24.2.21

I Care a Lot / Netflix


Es ist der absolute Pflege-Albtraum, wie die rüstige Seniorin Jennifer Peterson (Dianne Wiest) aus ihrer eigenen Wohnung entführt wird. Auf richterliche Anordnung kommt sie in ein luxuriöses Pflegeheim; Schlüssel und Telefon werden ihr aber abgenommen. Die freundliche Marla Grayson (Rosamund Pike), mit Lächeln und Killerinstinkt eines Hais, steht hinter diesem Verbrechen. Im Zusammenspiel mit einer bestechlichen Ärztin, falschen Diagnosen und einem einfältigen Richter sorgen Marla und ihre Liebhaberin Fran (Eiza González) reihenweise für Zwangseinweisungen wohlhabender Alter. Der vom Staat beauftragten Fürsorge - Marla - obliegt die Kontrolle des gesamten Vermögens. Denn die schicken Pflegeeinrichtungen kosten ja einiges. Und nahestehende Verwandte gibt es nicht, oder sie erweisen sich dank eines willigen wie dummen Richters als angeblich so ungeeignet, dass sie ihre eigene Mutter nicht mal mehr besuchen dürfen.

Das kleine Drama eines wütenden ausgesperrten Sohnes zeigt „I Care a Lot" zum Auftakt. Um darauf am nächsten Opfer, Jennifer Peterson, vorzuführen, wie die ganze Masche funktioniert. Der Leiter der Pflegeresidenz wird mit Tausenden geschmiert, damit die teure Eck-Suite für die nächste „Kundin" Marlas frei bleibt. Mit dem Gerichtsbeschluss in der Tasche wird Jennifer vom Frühstückstisch abgeführt. Die Wohnung umgehend geräumt und verkauft, das Schließfach ausgeraubt, jede Geldanlage ruckzuck geplündert. Derweil bleibt Jennifer „fürsorglich" eingesperrt, darf nicht mal telefonieren. Doch der überraschende Fund von Diamanten im Bankschließfach hätte die gierige Marla stutzig machen müssen. Ein paar Tage später wundert sich ein ungewöhnlicher Chauffeur, dass die alte Dame nicht zu ihrer Verabredung bereitsteht, ja überhaupt nicht mehr da ist. Denn ganz heimlich ist Jennifer die Mutter eines noch heimlicheren Bosses der russischen Mafia.

Es ist großartig, wie Dianne Wiests Mafia-Mama Jennifer vollgepumpt mit Beruhigungsmitteln Marla ins Gesicht lächelt „Ich bin dein größter Fehler!" Und auch wenn der Gangster-Anwalt Dean mit glänzendem Anzug und lila Krawatte grinsend und drohend in Marlas Büro aufläuft, überzeugt „I Care a Lot" dank seiner Darstellerinnen und Darsteller. Wie Marla mit großer Coolness und Furchtlosigkeit dagegenhält, macht den sorgsamen Thriller zu Rosamund Pikes Film. Das ehemalige Bond-Girl („Stirb an einem anderen Tag" mit Pierce Brosnan) hat sich schon lange vor „Gone Girl" und „Pride and Prejudice" in die Riege der besten Schauspielerinnen eingereiht. Nun gibt sie mit blonder Ritterhelm-Frisur und streng gestylt eine ambivalente Figur. Verkörpert diese eiskalte Abzockerin hinter ihrer E-Zigarette, die sich zum Accessoire gefährlicher Filmfiguren entwickelt, noch positive Frauenpower?

Auch in anderen Kritiken taucht die Frage auf, ob so dieses Bisschen gut gemachte Unterhaltung sozial-kritische Unterströmungen hat. Dass die erfolgreiche lesbische Frau Ärger mit zwei kleineren Männern hat, ist sehr auffällig. Peter Dinklage („Game of Thrones", „X-Men", „Taxi") beeindruckt als Mafia-Boss Roman Lunyov mit Mutterliebe, aber geschäftlich möchte man nichts mit dieser Figur zu tun haben. Also kann keiner der Kontrahenten in Sachen Sympathie punkten. Erst wenn Lunyov vorschlägt, eine Kette von Seniorenheimen zu gründen, überlegt man, wer eigentlich real Pflegeeinrichtungen besitzt. In den USA und in Deutschland. Aber das große Geschäft mit Pflege ist bei dem auch immer komischen Krimi „I Care a Lot" („Ich kümmere mich sehr" oder: „Ich kümmere mich um viele") nur eine der zynischen Schlusspointen. Der Rest ist gut gespielte und fotografierte Unterhaltung mit nur ein paar logischen Lücken.

„I Care a Lot" (Großbritannien 2020), Regie: J Blakeson, mit Rosamund Pike, Peter Dinklage, Dianne Wiest, Eiza González, 118 Min., FSK: keine Angabe