Österreich, Luxemburg 2021 Regie: Stefan Ruzowitzky, mit Murathan Muslu, Liv Lisa Fries, Maximilian von der Groeben 99 Min.
Düster, nie Sonne, trübe Aussichten - das ist die faszinierende Stimmung im österreichischen Film „Hinterland" von Oscar-Preisträger Stefan Ruzowitzky („Die Fälscher"), der in Locarno auf der Piazza Grande Weltpremiere feierte. In einem fantastisch gezeichneten Wien klärt der Kriegsheimkehrer Peter Perg 1920 eine Mordserie an anderen Soldaten auf. Dabei werden die Opfer sadistisch hingerichtet und mit einer Botschaft ausgestellt.
Nach Jahren russischer Kriegsgefangenschaft fahren gebrochene Soldaten durch eine apokalyptische Landschaft nach Wien. Tote Bäume säumen die Donau-Ufer wie Skelette. Die Stadt selbst ist ein Aufschrei des Expressionismus: Schräg die Giebel, es knirscht im Gebälk und auf der Tonspur. Diese digitalen, bewusst künstlich gestalteten Kulissen entstanden alle in der Postproduktion, die Schauspieler spielten im Studio vor grünen Leinwänden (Kamera: Benedict Neuenfels). Was dem Film dank durchgehend eindrucksvoller Akteure nicht anzumerken ist. Das Szenenbild, das an die modernen und expressionistischen Motive des Kinos der 20er Jahre erinnert, entstand hauptsächlich am Computer.
Der ehemalige Kriminalbeamte Peter Perg (Murathan Muslu) ist auch in der Republik, die das Kaiserreich nach dem Ersten Weltkrieg ablöst, gefragt. War doch der erste grausam Ermordete ein Mithäftling. Und der opportunistische Vorkriegs-Kollege Victor Renner (Marc Limpach) ist nun Polizeirat, der sich zu sehr um Pergs Ehefrau gekümmert hat. Freundlich nur die Gerichtsmedizinerin Dr. Theresa Körner (Liv Lisa Fries) - als Einzige in Weiß gekleidet!
Da die Zahl 19 eine Rolle spielt, ist „Hinterland" das neue „Neun7ehn" - statt „Se7en", wie sich Finchers Thriller mit Brad Pitt einst schreib. Während die Serienmörder-Handlung diesem vertrauten Schema folgt, ähnelt die Ästhetik dem düsteren „Sin City" von Robert Rodriguez und Frank Miller. Ein Wiener Tatort im Comic-Stil und doch unendlich viel interessanter. Wenn Matthias Schweighöfer dann als Gott der Rache keinen einzigen Scherz macht, ist der Film vollends gelungen!
Freundlichkeit und Hoffnung sind rar in diesen Zeiten, deren politische Unruhe der Oscar-Preisträger Stefan Ruzowitzky immer wieder einfängt. Anarchisten, Futuristen, Dadaisten und eine Pazifistin tummeln sich in den Szenen. Der Hinweis auf diesen „Österreichischen Gefreiten und seine Nationalsozialisten" - gemeint ist Hitler – darf nicht fehlen. Stärker als die Information wirkt die erdrückende Nachkriegs-Stimmung. Mit viel digitaler Kunstfertigkeit und einem großartigen Ensemble macht „Hinterland" aus vertrauten Bestandteilen etwas beeindruckend Neues.
Wie schon bei seinem Oscar-Sieger „Die Fälscher" formt der zeitweise in Düsseldorf aufgewachsene Wiener Ruzowitzky bekannte und bislang eher unauffällige Gesichter zu einem starken Ensemble: Vor allem Murathan Muslu als der vom Krieg und Gefangenschaft zerrüttete Super-Ermittler ist so prägnant, dass man – vergeblich – seine vielen anderen großen Rollen sucht. Liv Lisa Fries kopiert als Gerichtsmedizinerin Körner ihre Rolle aus „Babylon Berlin", wie auch die Stimmung trotz anderem ästhetischem Konzept an die Erfolgsserie erinnert. Der als Gast angekündigte Matthias Schweighöfer krönt schließlich die Riege deutschsprachigen Talents mit einer Rolle, über die geschwiegen werden muss.
Wenn sich Schweighöfers Figur als „Vorbote für das nächste große Morden" bezeichnet, überhebt sich der unbedingt sehenswerte Film damit auf den ersten Blick dann doch etwas. In den Kommentaren zum Kriegseinsatz als „Blödheit" taucht die Antikriegs-Haltung Ruzowitzky aus „Die Fälscher" wieder auf. Ein Pazifist, der es allerdings auch deftig mag, siehe seine früheren „Anatomie"-Erfolge mit viel Splatter.