Und morgen mittag bin ich tot
BRD 2013 Regie: Frederik Steiner mit Liv Lisa Fries, Lena Stolze, Sophie Rogall, Bibiana Beglau 102 Min. FSK: ab 12
Jede Stufe stellt für Lea (Liv Lisa Fries) ein riesiges Hindernis dar, eine Treppe ist nur mit Sauerstoffflasche zu überwinden. Die 22-jährige Frau leidet an Mukoviszidose im Endstadion. Leidet so sehr, dass sie fröhlich zum Lebensende in die Schweiz fährt. An ihrem Geburtstag möchte sie sterben, um die Qual zu beenden. „Warum wollen sie sterben?", fragt eine Betreuerin der Sterbehilfe-Organisation (Bibiana Beglau). „Weil ich sowieso sterben werde und ich mich ein Leben lang mit dieser Scheißkrankheit rumgequält habe", lautet die klare Antwort. „Langsam zu ersticken, finde ich ehrlich gesagt ziemlich zum Kotzen", macht sie noch deutlicher. Mit der wenigen Luft, die ihr noch bleibt, ist Lea sehr beredt und äußerst schlagfertig. Für eine Lungentransplantation als Alternative ist es mittlerweile zu spät. Lea war nach eigener Aussage zu beschäftigt damit, zu leben. Aber vielleicht war auch die Tatsache, dass ihr älterer Bruder kurz nach dieser Operation starb, zu erschreckend.
Lea ist eine sehr hübsche, meist lächelnde Frau, die davon träumt, in ihrer Parallelwelt ganz frei davon zu düsen. Doch nach zehn Minuten wird der Erst der Lage drastisch klar. Nicht so sehr ihre Hustenanfälle oder das Übergeben dabei, sondern die Entscheidung Leas schnürt einem beim Zusehen die Luft ab.
Nun brechen die Frauen der Familie auf zur finalen Geburtstagsparty in Zürich. „Und morgen Mittag bin ich tot" ist auch eine Frauen-Familiengeschichte mit Mutter Hannah (Lena Stolze) und Oma Maria (Kerstin de Ahna), die sich gar nicht grün sind, und mit der älteren Schwester Rita. Es entsteht ein Kaleidoskop der Reaktionen auf den selbst bestimmten Tod, bei der ruppigen, aber solidarischen Schwester, bei der Mutter, die den sicheren Tod verdrängen will und auch sonst gerne wegläuft. Und auch bei der gütigen Oma, die cooler tut, als sie wirklich ist. Dass es fast nur Frauen sind, erklärt sich im Film selbst: Leas Vater machte sich früh davon, als er von ihrer Erkrankung erfuhr.
Die vielen, konzentrierten Gespräche kümmern sich wenig um die, mit herbstlichen Farben konsequent unterstützende Zürich-Kulisse. Ganz gegen alle Erwartungen ist „Und morgen Mittag bin ich tot" kein Trauerspiel. Mal nennt die eigene Schwester Lea „der Muco". „Die kleine Hustinette" ruft der hilfsbereite und neugierige Nachbar in diesem Hotel Terminus, der gegen seine unerträglichen Stimmen im Kopf keinen Termin für Sterbehilfe bekommen hat. Schon dieser zusätzliche „Fall" macht deutlich, dass es dem Film bei sehr, sehr berührenden Momenten und viel unverschämten Humor vor allem ernst ist mit dem Leben und dem selbst gewählten Tod.
Die sehr sympathische Hauptdarstellerin - und freudige Entdeckung des Films - Liv Lisa Fries legt ein Tortour de force hin. Ihre Lea, für die sie den „Bayerischen Filmpreis als beste Nachwuchsdarstellerin" erhielt, muss, auch wenn sie fast wie das blühende Leben aussieht, durchgehend nach Luft schnappen. Lena Stolze gibt die besorgte Mutter, Sophie Rogall beeindruckt als raue Schwester Rita.
Ähnlich wie Dietrich Brüggemanns „Renn wenn du kannst" nähert sich das beeindruckende Kinodebüt von Regisseur Frederik Steiner mit Humor und Leichtigkeit einem schweren Thema an. Er ist dabei bewegend wie „Broken Circle" und auch hier hat die Montage - neben der durchgehend großartig aufspielenden Besetzung – einen wichtigen Anteil am Gelingen des Films. Intensiv und still eindringlich ist die Wirkung dieses Beitrags zu einem schwierigen Thema. Das Für und Wider wird nicht groß diskutiert, sondern mit Konzentration auf eine sehr subjektive Perspektive fühlbar gemacht. Was wichtig und heikel zugleich ist.