Der Episodenfilm rund um die allgegenwärtigen Papieraushänge Berlins vergnügt mit frischen Geschichten sowie unprätentiös lebendiger Inszenierung. Ein außergewöhnlicher Langfilm-Erstling, der Spaß im Kino garantiert.
Sie sind schon ein eigenes Literaturgenre, diese urbanen Abrisszettel zum Suchen und Finden, die meist wütenden Papier-Botschaften im Hausflur und die fast immer komischen Kommentare zur Welt auf DIN A4. Für die Metropole Berlin hat Joab Nist sie auf seinem erfolgreichen Blog notesofberlin.com gesammelt. Die Regisseurin Mariejosephin Schneider verfilmte ihn nun kongenial in ihrem Kino-Debüt, dem Episodenfilm „Notes of Berlin".
Auch wenn es in einer besonders berührenden Episode mit Andrea Sawatzki klassisch um Leben und Tod geht, machen die Beobachtungen und Episoden von „Notes of Berlin" meist viel Spaß. Der ist schon mal makaber, wenn immer wieder Plakate für „Look at the Sky" (Schau in den Himmel) aufgehangen werden, aber diese Aufforderung für einen Hans-Guck-in-die-Luft tragisch endet.
Grandios wird das große Berliner Thema der Wohnungssuche als Satire aufgezogen. „Aufhänger" ist ein Zettel mit der Suche nach „1-2 Zimmer" für „300-480 warm/Monat". Der handschriftliche Kommentar lautet: „Gentrifizierung - vergiss es!" Die zugehörige Szene lässt eine junge Suchende mitten in einer WG-Casting-Party mit kostenpflichtiger Bar landen. Professionell werden Warte-Nummern verteilt. Die eher stille Kandidatin (Katja Sallay) flippt angesichts der Anforderungen an WG-Mitbewohner groß aus: Am liebsten aus dem Ausland mit zwei bis drei Fremdsprachen und meist nicht da. Dass sie - wie die Regisseurin - aus Berlin kommt, macht sie zur totalen Exotin.
Zum Thema Partnersuche und Vermisstenanzeigen gibt es eine türkische Episode. Nachdem die Tochter der Mutter eine ungewollte Schwangerschaft gesteht, diskutiert bald das ganze Café heftig mit. Die Spannweite der Kommentare reicht von ultrakonservativ bis weltoffen und modern. Dann wird die junge, scheue Touristin Stella in eine Drag-Bar eingeführt. Ein betrunkener Taxi-Gast glaubt, in Paris zu sein, und akzeptiert den Funkturm als Eiffelturm-Ersatz.
Die locker, aber raffiniert miteinander verbundenen Episoden (Buch: Mariejosephin Schneider, Thomas Gerhold) sind voll aus dem Leben gegriffen. Oder: Voll vom Laternenpfahl abgelesen, denn ihnen liegt immer ein tatsächlicher Aushang als Basis der Geschichte zugrunde. Das reichlich und auch mit der zu glatten Berlin-Staffel „Berlin, I Love You" ausgelutschte Genre der Stadt-Episoden bekommt hier viel frischen Schwung. Mit Andrea Sawatzki als Trauernde und Tom Lass als scheuer Wohnblock-Eremit sind nur wenig bekannte Gesichter zu entdecken. Die anderen sind jedoch genauso gut. Gerade im Querschnitt der Hinterhaus-Typen, die Lass bei der Suche nach einem Karnickel- oder Hasen-Besitzer trifft, ist Kantigkeit wichtiger als Prominenz.
Ob dies der „wahre Geist von Berlin" ist, wie ein japanischer Tourist angesichts eines halbnackten und verpeilten britischen Wohnmobil-Besitzers meint, ließe sich bei einer Millionenstadt diskutieren. „Notes of Berlin" fängt jedenfalls die teils immer noch anarchische Lebendigkeit dieser Stadt ein. Und das passend im rotzig unspektakulären 4:3-Format der Kamera von Carmen Treichl.
Lag es an dem ironisch eingesetzten Berlinale-Schal bei einem BVB-Kontrolleur, dass „Notes of Berlin" seine Deutschlandpremiere nur bei den Biberacher Filmfestspielen feierte? Da wurde er allerdings direkt mit drei „Bibern" ausgezeichnet: Als Bester Debütfilm, mit dem Publikumspreis und dem Preis der Schülerjury.
Schon die abgefilmte und in Relation mit den Geschichten beziehungsreichere Zettelsammlung „Notes of Berlin" macht viel Spaß. Nach vier Kurzfilmen hat Mariejosephin Schneider diese Szenen sicher inszeniert, nicht nur für einen Erstling. Der frische Episodenfilm macht Lust auf neue Entdeckung in Städten und im Kino.