8.3.20

Zu weit weg

BRD 2019 Regie: Sarah Winkenstette, mit Yoran Leicher, Sobhi Awad, Anna König, Andreas Nickl, 91 Min. FSK ab 0

Nicht nur die Begeisterung für das Fußballspiel verbindet Ben und Tariq. Beide haben auch ihre Heimat verloren. Der eine wegen der Braunkohlebagger von RWE, die sein Dorf aufgefressen haben, der andere wegen der russischen und syrischen Bomben, die seine Stadt zerstört haben. Der Vergleich ist gewagt, funktioniert aber bestens in diesem gängigen Familienfilm, Coming-of-Age-Drama und dezent politischem Kinderfilm.

Zwar verspricht die „große Stadt" Düren dem zwölfjährigen Mittelstürmer Ben (Yoran Leicher) einen besseren Verein, doch der Wegzug der Familie aus einem der Kohle-Gier geopfertem Dorf, die neue Klasse und die Versetzung auf die Ersatzbank machen dem Jungen das Leben schwer. Die Situation bessert sich erst, als sich Ben des gleichaltrigen syrischen Flüchtlings Tariq (Sobhi Awad) annimmt und langsam dessen schweres Schicksal, samt Flüchtlingsdrama auf dem Mittelmeer, versteht.

„Zu weit weg" - in Düren und am Rande der Braunkohle-Verwüstungen gedreht - legt sich ganz schön viele Themen auf die Schaufel. Das Wegbaggern ganzer Dörfer und Dorfgemeinschaften durch ewig gestrige Konzerne wird eindrucksvoll ins Bild gebraucht und emotional mitfühlbar. Wenn Tariq beim fast therapeutischen Lego-Spielen wie beim Kriegsspiel eine ganze Stadt heftig zertrümmert, ist das eine erschütternde geniale Idee, die furchtbaren Erfahrungen des Kindes vorsichtig anklingen zu lassen. Dass der Vergleich von weggebaggerten Dörfern und zerbombten Städten mit Tausenden von Toten etwas schief ist, bemerkt der Film selbst und relativiert Bens große Probleme. Der kleine kluge Tariq stellt fest „Der Bagger macht alles kaputt, wie bei uns die Bomben. Nee, nicht wie bei euch: Ihr bekommt jeder ein neues Haus, hier ist ja kein Krieg. Trotzdem traurig - keine Heimat mehr."

Das exzellente Buch von Susanne Finken fängt das junge Publikum mit Fußball-Begeisterung, hat aber nicht nur ein Mädchen in der „Mann"-Schaft, auch in der Handlung spielen Bens ältere Schwester und die Mädchen seiner Klasse gute Rollen. Der kleine Held Ben ist einer mit Ecken und Kanten. Der, der sich bisher nur für seinen Fußball interessierte, lernt nach einer harten Zeit im neuen Club, seinen Egoismus zu überwinden. Ben ist einer, der aus Traurigkeit auch dämliche Sachen macht. Doch auch lernfähig und kann seinen Ärger loslassen - ein seltenes Vorbild im Kino. Nebenbei wird er vom begeisterten Bagger-Fan zum Braunkohle-Gegner. Der Film überwindet symbolisch den Egoismus unserer Gesellschaft, da gezeigt wird, wie gut ein unbegleiteter syrischer Flüchtling Aufnahme findet. Der Mut zu einer großen Geschichte wird mit einem tollen Film belohnt.