12.1.21

Pieces of a Woman (Netflix)


Kein Vergnügen, aber eindrucksvolles emotionales Erlebnis ist diese erste amerikanische Produktion vom gefeierten und preisgekrönten Ungarn Kornél Mundruczó. Martin Scorsese unterstützte „Pieces of a Woman" als ausführender Produzent, doch vor allem Vanessa Kirby („The Crown") in der Hauptrolle macht das Drama um einen frühen Kindstod packend. Sie wurde in Venedig mit dem Preis für die Beste Schauspielerin ausgezeichnet.

Martha und Sean (Vanessa Kirby, Shia LeBeouf) sind ein unkonventionelles, witziges Paar kurz vor der Geburt. Selbst wenn die furchtbar herrische Mutter (Ellen Burstyn) das Familienauto bezahlen muss, eine modische Hausgeburt will „frau" sich doch leisten. Die wird auch für das Publikum eine „schwere Geburt": Über zwanzig Minuten dauert diese ununterbrochene Szene in der Wohnung von Sean und Martha an. Erst die Wehen, dann ist die Hebamme wegen einer anderen Kundin verhindert, der Ersatz (Molly Parker) kommt, das Kind ebenfalls. Alles scheinbar wunderbar, bis das Kind erstickt. Vorspann.

Zu sagen, diese Szenen seien intim, greift viel zu kurz. Sie sind und sie gehen unheimlich nahe. Noch im Schock verfolgen wir danach die fast dokumentarisch nüchternen Versuche Marthas, wieder im Leben Tritt zu fassen. Die Nun-doch-nicht-Mutter will tapfer sein. Wobei jede Begegnung mit einem Kind schmerzt. Die Todesursache bleibt unklar, das Paar macht sich gegenseitig Vorwürfe. Streit gibt es um die Schreibweise des Namens auf dem Grabstein. Aber vor allem um die Frage, ob der kleine Leichnam der Gerichtsmedizin zur Verfügung gestellt werden soll, wie Martha es will. Sean, ein einfacher Bauarbeiter, bricht zusammen. Sein Leid kippt um in Gereiztheit, nach Jahren der Abstinenz trinkt er wieder. Beide werden grob und gemein, haben Affären. Sean ausgerechnet mit Marthas Cousine, die als Rechtsanwältin für das Paar die Hebamme anklagen will.

Der Darstellerpreis für Vanessa Kirby in Venedig verdankt sich wohl dem Leiden ihrer Figur, gestaltet von Mundruczós langjähriger Autorin Kata Wéber. Shia LeBeouf („Transformers", „Lawless") ist hinter dichtem Vollbart in einer sehr guten ernsten Rolle zu erspüren. Während der Gatte vor allem in der eigenen Weinerlichkeit verschwindet, ist die dominante Mutter die interessantere Gegenspielerin Marthas: Elizabeth, die eine brutale Kindheit in Holocaust und Getto erlebte, führt pragmatische Härte ohne Selbstmitleid vor.

Seit vielen Jahren dreht Kornél Mundruczó immer wieder faszinierende Filme. Vor seinem ersten Erfolg, dem betörend poetischen Drama „Delta" (2008), gab es das Musical-Melodram „Johanna" (2005) um eine wundersam mit ihrem Körper heilende Krankenschwester im Stile Lars von Triers. Die Hunde-Oper „Underdog" (White God, 2014) wurde in Cannes mit dem „Prix Un Certain Regard" ausgezeichnet. In „Jupiter's Moon" (2017)  gab es einen erschossenen Flüchtlings-Jungen, der statt zu sterben, plötzlich schweben kann.

Kornél Mundruczós erster Film in Englisch, bei dem Martin Scorsese als ausführender Produzent mitwirkte, fällt überraschend konventionell aus: Nichts wirklich Wunderbares oder Wunderliches geschieht hier. „Pieces of woman" ähnelt in Stil und Stimmungslage Noah Baumbachs beklemmend realer Trennungs-Geschichte „Marriage Story". Nur die über Monate immer wieder gezeigte, im Bau fortschreitende Flussbrücke in Boston macht etwas Hoffnung auf eine Wiedervereinigung des Paares nach frostiger Winterzeit. Martha taut tatsächlich auf und trifft eine folgenreiche Entscheidung. Am Ende wird „Pieces of woman" dann sogar noch Gerichtsfilm, aber nur um zu erkennen, dass Anklagen oder Entschädigungen nicht den Verlust eines Kindes aufwiegen können.

„Pieces of a Woman" (Kanada, Ungarn, USA 2020), Regie: Kornél Mundruczó, mit Vanessa Kirby, Shia LaBeouf, Ellen Burstyn, 126 Min., FSK: keine Angabe