ausführlich diskutierten Probleme der Kollegen ignoriert er scheinbar, die Fragen der Schüler kommen nicht bei ihm an. Als das Problem schließlich doch zu ihm durchdringt und ein irre teures Hörgerät installiert ist, gestaltet sich der Effekt des Wieder-Hören-Könnens auch beim Zuschauen berauschend. Den Streit zwischen seiner etwas senilen Mutter und seiner Schwester schaltet er dann allerdings schnell ab.

Derweil gelingt es Claire nicht, sich vom Tod des Ehemannes zu erholen. Selbst als der Schwager ihr Gras zum Rauchen gibt, führt das nur zum komatösen Schlaf auf der Couch. Der ungeliebte Nachbar Antoine kümmert sich deshalb um die hungrige Tochter Violette (Manon Lemoine) und freundet sich mit ihr an. Das wird die Basis für eine wachsende Anziehung zwischen Claire und Antoine, sehr schön ausgedrückt über neugierige Blicke im Innenhof von Wohnung zu Wohnung. Doch zum ersten romantischen Abendessen kommt er ohne Hörgerät - mit entsprechend katastrophalen Gesprächen...

Sandrine Kiberlain („Verliebt in meine Frau", „Der kleine Nick") ist eine geniale und bei uns unterschätzte Komikerin, die bei „Schmetterlinge im Ohr" endlich mal wieder in Hauptrolle zu genießen ist. Ihr Partner bei der alles andere als platten Romantischen Komödie ist Pascal Elbé, auch Autor und Regisseur des Films. Er kann sich auf herrliche Situationskomik verlassen, sowohl wenn er alles überhört, als auch, wenn er völlig euphorisch alles überdeutlich hört. Dass in den Beziehungen zu Freunden und Familie die feinen Töne in der Mehrzahl sind, veredelt diesen sympathischen Film bis zum wunderschönen Wunder seines Happy Ends.

13.6.22

A E I O U - Das schnelle Alphabet der Liebe


Deutschland, Frankreich 2022, Regie: Nicolette Krebitz, mit Sophie Rois, Milan Herms, Udo Kier, 104 Min., FSK: ab 6

Überfallartig tritt der junge Schüler Adrian (Milan Herms) ins Leben der älteren Schauspielerin Anna (Sophie Rois): Nach einem Handtaschenraub ist ausgerechnet der Räuber Kandidat für einen Sprechunterricht. In ihrer Wohnung, auf deren Miete der Besitzer Michel (Udo Kier) schon länger wartet, wird das Alphabet schön deutlich betont, während der neue Film der bekannten Schauspielerin Nicolette Krebitz („Bandits", „Unter dir die Stadt") mit den „A"s von Anna und Adrian, sowie zugehörigen Lustlauten Liebe konjugiert. Die Stimmausbildung führt zu dem körperlichen Kontakt, den Anna im Synchronisations-Studio vom älteren Kollegen abwehrte.

Die Affäre mit dem notorischen Dieb bringt viel „amour fou" und eine Flucht an die Côte d'Azur. In einem TV-Talk muss die Schauspielerin den Macho-Kollegen (Moritz Bleibtreu) erklären, dass ihr Körper keine „Komplimente" braucht. Der Altersunterschied der Beziehung wird angenehm leicht überspielt. Dabei kommentiert Anna selbst ihre Handlungen und „A E I O U" ist bei tollen Texten verspielt, poetisch, verträumt, feministisch, wirkt aber immer auch konstruiert künstlich.

7.6.22

Jurassic World: Ein neues Zeitalter


USA 2022 (Jurassic World: Dominion) Regie: Colin Trevorrow, mit Chris Pratt, Jeff Goldblum, Bryce Dallas Howard, 146 Min., FSK: ab 12

Das Treffen der Helden von „Jurassic World" mit den vorzeitlichen Figuren des 90er-Hits „Jurassic Park" ist ein großer Spaß. Wenn dann noch Dinosaurier mit ihrer Action dazukommen, ist der Kassenhit fertig.

Schon wenn Cowboys im Schnee besonders große Rinder einfangen, ist das in 3D ein tolles Spektakel, denn gejagt werden zahme Saurier, die hier im Norden Amerikas weiden. Nebenan im Sägewerk müssen erst Riesen-Dinos geweckt werden, bevor die Arbeit weitergehen kann. Seit den Ereignissen des letzten Films „Jurassic World: Das gefallene Königreich" (2018) im Dino-Reservat Isla Nublar leben die Urzeit-Riesen frei auf dem Festland, neben und zwischen den Menschen. Ging es früher in den Jurassic Parks und Welten ums Fürchten und Erschrecken, startet „Jurassic World: Ein neues Zeitalter" mit immer wieder erstaunlichen Szenen des Miteinander.

Auch der Cowboy der Eingangsszene, der Dinosaurier-Experte Owen Grady (Chris Pratt), und seine große Liebe Claire Dearing (Bryce Dallas Howard) leben friedlich in einer Blockhütte, soweit es der rebellische Teenager Maisie Lockwood (Isabella Sermon) erlaubt. Maisie ist allerdings ebenso im Visier übler Gestalten wie das süße Dino-Baby vom Velociraptor Blue. Dieser Killer-Dino, den Grady im ersten „Jurassic World" (2015) zähmte, lebt auch in diesen Wäldern. Nach der Entführung beider Kinder beginnt eine Jagd rund um die Welt, die zum mysteriösen und mächtigen Biotech-Unternehmen namens Biosyn führt. Auch die riesigen Horror-Heuschrecken, welche die Welternährung bedrohen, hängen mit Biosyn zusammen. Fressen sie doch nur die Felder kahl, die nicht mit Biosyn-Produkten behandelt sind. Ein informierter Schelm, wer hier Glyphosat denkt.

Auf Madagaskar wird der erste Rettungsversuch zu einem Katz-und-Maus-Spiel mit tödlichen Sauriern: Die Schurken sorgen mit einer Kombination aus hochmoderner militärischer Laser-Kennung und animalischem Jagdinstinkt der Vorzeit für herrlich lange Verfolgungsjagden. Auf und ab, rein und raus aus alten Katakomben, quer durch die Gassen einer Altstadt sind ständig neue Raptoren hinter Owen und Claire her. Nach dem gelungenen Action-Mittelteil wird die gesamte Belegschaft zum Labor von Biosyn geflogen, das in einem weiten Dolomiten-Tal liegt. Selbstverständlich gibt es hier das neue, „jetzt bestimmt ganz, ganz sichere" Saurier-Reservat, die Fortsetzung vom „Park" und der „World". Dort kommt es im letzten Drittel endlich zum Treffen mit den Alt-Stars aus „Jurassic Park", die in einer Parallelhandlung eingesammelt wurden. Die Dino-Wissenschaftler Ellie Sattler (Laura Dern) und Alan Grant (Sam Neill) werden unterstützt von Ian Malcolm (Jeff Goldblum), der sich als intellektuelles Aushängeschild von Biosyn tarnt.
 
Als Steven Spielberg 1993 den „Jurassic Park" nach einem Buch von Michael Crichton und David Koepp schuf, war schnell klar, dass hier eine Goldgrube entdeckt wurde. Sam Neill, Laura Dern und Jeff Goldblum sorgten für schauspielerische Substanz zwischen den digitalen T-Rexen. Eine wahre Dino-Lawine ging ab mit T-Rex T-Shirts, Spielfiguren und vielen Nachahmern. Bergab ging es allerdings auch mit den Folgefilmen. Innerhalb der „Jurassic Park"-Trilogie und dann vor allem mit „Jurassic World", dem neuen Dino-Park mit Chris Pratt und Bryce Dallas Howard, wo amoklaufende Action vorherrschte.

Jetzt ist wieder Zeit für eine neue Generation Jurassic-Begeisterung und jede der vielen Filmminuten von Regisseur Colin Trevorrow liefert tolle Popcorn-Unterhaltung. Viele eindrucksvolle Kreaturen führen das Spiel vom Fressen und Gefressenwerden vor, ein amphibisches Biest auf einem zugefrorenen Stausee erweist sich als besonders fies. Bei all dieser digitalen Kreativität liegt der Clou von „Jurassic World: Ein neues Zeitalter" allerdings im generations-übergreifenden Treffen der Hauptfiguren. So wie der T-Rex seit dem ersten „Jurassic Park" Star der Dino-Welt ist, erweist sich Jeff Goldblum als unveränderte Attraktion unter den Zweibeinern. Da kann Chris Pratt so viel rennen, schlagen und schmunzeln wie er will. Goldblum wirkt wie ein „Culture Vulture"-Vampir völlig unverändert und bleibt zuverlässig stilvoll: Wer sonst würde in höchster Not als Zahlencode für ein verschlossenes Tor den Geburtstag von Miles Davis eingeben?

Neben dieser kulturellen Note im Feuerwerk der Unterhaltung überrascht auch der ökologische Schlusston: Da wird tatsächlich plädiert, jede Kreatur und jedes Leben auf dieser Welt zu würdigen, um das Gleichgewicht des biologischen Systems zu bewahren. Klingt nach Greenwashing, aber in vielen Kinos gibt es das Popcorn ja auch schon in Öko-Verpackung!

6.6.22

France


Frankreich, Italien, Deutschland 2020, Regie: Bruno Dumont, mit Léa Seydoux, Blanche Gardin, Benjamin Biolay, 130 Min., FSK: ab 12

France de Meurs (Léa Seydoux) ist in Frankreich Star des TV-Journalismus: Bei einer Pressekonferenz des Präsidenten steht sie zur Begrüßung nicht auf, quatscht unverdrossen weiter, bis Macron sie persönlich unterbricht. Wieder ein öffentlicher Coup für das Aushängeschild des Senders „i". France und ihre Assistentin Lou (Blanche Gardin) freuen sich dreist und ordinär wie Schulmädchen. Das ambivalente Bild dieser Star-Reporterin setzt sich zuhause fort: Sie kümmert sich im erdrückend barocken Wohnzimmer kaum um den Sohn, mit dem Ehemann wird kein Wort gewechselt.

Alle wollen Selfies mit France, selbst die Kämpfer der Tuareg bei einer ihrer „Reportagen" in Nordafrika. Die genau wie die französischen Einsatzkräfte dort auf unerträgliche Weise von der Frau aus dem Westen für die besten Kamerabilder rumkommandiert werden. Nach einem absurden Autounfall, bei dem sie mit weniger als Schritttempo einen arabischstämmigen Rollerfahrer touchiert, der in Zeitlupe umfällt und sich verletzt, zerfällt das Leben von France. Nun wird sie Opfer ihrer Art von „Journalismus" und beendet ihre Fernsehshow. Nach einem Zusammenbruch spioniert selbst eine anscheinend medienferne Affäre in einer Bergklinik sie für einen reißerischen Artikel aus. Dann gibt es ein sensationelles Comeback, bei dem France mit Boots-Flüchtlingen das Mittelmeer überquert – vor der Kamera. Tatsächlich reisen sie und ihr Team auf einer Jacht parallel zum Schlauchboot mit.

„France" klingt nach böser Medien-Satire, doch es ist vor allem ein Film vom Festival-Monolithen Bruno Dumont (TV-Serie „KindKind", „Das Leben Jesu"). Der in Cannes preisgekrönte Regisseur mit Wurzeln in der schweren Erde Nordfrankreichs lässt sein Publikum gerne rätselnd zurück. In „L'humanité" (1999, Großer Preis der Jury) schwebte der gepeinigte Kommissar über den fürchterlichsten Dingen. Bei „Jeannette – Die Kindheit der Jeanne d'Arc" gab es ein wundersam laienhaftes Singspiel in einfachsten Dünen-Szenerien. Man muss die Verbindung von „France" zur einfältigen Schäferin Jeanne ziehen, die sich ab einem bestimmten Punkt schließlich auch selbst inszenierte. Das Erstaunliche, Wundersame beim neuen Dumont ist allerdings, dass er alle Genres unterläuft: France wird nicht psychologisiert, sie ist nicht bösartig oder kalkulierend. Was sie macht, ist sie tatsächlich. Also keineswegs Material für ein Drama oder ein Melodram.

Eigenartig, als die Handlung am Ende auf dem Land ankommt, weil France dort eine Reportage über einen Vergewaltiger und Mörder macht, wirkt alles plötzlich stimmiger. Mit Wind und Brandung, als wenn Dumonts Filme wieder zuhause ist. Das Kamerateam ist nicht mehr so athletisch und jung wie vorher. Selbst France bemerkt: „Es ist schön hier." Und blickt auf ein matschiges Feld.

Vor und nach dem Zusammenbruch bleibt die gleiche hemmungslose, gewissenlose Inszenierung: Ob im Kriegsgebiet die Granateneinschläge echt oder inszeniert sind, interessiert da nicht mehr. Die Tränen fließen bei der Aufnahme wesentlich leichter, doch was bedeutet das? Immerhin reicht die Erschütterung so weit, dass France abends im Nobelhotel mit dem lokalen Kontaktmann ins Bett geht. Das Verhältnis zu Sohn und Ehemann spielt für den Film ebenso wenig eine Rolle wie für France. Auch wer aus der Doppelung des Namens France und der Nation „La France" interpretatorischen Nutzen schlagen will, läuft ins Leere. Selbst das Starkino, mit der grandiosen und vielseitigen Léa Seydoux („James Bond: Keine Zeit zu Sterben", „Blau ist eine warme Farbe") eigentlich perfekt bedient, wird komplett unterlaufen. Wie schon bei der überaus skurrilen Komödie „Die feine Gesellschaft" (2016, mit Valeria Bruni Tedeschi und Juliette Binoche). Bruno Dumont bleibt auch ohne Wunder wundersam.

Belle


Japan 2021 (Ryu to Sabakasu no hime) Regie: Mamoru Hosoda, 121 Min., FSK: ab 12

Aus ihrem uniformen, grauen Schulalltag flieht die traurige 17-jährige Suzu in die knallbunte Cyberwelt namens „U". Ihr schillernder Avatar Belle wird dort in Minuten zur gefeierten Sängerin. Dabei hat das sehr musikalische Mädchen selbst seit dem Tod der Mutter ihre Stimme verloren. 

Außenseiterin Suzu ist nie gefährdet, den Verführungen von Popularität und digitalen Fluchten zu verfallen. Dabei sind diese wirklich fantastischen virtuellen Welten mit Belles Perlenkleidern, mit den riesigen Arenen, durch die sogar Walfische schweben, mit den unendliche Sphären das Berauschendste, was es im animierten Film seit langem zu sehen gab.

Doch es gibt in dieser Wunderwelt auch einen Störenfried: Das mysteriöse „Biest" stört den großen Auftritt von Belle und lässt sich von den Ordnungskräften weder fangen noch enttarnen. Nur Belle empfindet Mitleid mit dem Biest und folgt ihm zu seinem opulenten Schloss - womit wir endgültig bei der Hommage von Disneys „Die Schöne und das Biest" angekommen sind.

Das Meisterwerk des japanischen Regisseurs Mamoru Hosoda  („Mirai - Das Mädchen aus der Zukunft", „Der Junge und das Biest") zitiert die Tanzszene im Ballsaal, schwingt sich aber sowohl ästhetisch als auch inhaltlich zu ganz anderen Sphären auf. Während die Höhenflüge der Animationskunst Szene für Szene atemberaubend beglücken, liegt das Geheimnis der bitteren und wütenden Kreatur außerhalb des Cyberspace „U", in einer erschreckend realen Alltagswelt. Mit ihren Freunden entdeckt Suzu, dass hinter dem Avatar des Biests ein misshandelter Teenager steckt, der seinen kleinen Bruder vor dem gewalttätigen Vater schützen will.

Das wundervolle Cyber-Märchen „Belle" feierte seit seiner Premiere in Cannes 2021 einen internationalen Siegeszug. Zum Erfolg gehören die vielen Popsongs mit Hitpotential von Belle. Und tausende toller Avatare, mehr Kreaturen als zehn Jahre Disney-Film abliefern. Während im Finale ein gigantisches Konzert des Herzens schon für überbordende Gefühle sorgt, toppt nach dem ganzen Spektakel die bewegende menschliche Geschichte alles noch einmal.

Mit Herz und Hund


Großbritannien 2020 (23 Walks) Regie: Paul Morrison, mit Dave Johns, Alison Steadman, Natalie Simpson, 98 Min, FSK: ab 6 

„Bist du einsam, schaff dir einen Hund an!" Die Senioren Dave und Fern brauchen diesen Kennenlern-Tipp nicht, sind lieben ihre Hunde und die Spaziergänge mit ihnen. Selbst der sehr kommunikative Dave (Dave Johns) plante keine Anmache, als er der zurückhaltenden Fern (Alison Steadman) einen viel schöneren Park zum Gassi-Gehen zeigte. Nun begleitet der pensionierte Krankenpfleger mit seiner Schäferhündin die scheue Naturheilerin Fern mit ihrem Yorkshire-Terrier regelmäßig. Exakt 23 mal, wie der Originaltitel „23 Walks" verrät.

Wie es angeblich dem Alter entspricht, gehen sie es ruhig an. Auch tauchen immer wieder Missverständnisse auf. „Mit Herz und Hund" ist keineswegs eine leichte Liebeskomödie mit Wuffwuff: Sie beginnt einfach, wird aber durch Fern und immer neue Vorbehalte recht kompliziert. Dazu gibt es ein wenig Sozialdrama im Stile von Ken Loach, wenn Dave seine alte Wohnung nicht mehr abbezahlen kann und in eine kleinere ziehen soll. Doch wie der Film bleibt Dave trotz der Gegenschläge ein optimistischer Typ.

 

Risiken & Nebenwirkungen


Österreich 2019, Regie: Michael Kreihsl, mit Inka Friedrich, Samuel Finzi, Pia Hierzegger, 93 Min., FSK: ab 6

Architekt Arnold (Samuel Finzi) diskreditiert sich von der ersten Szene an, wenn er beim Bergausflug mit Familie egoistisch voran stürmt. Rücksichtslos belästigt er im Wartezimmer Patienten mit seinen geschäftlichen Handygesprächen. Es braucht dann auch eine Weile, bis in seinen Ego-Panzer durchdringt, dass Ehefrau Kathrin (Inka Friedrich) eine neue Niere braucht. Richtig peinlich wird es, wenn Arnold sich windet, um nicht eines seiner kompatiblen Organe zu spenden. Das Ekel ist erst wieder interessiert, als ein Freund spontan seine Niere anbietet. Konkurrenzverhalten und Eifersucht fixen den Architekten an, der den größten, arg phallischen Turm der Region baut.

Die eigentlich monothematische Farce eines Egozentrikers wird durch schön böse Wendungen aufgefrischt. Organhandel bekommt eine ganz neue Bedeutung als ein Seitensprung mit in die Verhandlungsmasse gerät. Samuel Finzi gibt den fiesen und dann weinerlichen Macho gut, Inka Friedrich trumpft mit schauspielerisch mehr Facetten auf.