Norwegen 2011 (Jeg reiser alene) Regie: Stian Kristiansen mit Rolf Kristian Larsen, Amina Eleonora Bergrem, Pål Sverre Valheim Hagen, Ingrid Bolsø Berdal 93 Min.
Wie bereitet man Cock au vin eigentlich auf Norwegisch? Man nehme einen verantwortungslosen, aber nicht unsympathischen Mann, konfrontiere ihn mit der schon etwas älteren Frucht einer lang vergessenen, aber kurzen Affäre, fügt etwas Studentenleben in fortgeschrittenen Semestern hinzu, ein paar schöne Bilder, einen netten Fratz, der herrlich schmollen kann. Das Ganze lässt man mit dem Publikum circa 90 Minuten in sanft süßer Soße schmoren und fertig ist der Wohlfühl-Film. Auch auf Norwegisch.
Unser zu läuternder Held heißt Jarle Klepp (Rolf Kristian Larsen) und passt mit seinen wilden, roten Haaren wunderbar zur Bude, in der sich die Bücherborde biegen und die Aschenbecher überfließen. Hier feiert er mit seinen Kumpels und diesem studentischen Lotterleben entsprang Ende der Achtziger die kleine Lotte (Amina Eleonora Bergrem). Deren Mutter kann Mitte der Neuziger nicht mehr, so dass Jarle plötzlich von seiner Vaterschaft erfährt und direkt am nächsten Tag auf das Kind aufpassen muss, während Mutter endlich mal Urlaub macht.
Nun ist Lotte echt ein nettes (Film-) Kind und macht so gut wie keine Probleme. Die hat Jarle mit seiner lockeren Bett-Freundin Herdis (Ingrid Bolsø Berdal), die doch mehr will und es ihm deutlich macht, indem sie zuerst mit Jarles Freund und dann mit ihrem Professor ins Bett geht. So macht der behauptete Bohemien Jarle, ein Literatur-Student ohne echte Geldsorgen, weiter wie gehabt. Lotte verdrückt mal ein paar Tränchen über die drohende Scheidung ihrer Eltern, aber ist vor allem ein schöner Katalysator für die Umgebung Jarles: Die enttäuschte Nachbarin, lässt ihre verlorenen Hoffnungen mit einer Ohrfeige raus. Der Kumpel schmilzt dahin, als er zum „Onkel" ernannt wird. Jarles Mutter kümmert sich gerne um das unerwartete Oma-Glück.
Ihren leiblichen Papa erdet das Mädchen mit einfachen Fragen: Reparieren die hier irgendwas an der Universität? Weil der vergeistigte Philosoph sich schwer mit dem Mädchen und ihren Kinderliedern verständigen kann, müssen sie eine gemeinsame Sprache finden. Auf diesem Weg klickt Lotte sehr symbolisch den großen Artikel für die renommierte Tageszeitung Morgenposten endlich als Mail weg - der Denker war nicht zu dieser Tat fähig. Mit intellektuellem Gesülz redet er an den Realitäten vorbei und versucht, sich aus ihnen raus zu stehlen. Doch er lernt schnell, organisiert (mit Hilfe der Karnevals-Philosophie von Michail Michailowitsch Bachtin) einen tollen Kindergeburtstag, küsst bei der Feier aber wieder die Falsche. Oder doch nicht?
Im offenen Prozess, den vergeistigten, unreifen Jarle zu erden, bleibt auch der Film angenehm am Boden. Er rührt ohne großen Schmalz, unterhält recht lebensnah. Die eigentlichen Dinge werden klar gesagt: „Ich reise allein" gilt für Lotte, die alleine im Flieger ankommt. Und für Jarle, der alleine im Bus nach Hause fährt, nachdem Lotte und ihre Mutter wieder weg sind. Das ist ein schönes Bild für das gefühlte furchtbar allein im Leben sein - ganz pur und ohne Zitate großer Philosophen.
„Ich reise allein" ist vielleicht nicht so populär wie der auch emotional geschwätzige Schweiger „Kokowääh",ist nicht so verlogen wie in der Science Fiction-Variante „The Kid" mit Bruce Willis. Es ist halt das norwegische Rezept.