Deutschland 2022, Regie: Andreas Dresen, mit Meltem Kaptan, Alexander Scheer, Charly Hübner, 118 Min., FSK: ab 6
Nicht nur der ukrainische Botschafter hat was gegen Frank-Walter Steinmeier, auch Murat Kurnaz ist nicht gut auf den Politiker zu sprechen. Soll dieser doch seine Freilassung aus dem Foltergefängnis von Guantanamo verhindert haben. Andreas Dresens Polit-Komödie zeigt den Kampf um Grundsätze des modernen Rechtsstaates aus der Perspektive von Kurnaz' Mutter mit Comedienne Meltem Kaptan in einer ausgezeichneten Hauptrolle.
Die Geschichte von Murat Kurnaz ist vielfach und auch filmisch aufbereitet worden. Doch komisch noch nie. Der religiöse Bremer wurde 2001, kurz nach den Anschlägen vom 11. September, vom US-Militär in Pakistan nach Guantanamo auf Kuba entführt. Angeblich wäre er auf dem Weg gewesen, in Afghanistan gegen die US-amerikanischen Besatzungstruppen zu kämpfen. Ohne Anklage wurde Kurnaz fünf Jahren interniert. Ein perfides System von Nicht-Justiz verhinderte, einfachste Grundrechte einzuklagen. Nach seiner Freilassung 2006 erhob er schwere Vorwürfe gegen die deutsche Bundesregierung, auch gegen Steinmeier als damaligem Kanzleramtschef und Geheimdienstkoordinator der rot-grünen Bundesregierung.
Im Interview mit dem Spiegel sagte Murat Kurnaz 2017, Steinmeier habe sich „kaltherzig und ignorant verhalten. Als ich die Hilfe der Bundesregierung dringend gebraucht hätte und die USA meine Entlassung anboten, hat er im Wissen um Folter und Entrechtung Hilfe verweigert und mich im Stich gelassen. Das ist kein gutes Zeugnis für einen Bundespräsidenten."
Szenenwechsel: „Ich bin Rabiye, Mama von Murat. Wenn Sie Fragen haben, antworte ich. Aber eine nach der anderen. Und gehen Sie runter von meinen Schneeglöckchen, ja? Echt jetzt!" Das ist Rabiye Kurnaz (Meltem Kaptan), das ist ihr Auftritt, nachdem die Gefangennahme bekannt wurde und die Presse ihr Haus belagert. Diese umwerfend dralle naive Offenheit von Mama Kurnaz ist der Schlüssel, mit dem Dresen sich in „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush" das Interesse eines breiten Publikums eröffnet.
Rabiye Kurnaz ist eine einfache Frau, ihr Mann arbeitet in Bremen bei Mercedes und sie fährt im Mitarbeiter-Werkswagen auf den Straßen gefährlicher als ein Taliban. „Guantanamo, was ist das?" fragt sie unbekümmert mit ihrem türkischen Akzent. Zwar weiß Rabiye nichts von Welt- oder sonstiger Politik, aber sie ist hartnäckig. So überzeugt sie den Anwalt Bernhard Docke (Alexander Scheer), was zu tun. Der Menschrechtsanwalt ist Spezialist für die US-Justiz – und wird zum Kenner schwieriger Beziehungen zu der von Energie überbordenden türkischen Mama. „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush" lebt vom humorigen Kultur-Clash zwischen überwältigender Lebendigkeit und dem trockenen Juristen aus dem Norden.
Gleichzeitig steht das neue Drama von Andreas Dresen („Sommer vorm Balkon", „Wolke 9", „Halt auf freier Strecke", „Gundermann") in der Tradition von US-Gerichtsfilmen, zum Glück ohne ausgebreitete Szenen vor dem Kadi. Ein nicht erreichter Vorgänger zeigte Jodie Foster in „Der Mauretanier" als Nancy Hollaender, Anwältin des Guantanamo-Häftlings Mohamedou Ould Slahi. Auch über Murat Kurnaz gab es schon einen Film. Mit dem eher experimentellen „5 Jahre Leben" verarbeitete Stefan Schaller die gleichnamige Autobiografie.
Der Kampf um Gerechtigkeit für ihren Sohn führt Rabiye in die USA. Nachdem sich sowohl deutsche als auch türkische Regierung nicht zuständig sahen für den in Deutschland geborenen und aufgewachsenen türkischen Staatsbürger, steigt sie in eine Sammelklage gegen US-Präsident George W. Bush ein. Ziel ist ein ordentliches Gerichtsverfahren für Guantanamo-Häftlinge. Das Treffen mit einem berühmten Schauspieler, der die Sache fördert, sorgt wieder für viel Situationskomik mit Rabiye. Der Film selbst schleppt sich etwas durch den Mittelteil und packt erst wieder, wenn die rot-grüne Bremer Landesregierung Murat ausweist, weil er seine Aufenthaltsgenehmigung nicht verlängert hat. Was vor Guantanamo aus schwer sein dürfte.
Wenn Anwalt Docke als zweite Hauptfigur manifestiert „Wir müssen uns den Rechtsstaat zentimeterweise erkämpfen", folgt doch zu viel Hölzernes, um die unfassbar verdreht begründete Ungerechtigkeit zu erklären. Im Hollywood-Film, würde sich Rabiye noch emanzipieren, vom Herd wegkommen und Karriere als Menschenrechtsanwältin machen. Aber „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush" bleibt seiner sympathischen Figur treu und verlässt sich auf die deutsch-türkische Moderatorin, Comedienne Meltem Kaptan. So erreicht der Film trotz einiger Hänger sein Ziel spaßiger Unterhaltung mit politischer Agenda. Frank-Walter Steinmeier ist nicht selbst genannt, es wird nur bedeutungsvoll vom kollaborierenden Staatsanwalt Marc Stocker (Charly Hübner) nach oben gezeigt, als sich die Frage stellt, wer der Rückkehr von Murat Kurnaz verhinderte.