5.1.21
The Stand / Amazon Prime Video
„Up and running - If that is what got us here, I think it's high time we try 'down and standing still'"
Wer noch nicht genug Pandemie hat, kann das Ganze in der Serie „The Stand" mit einer deftigen Portion Stephen King genießen: Ein leichtes Husten, ein Niesen und das Ende ist nah! Innerhalb weniger Tage hat ein Virus fast die ganze Menschheit hingerafft. Das letzte Prozent ist damit beschäftigt, die Leichen mit den massiv aufgequollenen Hälsen zu begraben. Im besten Falle. Andere irren plündernd durch New York oder wollen sexuelle Perversionen an legendären Sportstätten ausleben. Und um es den Verschwörungs-Paranoikern noch mal zu geben, stammt das Virus namens „Captain Trips" selbstverständlich aus einer militärischen Forschungseinrichtung.
Unter der kleinen Gruppe Überlebender werden einige in Träumen von der 108-jährigen Mother Abagail (Whoopi Goldberg) mysteriös nach Boulder, Colorado, gerufen. Der etwas unheimlich und peinlich seiner ehemaligen Babysitterin Nadine Cross (Amber Heard) hinterher schwärmende Harold, rettet sie vor dem Selbstmord – nachdem sie ihre ganze Familie beerdigt hat. Zusammen machen sie sich auf die Suche nach einer Siedlung Überlebender, wobei der Möchtegern-Schriftsteller von Horror-Geschichten (ein junger King?) überall dramatische Botschaften an die Wände sprüht. Der Musiker Larry Underwood (Jovan Adepo), der gerade den Durchbruch geschafft hat, muss seine eigene Drogensucht und New York überstehen, bevor er zu Abagail kommt. Der gutmütige Stu Redman (James Marsden) hat das erste Opfer des Virus retten wollen und trotzdem keine Anzeichen von Erkrankung. Deshalb wird er zuerst Versuchskaninchen fürs Militär und dann pragmatischer Anführer der Gruppe um Abagail. In Rückblenden sehen wir, wie Stu es nach Boulder geschafft hat. In der Gegenwart jagt er Rehe, die im Gegensatz zu Hamstern das Virus überlebt haben und organisiert die Neuankömmlinge. Unter denen ist der taubstumme Nick Andros (Henry Zaga), den die weise Anführerin zu ihrem Sprecher macht – was selbstverständlich sehr irritiert. Andere treffen in ihren Träumen auf den dämonischen Randall Flagg (Alexander Skarsgård), den „Dunklen Mann". Diese bekannte King-Figur sammelt ihre Mannschaften in Las Vegas für den Kampf Gut gegen Böse. Er hat auch schon Verräter in Abagails Gemeinschaft platziert.
Wenn die Reinigung-Truppen eine Kirche voller Leichen finden, erinnert das an aktuelle Infektionsherde unter Gläubigen. Sieben Milliarden Tote und kein Strom, also kein Netflix! Das scheint keine ideale Unterhaltung während einer Pandemie zu sein. Doch gut gezeichnete und gespielte Figuren sowie ein geheimnisvoller Hintergrund halten in den ersten Folgen das Interesse hoch. Vom Ende der neuen Serie, das von Stephen King persönlich überarbeitet wurde, lässt sich noch nicht berichten, da die Presse nur einige Folgen sehen durfte. In denen werden erstmal die Figuren gesammelt und die Fronten angedeutet.
Die Verfilmung des 800-Seiten-Schmöckers von King als Horror zu bezeichnen, scheint übertrieben: Grusel und Ekel von „The Stand" leben von viel Maske. Für die gab es schon 1994 einen Emmy bei einer gleichnamigen Miniserie. Die Aufstellung für den Kampf Gut gegen Böse erinnert nicht nur an Neil Gaimans Serie „American Gods", die nächste Woche mit der dritten Staffel fortgesetzt wird. Gegen diese ausbündige Fantasy kommt Kings alter Schinken nicht an. Doch einige gute Songs und vor allem die scheinbar prophetischen Elemente (Suche nach dem Impfstoff!) heben „The Stand" aus der Masse katastrophaler und post-apokalyptischer Filme hervor. Mehr als die paar Schreckmomente schrecken solche Sätze auf: „Die Welt ist jetzt ein weißes Blatt und wenn wir nicht alle zusammenarbeiten, werden wir nicht in der Lage sein, ein neues Kapitel zu schreiben."
„The Stand" läuft seit dem 3. Januar auf Starzplay bei Amazon Prime. Neue Episoden gibt es jeden Sonntag.
„The Stand" (USA 2020), Regie: Josh Boone u.a., mit James Marsden, Whoopi Goldberg, Alexander Skarsgård, Amber Heard, Greg Kinnear, 9 Episoden á 60 Min., FSK: keine Angabe