27.10.10
I Am Love
Italien 2009 (Io sono l'amore) Regie: Luca Guadagnino mit Tilda Swinton, Flavio Parenti, Edoardo Gabbriellini, Alba Rohrwacher 119 Min. FSK ab 12
Eine große Familiengeschichte. Der Weg einer besonderen Frau zu sich selbst und in die Freiheit. „I Am Love“ ist eines dieser Meisterwerke, vor denen man nur ergriffen dastehen oder dahin schmelzen kann. Tilda Swinton, die als Produzentin den Stoff elf Jahre lang mitentwickelt hat, glänzt als selbstvergessene russische Frau eines italienischen Patriarchen.
Im edlen Dekor kunstvoller Bilder zeigt der distanzierende Spiegel den flüchtigen Kuss für den Ehemann. Emma Recchi (Tilda Swinton) steuert mit aufmerksamem Blick und kleinen Gesten das Personal an diesem feierlichen Abend. Der Schwiegervater wird die Mailänder Stoff-Dynastie an die nächste Generationen weitergeben, an Emmas Gatten Tancredi Recchi (Pippo Delbono) und den gemeinsamen Sohn Edoardo (Flavio Parenti). Nach dieser Winterszene springt der Film in die sommerlichen Straßen Mailands und San Remos, in denen Emma Überraschendes über ihre Tochter Elisabetta Recchi (Alba Rohrwacher) erfährt und sich in einer Affäre mit Antonio Biscaglia (Edoardo Gabbriellini) dem Freund des Sohnes verliert. Die Liebe zu dem Koch bahnt sich über den Magen an, Emma ist begeistert von seinen Kreationen, die Erkundung einer Vorspeise wird zu einem magisch lustvollen Moment. Ein heimlich erwünschtes, aber trotzdem zufälliges Treffen zeigt die elegante Frau aus besten Kreisen völlig verwirrt und - nach einem unscharf gehalten Kuss - überglücklich. Dabei schafft es der sensationell sinnliche Film, das freie Glückgefühl der Verliebten dem Publikum durch ungewöhnliche Naturbilder und den prägnanten Musikeinsatz des Minimal-Music-Kompositionen John Adams zu vermitteln.
Mit seiner elliptischen Erzählweise schafft es Regisseur Luca Guadagnino, komplexe Vorgänge wie die Wandel im Geschäftsleben und in Beziehungen, ästhetisch brillant und emotional überwältigend darzubieten. Die opulenten Familienszenen im Stile eines Visconti, bei denen Gläser und Schmuck zeitweise ein Eigenleben gewinnen, die Ausstattung der Menschen wichtiger scheint als die Persönlichkeit. Dazwischen immer wieder irritierende Achsensprünge, lange Szenen ohne Sprache, bevor Sätze wie Vorschlaghämmer fallen. Das Finale dieser Film-Symphonie schließlich ein grandioses Gesellschafts-Ballett einer Flucht.
Tilda Swinton spielt die Gesellschaftsdame zwischen graziös und hingebungsvoll, dann nach einem tragischen Unfall ergreifend haltlos. Ebenso einnehmend dargestellt sind ihre Kinder: Der Sohn Edoardo, der die Firmengeschicke nicht mehr in Händen hält. Die Tochter Elisabetta, die ihr Glück in London in der Liebe zu einer Frau findet. Bis ins kleinste Detail überzeugt dieses satte Befreiungs-Drama: Emma entdeckt über ein Suppen-Rezept ihre russischen Wurzeln wieder, obwohl sie sich nicht mal mehr an ihren russischen Namen erinnerte. Ausgerechnet dieses doppelte Liebesgeschenk verrät sie, stößt den Sohn ins Verderben und die Türe zur Freiheit weit auf.