11.11.08

So viele Jahre liebe ich dich


Fr 2007 (Il y a longtemps que je t'aime) Regie: Philippe Claudel mit Kristin Scott Thomas, Elsa Zylberstein Frédéric Pierrot, Serge Hazanavicius 115 Min.

Ihr verschlossener Blick macht gleich bei der Ankunft klar, dass die Strafe jetzt erst beginnt. Juliette (Kristin Scott Thomas, die "englische Patientin") wird von ihrer jüngeren Schwester am Bahnhof von Nancy abgeholt und aufgenommen. Müde, verstört, irritiert begeht und befühlt sie das Haus von Lea (Elsa Zylberstein) und deren Familie. Es ist eine echte "Benetton"-Familie, so nennen die Franzosen Patchwork-Familien: Zusammen mit ihrem Mann Luc hat Lea zwei vietnamesische Mädchen adoptiert. Die stellen prompt und frech die ehrlichen Fragen: "Warum haben wir 'Tata' noch nicht gesehen?" Sie war auf einer Reise, einer langen Reise. "Wie lange wird sie bleiben?" Darauf nur Juliettes stilles, nachdenkliches Gesicht. Sie muss sich einmal pro Woche bei der Polizei melden. Skurrile Momente mit einem sympathisch zerstreuten Offizier. In den 15 Jahren der Haft hatte Lea ihre Schwester nicht besucht, ihr nie Briefe geschrieben. Die Eltern verboten es, sagten Juliette lebe nicht mehr...

Nun arbeitet Lea ihr schlechtes Gewissen ab, obwohl ihr Mann Juliette nicht im Haus haben will. Doch der Gast gibt der Familie viel, kümmert sich um Leas stummen Schwiegervater, die kleinen Mädchen scharen sich um sie. Die ruppigen Umgehensweisen, die kantige Mimik der Entlassenen werden weicher. Ihre farblose Kleidung, das Büßergewand, wird von lebendigeren Stoffen abgelöst. Die Schwestern reden viel miteinander. Nur über den Grund der Haft sprechen sie nie. Sie haben nur noch sich. Der Vater ist mittlerweile an Krebs gestorben, die Mutter lebt dement im Altenheim. Erinnerung ist immer ein Thema und Juliette meint, "Manchmal ist es besser, nicht zu wissen."

Unaufdringlich gelingen dem stillen Meisterwerk Bilder, die tiefe Gefühlswelten widerspiegeln. Die zurückhaltende Musik mit ihren E-Gitarren-Improvisionen lässt lange auf sich warten. Alle Zeit bleibt den Emotionen auf dem Gesicht der Kristin Scott Thomas. Sie spielt zweisprachig mit sehr gutem Französisch eine zweisprachige Frau. Mit sehr ruhiger Intensität öffnet sich ihre Juliette. Scheinbar passiert nicht viel, doch der einfühlsame Film bleibt enorm spannend. Nicht wegen des Wartens auf einen Rückfall, eine Katastrophe. Der Film bleibt seiner Hauptfigur treu auf dem langen Weg in ein Leben außerhalb des Gefängnisses und in der Schuld. In diesem ruhigen Umfeld kann ein einfaches Danke unter Schwestern enorm rührend sein.

Das Finale ist eines ganz anderer Art. Auf dem Weg dahin wird einem noch etwas "Schuld und Sühne" von Dostojewski mitgegeben. Doch nach einer erschütternde Erkenntnis bleibt das Ende offen: "Wie kann man darüber urteilen?"