20.9.21

Helden der Wahrscheinlichkeit


Dänemark, Schweden 2020 (Retfærdighedens Ryttere) Regie: Anders Thomas Jensen, mit Mads Mikkelsen, Nikolaj Lie Kaas, Andrea Heick Gadeberg, Lars Brygmann, Nicolas Bro 116 Min. FSK ab 16

Fahrraddiebe sind der Anfang einer Katastrophe, aber anders als DeSica mit dem Neorealismus baut Anders Thomas Jensen postmodern erschütternde Tragödie, heftigen Slapstick und hintergründige Politik zusammen: Wegen des Fahrradklaus muss Mathilde (Andrea Heick Gadeberg) von der Mutter zur Schule gefahren werden. Als dann zufällig auch das Auto nicht anspringt, fahren sie mit der U-Bahn zum Stadtbummel. Der seltsame Mathematiker Otto (Nikolaj Lie Kaas) überlässt der Mutter seinen Platz, der Sekunden später in einem schrecklichen Crash weggerissen wird.

„Der Zufall möglicherweise", muss man frei nach Krzysztof Kieślowskis Film sagen und der sich schuldig fühlende Otto findet heraus, dass unter den Opfern auch ein wichtiger Zeuge gegen die organisierte Kriminalität war. Zusammen mit seinen ebenfalls sonderlichen Kumpels Lennart (Lars Brygmann) und Emmenthaler (Nicolas Bro) geht er der Sache mit Hacker-Kenntnis und Statistik auf den Grund. Dem trauernden Witwer Markus (Mads Mikkelsen) und überfordertem Vater wird ein Gangsterboss als der wahre Schuldige präsentiert.

Das Unglück ist hier ein fieses Stück Tragik, wie es die alten Griechen mochten. Elegant effektiv und schnell erzählt, verbinden sich Schicksale miteinander. Die Kombination des knallharten Elite-Soldaten mit den drei Sonderlingen definiert Tragikomödie neu. Selbst der Buddy-Film, der von ungleichen Paarungen lebt, wurde selten so grandios ausgeführt, wie hier von Regisseur und Autor Anders Thomas Jensen. Derweil versucht Tochter Mathilde, zu begreifen, was passiert ist. Vater Markus mit seinem militärischen Drill, ist dabei keine Hilfe. Dafür kann er mehr als eine Handvoll Gangster eigenhändig und mit dem Maschinengewehr umbringen. Die drei Kumpel geben sich dank viel eigener Therapie-Erfahrung dabei als Jugend-Psychologen aus.

Bei diesem „Who is who" dänischer Darsteller eigenwilliger Typen übernimmt Mads Mikkelsen die Führung. Vor allem wenn er derart extrem ausrastet, dass es wieder komisch wird. Angesicht großer internationaler Rollen bei Bond & Co. vergisst man, dass dieser Charakter-Star schon einiges Schräges in Dänemark gemacht hat. Stichwort Hühnerfarm und tierischer Inzest in „Men & Chicken". Ebenfalls von Anders Thomas Jensen mit dem gewissen Extra MM waren die theologischen „Adams Äpfel" und die kannibalischen „Dänische Delikatessen". Das atemberaubende Durchdringen von herrlichen Albernheiten und tiefem Menschenverstehen macht nicht nur „Helden der Wahrscheinlichkeit" zu einer einzigartigen Mischung. Das ganze Werk Jensens ist mit vor allem mit den Drehbüchern für Susanne Bier („Love Is All You Need", „Nach der Hochzeit", „Brothers") eine filmische Enzyklopädie menschlicher Größen und Abgründe.