9.2.21
Neues aus der Welt / Netflix
Der alte Mann und das Kind – als Filmpaar sind sie unschlagbar. Diesmal wird der von Tom Hanks gespielte Kriegs-Veteran Captain Jefferson Kyle Kidd durch ein verlorenes Kind, dessen er sich nur widerstrebend annimmt, aus der eigenen Verlorenheit befreit. Wie Regisseur Paul Greengrass („Bourne-Trilogie", „Flug 93") diesen Klassiker zum Spät-Western „Neues aus der Welt" macht, wirkt vor allem durch Tom Hanks und die deutsche Golden Globe-Kandidatin Helena Zengel wieder sehenswert.
Captain Jefferson Kyle Kidd (Hanks) reist 1870 allein durch Texas, um den Menschen in Pionierdörfern die Neuigkeiten aus der Welt zu bringen. Fünf Jahre nach dem Bürgerkrieg dürsten sie nach Unterhaltung und Ablenkung. In Vorstellungen er liest aus älteren Zeitungen von Politik und kuriosen Ereignissen. Auf dem Weg zu seinem nächsten Auftritt, durch immer noch gefährliche Steppen, findet er am Schauplatz eines blutigen Überfalls die zehnjährige Johanna (Helena Zengel). Das Kind im Indianer-Gewand will weglaufen, bleibt scheu und spricht nicht. Aus herumliegenden Papieren versteht Kidd, dass Johanna, die Tochter deutscher Auswanderer, vor sechs Jahren von den Kiowa entführt und aufgezogen wurde. Da sich in einem vor allem menschlich wilden und rauen Westen niemand um das Kind kümmern will, entschließt sich der Veteran, Johanna selbst zu Tante und Onkel zu bringen. Mitten durch ein besonders gefährliches Gebiet.
Es wird in „Neues aus der Welt" dem Genre entsprechend Schießereien geben, Hinterhalte und Überfälle. Das Elend der vertriebenen Ureinwohner und das harte Leben der Neuankömmlinge. Doch die Hauptsache ist die Figur des gebrochenen Kriegs-Veteranen, der mit Anstand durch eine im doppelten Wortsinn „ungebildete" Nation reist. Symptomatisch ist das Duell mit dem brutalen Chef einer von Banditen kontrollierten Stadt: Kidd liest nicht die gewünschte Geschichte über des Gangsters Grausamkeiten, sondern eine von Überleben und der Hoffnung einfacher Menschen. Nebenbei führt er so Demokratie ein: „Welche Geschichte wollt ihr hören?" Wer hier nicht an Trumps Amerika denkt, muss es bei der x-ten Erwähnung, dass „eine zerrissene Nation" zu einigen sei. Tragisch, dass es auch 150 Jahre später teilweise noch der Riss zwischen Nord- und Südstaaten ist.
Tom Hanks brilliert erwartungsgemäß in der Rolle des stillen und bescheidenen Aufrechten. Doch neben ihm besteht überraschend dieses unzähmbare Mädchen aus „Systemsprenger", dem Berlinale-Hit von vor zwei Jahren: wieder die blonden Haare, stechend blaue Augen, wild und bissig. Das gleiche Schreien, dass durch Mark und Bein geht. Helena Zengel spielt sehr passend ein blondes, deutschstämmiges Mädchen, das bei Kiowa aufwuchs und kein Englisch spricht. So ist der mittlerweile 12-Jährigen die Rolle wie auf den Leib geschrieben, aber immerhin schauspielt sie schon, seit sie fünf war. Bei den Golden Globes hat sie als "Beste Nebendarstellerin" mit Jodi Foster einen ehemaligen Kinderstar als Kontrahentin, der mittlerweile auch Star-Regisseurin und Produzentin ist.
Ein „Systemsprenger" ist dieser neue Paul Greengrass trotzdem nicht. Der Netflix-Film „Neues aus der Welt" wäre großes Kino, wenn man in nebeliger Ferne elende Gestalten eines vertriebenen Indianer-Stammes wie bei Todesmärschen sieht. Ein unheimlich eindrucksvolles Panorama auch beim gewaltigen Sandsturm oder einem Massaker an Buffalos. Bittere Zivilisationskritik an einem Westen, der erst durch die angebliche Zivilisation der weißen Eroberer wirklich wild und grausam geworden ist. „Siedler, die Indianer für ihr Land umbringen. Indianer, die Siedler umbringen, die ihr Land geklaut haben." Aber vor allem ist die melancholische Reise vom alten Mann und wildem Kind, auf der beide von ihren Dämonen begleitet werden, so schön rührend, wie man es vom Konzept eines solchen Films erwartet.
„Neues aus der Welt" (News of the World, USA 2020), Regie: Paul Greengrass, mit Tom Hanks, Helena Zengel, 119 Min., FSK: ab 12