20.10.21

The French Dispatch


USA, BRD, Frankreich 2019 Regie: Wes Anderson, mit Benicio del Toro, Adrien Brody, Tilda Swinton, Léa Seydoux, Frances McDormand, Timothée Chalamet, 108 Min. FSK ab 12

Diese wunderbare Hommage an guten Journalismus und exzellente Filme ist kein Meisterwerk – es sind gleich vier Meisterwerke, die Wes Anderson („Grand Budapest Hotel", „Moonrise Kingdom") als Kapitel der letzten Ausgabe des fiktiven Print-Magazins „The French Dispatch" erzählt. In der erfundenen französischen Stadt Ennui-sur-Blasé blieb der aus Kansas stammende Verleger Arthur Howitzer Jr. (Bill Murray) hängen und gibt seitdem das Qualitätsjournal heraus, bei dem eher Anzeigen als Zeilen seiner Autoren gestrichen werden. Mit Ennui-sur-Blasé ist Paris gemeint, aber die wörtliche Übersetzung beschreibt „blasierte Langeweile".

Mit einem seiner einzigartig detailreichen Tableaus ohne Kamerabewegung tritt Anderson in die Redaktionsstuben des „French Dispatch". Der Zickzack aus Treppenstiegen ist unverkennbar ein Nachbau des Jacques Tati-Haus aus „Mon Oncle". Nach dem Rückblick auf die letzte Redaktionskonferenz Howitzers mit dessen verlegerischer Ethik, von der jeder Journalist nur träumen kann, blättert der Film die finale Ausgabe in vier Geschichten im Stil des Magazins „The New Yorker" auf.

Herbsaint Sazerac (Owen Wilson), der furchtlose Radelnde Reporter, den es in die verstörendsten und unappetitlichsten Ecken entlegener Städte zieht, berichtet über Taschendiebe, Leichname, Gefängnisse und Pissoirs. Der morgendliche Trip durch eine Stadt, die eher klein als Metropole zu sein scheint, gerät dank Andersons pedantischer Bildgestaltung in jedem Bild zu einem immensen Vergnügen. Aber auch die Erzählung serviert in rasantem Fluss einen Leckerbissen nach dem anderen. Beispiel: „Nach dem Empfangen der Hostie stellen blutrünstige Messdiener unbedarften Pensionären nach." Genau so darf man sich die surreale bis absurde Welt des Wes Anderson gerne vorstellen.

Die zweite Geschichte, „Das Beton-Meisterwerk", auf den Seiten 5-34 zu „Kunst und Künstler" ist ein grandioser Kurzfilm über einen Maler, sein Aktmodell und einen Galeristen. Die Szene mit der nackten Léa Seydoux kippt in Sekunden, als ihre Figur sich als Gefängniswärterin erweist und der Künstler Moses Rosenthaler (Benicio Del Toro) als Doppelmörder wieder in seine Zelle muss. Dieser Anfang einer besonderen Beziehung wird eine herrliche Farce des Kunstbetriebes, nachdem der kurzzeitig einsitzende Galerist Julian Cadazio (Adrien Brody) das Genie entdeckt. Mit Hilfe breit gestreuter Bestechungsgelder sollen die Gemälde aus dem Hochsicherheitstrack eine internationale Sensation werden. Nur blöd, dass Julian erst bei der heimlichen Vernissage entdeckt, dass die wunderbaren Bilder unverrückbare Freskos sind.

Auch die beiden weiteren Episoden sind gewitzt erzählte, reizvoll verschachtelte Perlen filmischen Erzählens: „Korrekturen eines Manifests" in den Studentenaufständen von Paris der 60er-Jahre mit Timothée Chalamet und Frances McDormand als weiterem Mitglied der Anderson-Familie. „Das private Speisezimmer des Polizeichefs" ist die Geschichte des schwulen Gastrokritikers Jeffrey Wright (Roebuck Wright), der wegen des Chefkochs der Polizeikantine (Monsieur Nescafier!) in eine dramatische Entführung gerät. Das Finale wird gar zum Comic in der „ligne claire" von Herge.

Die Darstellerriege ist mehr als exquisit, nebenbei sind auch Tilda Swinton als Kunstkritikerin, Jason Schwartzman als Cartoonzeichner, Edward Norton als Entführer, Liev Schreiber als Talkshow-Host und Mathieu Amalric als Oberkommissar zu erleben. Die wahre Kunst Andersons liegt allerdings in den bewegten Tableaus, voller netter Figuren, Details und Verrücktheiten.

Wenn die Kritiken nach der Premiere von „The French Dispatch" in Cannes nur begeistert und nicht euphorisch waren, kann das allein daran liegen, dass Anderson diesmal mit mehreren Geschichten und noch mehr ebenso kuriosen wie genialen Einfällen überfordern könnte.