29.9.21
Keine Zeit zu sterben (2020)
USA, Großbritannien 2020 (No time to die) Regie: Cary Joji Fukunaga, mit Daniel Craig, Rami Malek, Léa Seydoux, 163 Min. FSK ab 12
Wie Barbie und Bild gehörte Bond eher zum Schund als zur Kultur, macht sich aber als Marketing-Film alle paar Jahre enorm wichtig. Wobei die Bond-Filme mit Daniel Craig der Figur zum Glück etwas tragische Tiefe gegeben haben. Die Regie von Sam Mendes vor allem machte bei „Skyfall" (2012) und „Spectre" (2015) richtige Filme aus der, in Brosnans Bond-Zeiten, elenden Routine. „Keine Zeit zu sterben" - oder besser „Zeit, Abschied zu nehmen" - ist nun die Vollendung von 16 Jahren ungeliebter Dienstpflicht beim Geheimdienst. Tatsächlich hat Craig, seit er 2005 als neuer Bond für „Casino Royale" angekündigt wurde, ebenso viele Dienstjahre drauf wie Kanzlerin Merkel. Beide eint auch die Vorliebe für abhörsichere Hightech-Telefone.
Mit „Casino Royale" hörten Bond-Frauen auf, nur Bettvergnügen zu sein. Stattdessen brachten sie Bond seitdem große Tragik und richtige Gefühle. Was bei „Keine Zeit zu sterben" auf eine neue Stufe geführt und vollendet wird. So steht mal kein Teaser am Anfang, sondern ein Madeleine-Moment: Eine dramatische Erinnerung von Bonds Ruhestands-Partnerin Madeleine (Léa Seydoux). Dann vor dem Vorspann, der erst nach 30 Minuten kommt, doch ein bisschen Bond-Action, welche die glückliche Agenten-Pension zu zweit beendet. Weil wieder einer aus der „langen Kette wütender kleiner Männer" (Bond) die Menschheit vernichten will. Das ist tatsächlich Routine, auch wenn Rami Malek, der Freddy Mercury aus „Bohemian Rhapsody", in der Rolle des wahnsinnig Verletzen Safin einen der bemerkenswerteren Bond-Schurken gibt.
Die Hintergründe der zügig erzählten Handlung bleiben noch lange geheimnisvoll, dann verwirrend und schließlich egal. Weil Bond plötzlich eine Familie zu beschützen hat – etwas Unerhörtes in der Serie von Ian Flemming-Verfilmungen! Damit verlässt der Film noch eher die Bond-Routine als sein Hauptdarsteller. Der fünfte und letzte Film mit Craig in der Rolle des Superagenten ist so der ungewöhnlichste und beste. Nur eine obligatorische Verfolgungsjagd, kaum technische Gimmicks. Ja, von der Ballerei hätte gut 60 Minuten gekürzt werden können. Passenderweise hat die beste Action-Choreografie eine Auszubildende der CIA, die danach nicht mehr zu sehen ist.
Die Streitereien mit der dunkelhäutigen 007-Nachfolgerin bleiben witzlos, die Konkurrentin im eigenen MI6-Laden wirkt uninteressant. Ihr einziger Treffer ist der trocken kommentierte Mord an einem weißen Rassisten. Ansonsten ist Humor spärlich gestreut und mehr als britisch zurückhaltend. Die altmodische Agentenfilm-Formel rettet sich in ein anderes Zeitalter nicht mit Diversitäts- oder Gender-Verbiegungen. Auch nicht durch besondere Inszenierungs-Qualitäten von Regisseur Cary Joji Fukunaga („Jane Eyre", „Sin Nombre"). Erst die Sorge um den Nachwuchs macht Bond interessant: Ich bin dein Vater!
Nun geht ein Bond, der sein Kind von der Schule abholt und immer nach hinten schaut, ob nicht wieder eine Helikopter-Mutter im SUV heranrast, um den Liebling bis ins Klassenzimmer zu fahren, gar nicht. „Keine Zeit zu sterben" hat eine viel bessere Lösung gefunden. Herrlich melodramatisch, rührend und wieder nicht Bond-typisch. Daniel Craig darf jedenfalls, von Bond befreit, nun gute Filme machen. Und der produzierende Broccoli-Clan, der die Bond-Serie im Tresor hat, sollte vielleicht über andere Möglichkeiten nachdenken, Hunderte Millionen zu machen.