26.10.10

In ihren Augen


Argentinien, Spanien 2009 (El Secreto De Sus Ojos) Regie: Juan José Campanella mit Ricardo Darín, Soledad Villamil, Carla Quevedo, Pablo Rago 129 Min. FSK ab 12

Die Oscar-Favoriten der etwas vergreisten amerikanischen Film-Academy gefallen in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“ traditionell eher durch großen Rührfaktor als mit mutiger Filmkunst. Der „Auslands-Oscar“ für die Produktionen des Jahres 2009 jedoch überzeugte in jeder Hinsicht: „In ihren Augen“ ist im Hintergrund klassisches Politdrama über die Gewalt der Militärdiktatur Argentiniens. Aber auch spannender Krimi, ergreifende Liebesgeschichte und vor allem ein immer wieder überraschender, exzellenter Film.

Der pensionierte Justizbeamte Benjamín Espósito (Ricardo Darín) zeigt sich als rüstiger Rentner: Er hat immer einen flotten Spruch auf den Lippen für die Frauen und die ehemaligen Kollegen. Doch zuhause findet er nicht die Worte für den Roman, der einen ungelösten Fall nacherzählen soll. Und in der Nacht schreibt er auf einen Zettel „Temo“ - Ich habe Angst!

Kurz vor dem Tod und damit dem Ende der zweiten Amtszeit des Präsidenten Perón im Jahre 1974 untersuchte Benjamín Espósito in Buenos Aires erschüttert den Tatort von Vergewaltigung und Mord an einer jungen Frau. Zwar ließ ein rechter Kollege ein Geständnis aus zwei unschuldigen Bauarbeitern herausprügeln, doch erst die intensive Recherche führte Benjamín auf die Spur des Täters. Dessen Blicke auf alten Fotos mit dem Opfer verrieten ihn. Aber der Mörder Isidoro Gómez (Javier Godino) konnte immer wieder fliehen. Der lächerliche Chef ließ den Fall zu den Akten legen, nur die jüngere Staatsanwältin Irene Menéndez Hastings (Soledad Villamil) unterstützte Benjamín. Wohl auch, weil ihr Blick versteckte Gefühle verriet.

Als Benjamín Gómez im Fußball-Stadion des heißgeliebten Racing Clubs fassen konnte, war es auch Irene, die den Verdächtigen bei seinen Leidenschaften packte und ihn in einer atemberaubenden Szene raffiniert provozierte, die Hosen runter zu lassen. Aber der Inhaftierte tauchte bald an der Seite der neuen Präsidentin (und Marionette der Paramilitärs) Isabel Perón auf. Benjamíns Assistent und Freund wurde ermordet, er selbst musste in die Provinz fliehen, bevor er Irene seine Gefühle gestehen konnte. Die Zeiten hatten sich wieder einmal gewandelt. Die Brutalität des Mordes an der jungen Frau war Vorzeichen für Folter, Vergewaltigung und Mord einer rechten Regierung, die schamlos ihre Macht raushängen lässt.

Wie es neuerlich auch deutsche Justiziare tun, versucht Benjamín Espósito, seine Erinnerungen aufzuschreiben. Das erweist sich nicht nur wegen der alten Olivetti mit dem defekten A als Problem. Die Schreibmaschine ist eine Quelle des Humors, der immer wieder in diesem exzellenten Drama auftaucht. Dazu begeistert der Oscar-Sieger „In ihren Augen“ flotten Dialogen voller Raffinesse und mit eindrucksvollen Schauspielern, die auch Nebenfiguren sehr interessant gestalten.

Dass Benjamíns Probleme der Erinnerung nach zwanzig Jahren keine einfache Schreibblockade, sondern ein gesellschaftliches Tabu sind, scheint offensichtlich. Intensiv nachfühlbar kristallisiert sich das Nachdenken über Formen der Justiz in der Geschichte. Auf allen Ebenen arbeitet der Regisseur und Autor Juan José Campanella mit exzellenten Bildern: Die scheinbar alberne Manie Irenes, ihre Bürotüre je nach privater oder dienstlicher Situation zu schließen, entwickelt sich zu einer starken Metapher. So gelang „In ihren Augen“ auf allen Ebenen spannend und liefert auch erzählerisch einen sehr schönen Schluss, wenn sich das „Temo“ (Ich habe Angst) mit nur einem Buchstaben mehr in ein „Te amo“ (Ich liebe dich) verwandelt.