15.3.20

Über die Unendlichkeit

Schweden, BRD, Norwegen 2019 (About Endlessness) Regie: Roy Andersson, mit Jane-Eje Ferling, Martin Serner, Bengt Bergius 78 Min.

Der erste Satz im neuen (Roy) Andersson lautet „Es ist schon September". Nein, September ist es noch lange nicht. Wir müssen noch Monate warten, bis wir den Silbernen Löwen der Filmfestspielen von Venedig im Kino sehen können. Sein Kinostart ist wegen des Corona-Virus verschoben worden.

Der Schwede Roy Andersson setzt in „Über die Unendlichkeit" seinen unvergleichlich blassen Stil aus seiner Trilogie über das Leben ( „Songs from the Second Floor", „Das jüngste Gewitter" und „Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach") fort: Viele Geschichten, reduziert auf kleine Momente mit bleich geschminkten Gestalten und Kulissen.

Ein Mann, dessen Arbeit darin besteht, über Gott zu reden, der als Priester seinen Lebensunterhalt verdient, träumt davon, gekreuzigt zu werden. Ein Mann, der auf eine Mine getreten ist und dessen Beine amputiert sind, spielt in der Untergrundbahn auf einer Balalaika „Oh, sole mio". Ein Liebespaar wie von Chagall schwebt über der völlig zerbombten Stadt Köln. Die Einstellungen in „Über die Unendlichkeit" ergeben eher selten einen einfachen Zusammenhang, durchgehend sehen wir den wankenden Priester: „Oh Vater, warum hast du mich verlassen?"

Diesmal gibt es bei Andersson ebenso wenige Dialoge, aber einen poetischen Off-Text, immer beginnend mit „Ich sah einen Mann" oder „Ich sah eine Frau". Es folgen Beobachtungen über den Geist der Zeit, über die Menschen unserer Zeit. Die Szenen, wie immer mit bewegungsloser Kamera aufgenommen, sind absurd und traurig, oder einfach nur traurig. Wenn es mal einen netten Moment gibt, wie die liebevoll erwartete Ankunft des Vaters an einem Bahnhof, folgt danach aus dem Zug direkt eine Frau, auf die niemand wartet. Dann der weinende Vater, der seine gerade erstochene Tochter nach einem so genannten Ehrenmord noch in den Armen hält. Symptomatisch ist eine Diskussion im vollen Bus, ob man in der Öffentlichkeit traurig sein darf.

Hitler im Führerbunker, eine Zahnarzt-Behandlung mit Problemen. „Über die Unendlichkeit" ist eine geballte Dosis Traurigkeit, kunstvoll wie beige Senioren-Kleidung in einem vergessenen Kurort präsentiert. Insgesamt ist es sehr verständlich, dass dieser Film in Corona-Zeiten nicht gezeigt wird. Ob aber der melancholische Herbst ein besserer Zeitpunkt ist?