30.1.20

Intrige

Frankreich, Italien 2019 (J'accuse) Regie: Roman Polanski, mit Cast: Jean Dujardin, Louis Garrel, Emmanuelle Seigner, Grégory Gadebois 132 Min.

Nach dem gleichnamigen Roman von Robert Harris („Der Ghostwriter", „Enigma") inszeniert Roman Polanski in „Intrige" den wahrscheinlich größten politischen Skandal des späten 19. Jahrhunderts aus Nebenperspektive als Krimi und Spiegel der französischen Gesellschaft. Ein hintersinniges und aktuelles Drama um das vielfältige Wirken von Antisemitismus, das bei den Filmfestspielen von Venedig 2019 den Großen Preis der Jury gewann und für 12 Césars nominiert ist.

„Intrige" ist nicht, wieder Originaltitel „J'accuse" vermuten lässt, die Verfilmung des berühmten gleichnamigen Zeitungsartikels von Émile Zola. Es ist auch nicht die Geschichte des 1895 zu Unrecht aus antisemitischen Gründen wegen Spionage verurteilten, degradierten und verbannten Offiziers Alfred Dreyfus. Sondern die seines Ausbilders und zeitweiligen Weggefährten, den Offizier Marie-Georges Picquart, der am Rande der Intrigen mitarbeitet, die Dreyfus verurteilen ließen. Der aber auch später aus Gewissensgründen als Chef des Geheimdienstes den Skandal auffliegen ließ.

Die zelebrierte Degradierung und Erniedrigung des jüdischen Offiziers Dreyfus (Louis Garrel) vor vielen Soldaten und Pöbel wird von den Kollegen der Armee mit ein paar Juden-Witzen kommentiert. Als nicht ganz unbeteiligter Prozessbeobachter ist Marie-Georges Picquart (Jean Dujardin) dabei. Das eröffnet ihm Aufstiegsmöglichkeiten: Picquart wird nach einer Versetzung zum Geheimdienst jüngster Oberst der Armee. Das neue Arbeitsgebäude wird mit leisem Humor in all seiner Verdreckt- und Verkommenheit vorgeführt. Wie der von Syphilis zerfressene Vorgänger ist auch diese Gesellschaft verdorben. Mit naivem Staunen erfährt der neue Chef, was und wer alles ausspioniert wird. Als Zeichen einer Psychose gibt es geheime Listen wie bei Stalin: 2500 sind Verräter 100.000 direkt zu verhaften, die Juden gehören noch nicht dazu. (Ein böser Verweis, zu den Listen, die den Deutschen die Verhaftung der Pariser Juden ermöglichten.) Es ist die Abteilung, die stolz darauf ist, den vermeintlichen Spion Dreyfus entdeckt und überführt zu haben. Das entsprechende Schreiben hängt gerahmt an der Wand. An ihm wird sich Picquarts teilweiser Gesinnungswandel vollziehen.

Bei der aufwändigen Beschattung eines schwulen Gesandten wird Picquart klar, dass Dreyfus unschuldig war und nur aus antisemitistischen Gründen verurteilt wurde. Der großartige Jean Dujardin („The Artist", „OSS 117 – Der Spion, der sich liebte") verkörpert ganz unkomödiantisch eine ambivalente Figur: Sein Ehrgefühl führt ihn dazu, gegen alle Widerstände das Fehlurteil zu bekämpfen. Dafür geht er sogar ins Gefängnis, nachdem er bei einem geheimen Treffen demokratischer Kräfte - Abgeordnete, Herausgeber und Émile Zola - als „Whistleblower" sein Wissen geteilt hat. Doch mit dem gleichen Gerechtigkeitsgefühl gab der militärische Ausbilder Picquart einst Dreyfus gute Noten, obwohl er „Juden nicht leiden kann". In diesem Geist hielt sich die Fin de Siecle-Gesellschaft für kultiviert.

Mit der Hauptfigur Picquart teilt „Intrige" die ruhige, exakte Beobachtung. Der historische Krimi ist nie ungemein spannend, denn - Spoiler - man weiß, dass Dreyfus rehabilitiert wird. Bei allem Dekor und Kostüm sind die Personen sehr präsent und gegenwärtig. Neben Jean Dujardin sind auch die weiteren Rollen mit Louis Garrel, Emmanuelle Seigner und anderen exzellent besetzt.

Schockierend ist, wie übel die Rechtsprechung manipuliert wird, um zum gewünschten Urteil zu kommen. Die Wissenschaft des Graphologen (Mathieu Amalric) verbiegt sich in abstrusen Konstrukten, um die Schuld „des Juden" zu „beweisen". Polanski klagt in seinem hervorragend gemachten, exzellent gespielten Film, der immer noch notwendig ist, nicht einfach laut an. Er führt detailliert das Zusammenspiel von antisemitischer Gesellschaft und Überwachungs-Staat vor. In dem es auch kein Happy End geben kann - ein bitterer Epilog mit dem rehabilitierten Dreyfus und Picquart zeigt, dass die Sache mit der Gerechtigkeit ihre Grenzen hat.