16.6.10

La Nana - Die Perle


Chile, Mexiko 2009 (La Nana) Regie: Sebastián Silva mit Catalina Saavedra, Claudia Celedón, Alejandro Goic, Andrea García-Huidobro 115 Min.

Dass sich viele Filme aus Lateinamerika um Dienstboten und Hausangestellte drehen wie in Carlos Reygadas Meisterwerk „Batalla en el cielo“ hat nicht nur den Hintergrund, dass dort in vielen Ländern noch zahllose Dienstverhältnisse dieser Art gibt. Die scherzhafte Bemerkung eines Kritikers, dass viele Regisseure in solchen Verhältnissen aufgewachsen sind, trifft auf den chilenischen Regisseur Sebastián Silva zu. So enthält der vielfach ausgezeichnete und exzellent gespielte „La Nana“ auch die Wehmut des Bedienten, einmal nicht mehr von dieser sozialen Ungleichheit profitieren zu können.

Es ist Raquels (Catalina Saavedra) Geburtstag und ein große Peinlichkeit: Die 41-jährige Hausangestellte hat ihr halbes Leben bei „ihrer“ Familie verbracht. Jetzt gibt es einen Kuchen und Geschenke, aber schon die Frage, ob Raquel den Kuchen in der Küche oder im Esszimmer verspeisen darf, ist problematisch. Die gut meinende Hausherrin meint, „das Mädchen“ solle sich an den Tisch setzen und mal nicht die Teller abräumen. „Dann muss ich es doch nachher machen“, lautet die pragmatische Antwort.

Seit 23 Jahren kümmert Raquel sich um die Wohlhabenden, zog ihre Kinder groß und stopft den Kleinsten noch immer heimlich Süßes in die Schultaschen. Sie hat sich „ihrer“ Familie völlig verschrieben, mit der eigenen Mutter gibt es nur kurze Telefongespräche. Das Hausmädchen ist dabei zu einer alten Jungfer geworden, und sehr eigenwillig dazu. Erfolgreich verscheucht sie andere Hausangestellte. Ihr Gesicht zeigt dabei kaum Regungen. Auch ist es nicht besonders raffiniert, wie Raquel immer wieder die Konkurrentinnen aussperrt und dann den Staubsauger anwirft, um deren Klopfen angeblich nicht zu hören. Manchmal wirkt sie auch debil, einfältig. Geradezu manisch wischt sie das Angestelltenbad, wenn mal wieder eine andere darin war und lässt einen auch ansonsten befürchten, dass hier etwas in Sachen Psycho abgeht.

Aber irgendwann lassen sich die Schwächeanfälle nicht mehr verheimlichen. Raquel braucht Bettruhe und die lebenslustige Lucy (Mariana Loyola) übernimmt nicht nur ihren Job. Die junge Frau achtet auf sich selbst und zeigt, im Gegensatz zum Hausherrn, der sich selbstverständlich mehr um sein Modelbau-Schiff als um seine Angestellten sorgt, wahre Anteilnahme für Raquel. Die üblichen Anfeindungen lacht sie hinweg, kümmert sich wie eine Mutter um die verbitterte Nana und ihre seelische Öde. Bald taucht Freude in Raquels Gesicht auf. Sie feiert Weihnachten mit Lucy, auch wenn sie dafür schweren Herzens ihre (Arbeitgeber-) Familie verlassen muss. Der Zusammenbruch ist auch ein Aufbruch - ein kleiner wenigstens.

Die lange Reihe von Auszeichnungen beweist es: „La Nana“ ist der Film von Catalina Saavedra, der Darstellerin der Raquel. Ihr Gesicht, das von lebloser Abgestumpftheit am Rande der Bösartigkeit langsam auftaut, trägt einen Großteil der Dramaturgie und der Faszination dieses Films. Irgendwann vergisst man darüber auch die digital dünne Aufnahmen. Dass „La Nana“ kein Stück Klassenkampf ist, verdankt man dem Regisseur, der die letzte, schöne Szene einer ganz kleinen Freiheit für Raquel nur mit Bedauern eingefügt hat, weil er dabei die gleiche Wehmut empfand, wie früher, als das Hausmädchen seinen freien Tag hatte.