13.4.10

Coco Chanel & Igor Stravinsky


Frankreich 2009 (Coco Chanel & Igor Stravinsky) Regie: Jan Kounen mit Anna Mouglalis, Mads Mikkelsen, Elena Morozova 132 Min. FSK ab 6

Schon der Beginn dieses Meisterwerks über die leidenschaftliche Affäre zweier großer Kreativer ist atemberaubend: Die Premiere des Balletts „Le sacre du printemps“ im Pariser Théâtre des Champs-Elysées am 29. Mai 1913. Die sensationell neue Musik von Igor Stravinsky schockt das Publikum. Während ein Teil der Premierengäste rebelliert, aufsteht, stört und schließlich die Polizei einschreitet, hüpft die Tänzerin des zu opfernden Mädchens ängstlich weiter auf den unerhörten Tonfolgen. Der nach außen regungslose Russe Stravinsky (Mads Mikkelsen) rennt aufgeregt hinter die Bühne, erleidet das Debakel. Die berühmte und reiche Modedesignerin Coco Chanel (Anna Mouglalis) beobachtet den Aufruhr der Schwanensee-Abonnenten genau. Ihr Gesicht zeigt sich kühl bis einen Hauch amüsiert. Kounen zeigt diesen Aufruhr bemerkenswert ausführlich. Man stellt nicht nur einen Einschnitt der Musikgeschichte fest, man fühlt förmlich den Schock der Zuhörer.

Ein paar Jahre später findet sich Stravinsky mit Frau und vier Kindern als Flüchtling der russischen Revolution verarmt in Paris. Chanel bietet ihnen Unterkunft in ihrem opulenten Landhaus an. Wobei „anbieten“ nicht das richtige Wort für diese eindrucksvolle Frau ist, die wie selbstverständlich macht, was sie will, und die Erfüllung ihrer Wünsche als Normalzustand ansieht. Mit monoton tiefer Stimme (im Original) geht sie resolut ihren Weg, nimmt sich schließlich den Komponisten direkt am Klavier, während dessen kränkelnde Frau Catherine Stravinsky (Elena Morozova) beim Verstummen des Instruments weiß, was jetzt passiert.

Der in Frankreich arbeitende Niederländer Jan Kounen („39,90“, „Blueberry“, „Dobermann“) machte aus Chris Greenhalghs Roman "Coco & Igor" ein faszinierendes Doppelporträt zweier genial kreativer Menschen, eine ungewöhnliche und schließlich tragische Liebesgeschichte sowie einen außerordentlichen Kunstgenuss. Die Räume der Coco Chanel Raume sind jeder für sich ein neuer Jugendstil-Augenschmaus in strengem und verspieltem Schwarzweiß. Es ist nett anzusehen, wie Catherine Stravinsky als Gegenpol im Frauenbild mit farbigen Deckchen versucht, ihr Familienleben einzurichten. Coco ist derweil besessen von der Suche nach dem eigenen Parfum. Und zeigt auch in ihrer Unterwäsche, was sie will: Mit nur einem Klick fallt die letzte Hülle, die vorher noch mühsam entschnürt werden musste.

Dabei gelingen Kounen in seinem satten, klaren, perfekten Meisterwerk selbst die kleinsten Nuancen. Ein dunkler Gang führt Stravinsky in die andere Welt von Coco. Ins schwarze Schlafzimmer hat sich die Trauer um Cocos große Liebe Boy ebenso eingefressen wie in ihr Herz. Doch die neue Leidenschaft legt ihr auch wieder weiße Kleider an. Eine faszinierende Eleganz steckt in allen Poren des Films, aber vor allem in einer unfassbaren Anna Mouglalis („Mammuth“, „Gainsbourg (Vie héroïque)“, „J'ai toujours rêvé d'être un gangster“). Ihr spannendes Gesicht macht das unabhängige Leben der Coco sinnlich. Und glaubhaft, dass diese Frau kein schlechte Gewissen kennt, das sie einschränken könnte. Diese Unabhängigkeit verlangt sie auch von Stravinsky, doch als der sie nicht als gleichrangige Künstlerin akzeptiert, kommt es zum schmerzhaften Bruch, der zu einem ganz brutalen Schnitt ins einsame Alter ohne diese Liebe führt.

Wie der Film spricht auch Mads Mikkelsen („Adams Äpfel“) nicht viel, schaut dafür um so intensiver hinter seinem Schnauzer aus russischer Tiefe hervor. Nach „Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft“ mit Audrey Tautou ist „Coco Chanel & Igor Stravinsky“ nicht nur Fortsetzung, sondern das echte Porträt einer bemerkenswerten Frau und einer Zeit, von der viel verloren gegangen ist:  Ästhetik, Freizügigkeit und Emanzipation.