26.3.08

Schmetterling und Taucherglocke


Frankreich/USA 2007 (Le Scaphandre et le papillon) Regie: Julian Schnabel mit Mathieu Amalric, Emmanuelle Seigner, Marie-Josée Croze, Hiam Abbass, Max von Sydow 114 Min.

Mein linkes Auge

Nur einen Augenblick. Manche sagen, das Leben dauert genau so lange. Bei Jean-Dominique Bauby konnte man genau ausrechnen, wie viele Augenblicke sein Leben gedauert hat. Zumindest seine Autobiographie, die er nur mit dem Zucken eines Augenliedes diktierte. 200.000 Augenblicke formten die Worte, das Auswählen eines Wortes dauerte zwei Minuten! Das Drama dieses Lebens - umgesetzt in Julian Schnabels mutige und geniale Bilder - erschüttert wie selten ein Kinofilm.

Es beginnt mit einem Augenaufschlag. Nur verschwommen nimmt Jean-Dominique Bauby (Mathieu Amalric) sein Krankenzimmer wahr. Aufgeregte Schwestern, ernsthaft interessierte Ärzte. Bauby spricht zu ihnen, doch keiner reagiert. Die Panik in der Stimme wird schwer erträglich - keine Reaktion. Bis nach einer Weile ein zynisch ruhiger Spezialist auch den erstaunten Zuschauern alles erklärt: Nach einem Schlaganfall leidet Bauby am "Locked in syndrome". Sein Verstand funktioniert hervorragend, doch ist wie im schweren Tieftaucher-Anzug gefangen. Nichts dringt an die leblose Fassade seines willenlosen Körpers.

Ausgerechnet Bauby, der als Chefredakteur der Frauenzeitschrift "Elle" ein schönes Leben des Scheins genoss. Aussehen und Jugend waren dem 42-Jährigen alles, körperliche Lust ließ ihn Frau und Kinder für eine andere verlassen. Und jetzt hängt er hilflos mit einem bizarr verzerrten Gesicht schief im Rollstuhl. Die jüngere Freundin kann dies nicht ertragen, doch die Ehefrau kümmert sich um ihn.

Halt gibt ihm nur eine Therapeutin, die auch Selbstmordgedanken energisch vertreibt. Mit endloser Geduld wiederholt sie immer die gleiche Abfolge von Buchstaben: "E-S-A-R-N-T-U-L..." Das Zucken seines Augenliedes wählt einen Buchstaben aus, dann folgt wieder der Singsang von "E-S-A-R-N-T-U-L..." So werden quälend langsam aus einzelnen Buchstaben Worte und aus Worten Sätze. Irgendwann beginnt Bauby seine Biographie zu "diktieren" und so erfahren wir von der Verzweiflung im Innern der Taucherglocke. Nur über seine Träume und Erinnerungen entflieht er dem Körper-Käfig wie ein Schmetterling. Ein grausam süßer Ausweg - der einzige.

Der Maler und Regisseur Julian Schnabel ("Basquiat", "Lou Reed's Berlin") verfilmte die sehr erfolgreiche Autobiographie von Jean-Dominique Bauby aus Achtung vor dem Text in Französisch, das Drehbuch schrieb Ronald Harwood. Das Buch erschien am 6. März 1997 und verkaufte sich 150.000 Mal allein in der ersten Woche. Zwei Tage nach der Veröffentlichung starb Bauby. Von den ersten Momenten an lässt Schnabel die Bilder und Töne ganz stark am Gefühl Baubys mitarbeiten. Auch auf der Leinwand kann man anfangs wenig erkennen und verstehen. Wir bleiben irritiert wie der eingeschlossene Patient.