Ein Psychoanalytiker. Fünf Klienten. Eine Familie. Eine Nation. Aus dem Rhythmus sich wöchentlich wiederholender Sitzungen entwickelt das Erfolgsduo Eric Toledano und Olivier Nakache („Ziemlich beste Freunde") ein höchst interessantes Mosaik französischer Befindlichkeiten nach den Terroranschlägen auf das Pariser Bataclan. Denn Psychoanalytiker Dr. Philippe Dayan bewegen auch seine vielleicht untreue Frau, das Verhältnis zu seinen Kindern und eine alte Beziehung.
Die 35 kurzen Episoden „In Therapie" beginnen am Montag, den 16. November 2015, drei Tage nach dem Anschlag: Die 35-jährige Chirurgin Ariane (Mélanie Thierry) berichtet eindringlich erschütternd von ihrem endlosen Einsatz im Operationssaal der Klinik Saint-Antoine. Im Wechsel weinend und wütend erzählt sie endlich aber auch, wie sie direkt danach den Wunsch ihres Freundes nach einer gesetzteren Beziehung brüsk zurückgewiesen und sich von ihm getrennt habe. Um ihren Psychoanalytiker Philippe (Frédéric Pierrot) am Ende der Sitzung mit einer heftigen Annäherung zu konfrontieren.
Am Dienstag kommt Adel Chibane (Reda Kateb) in die Praxis. Der algerisch-stämmige Polizist einer Spezialeinheit stürmte in vorderster Front den Konzertsaal und erlebte einen Zusammenbruch. Noch immer ist er geschockt vom Klingel-Konzert all der Handys der Opfer und von der Hand, die aus dem Berg von Toten und Verletzten nach ihm griff. Auch wenn „In Therapie" meist ein Kammerspiel bleibt, schnüren derartige Details die Kehle zu.
Da wirkt am Mittwoch die 16-jährige Schülerin und Top-Schwimmerin Camille (Céleste Brunnquell) erst einmal komisch, wie sie nur unter viel Chaos preisgibt, was ihr geschah: Im Training für die nächsten Olympischen Spiele wird sie in einen Autounfall verwickelt und bricht sich beide Arme. Sie erinnert sich an nichts, aber die Versicherung des Autofahrers vermutet, dass das Mädchen den Unfall mit verursacht hat, und will ein psychologisches Gutachten.
Der Donnerstag bringt Paartherapie mit Léonora und Damien (Clémence Poésy, Pio Marmaï). Sie ist unverhofft schwanger geworden, obwohl das Paar nach Jahren erfolgloser künstlicher Befruchtung den Kinderwunsch aufgegeben hatte. Nun will sie es nicht mehr, was ihn rasend und eifersüchtig macht. Am Ende der Woche sucht Philippe nach zwölf Jahren wieder seine ehemalige Freundin und ältere Kollegin Esther (Legende Carole Bouquet) auf. Hier brechen Erinnerungen und Eifersüchte auf. Das emotionale Streitgespräch beider Analytiker hebt die Geschichte nicht nur fachsprachlich auf eine weitere Ebene.
Es sind für sich richtig spannende Konflikte, die da auf der Couch des jüdischen Dr. Philippe Dayan landen und die nach dem abebbenden Widerstand der Klienten noch interessanter werden. Und man könnte jeden einzelnen „Fall" in jeder fünften Episode gesondert verfolgen. Aber nach dem Zusammenbruch Philippes merkt seine Analytikerin an, dass all diese Menschen eines seiner Probleme verkörpern: Das Eheproblem und die Frage der Trennung. Die (Kommunikations-) Schwierigkeiten mit der jungen Tochter. Die unerklärliche Wut beim Polizisten. Und eine junge, reizende Frau als mögliche Antwort auf die Midlife-Krise.
Eric Toledano und Olivier Nakache wollten über die Figuren und Patienten „In Therapie" ihr Land zeigen. „Eine fiktive Karthasis", so die Autoren. Sie haben die israelische Serie "BeTipul" adaptiert, aus einem Land, in dem Anschläge schon fast zum Alltag gehören. Es folgten Versionen unter anderem in den Vereinigten Staaten, den Niederlanden, Brasilien, Serbien, Argentinien und Italien. Das in kurzen Episoden dank starkem Ensemble leicht konsumierbare, gewaltige französische Werk von fast 15 Stunden formt mit seinem Mosaik einen eigenen Kosmos. Er wird in der Arte-Mediathek mit zusätzlichen Filmchen von hinter den Kulissen erläutert und ergänzt.
(Arte fünf Mal pro Woche werktags)
„In Therapie" (En thérapie, Fr 2020), Regie: Eric Toledano, Olivier Nakache (Montag, Dienstag), Pierre Salvadori (Mittwoch), Nicolas Pariser (Donnerstag), Mathieu Vadepied (Freitag), mit Philippe Dayan, Mélanie Thierry, Reda Kateb, Céleste Brunnquell, Clémence Poésy, Pio Marmaï, Carole Bouquet, 35 Folgen à ca. 25 Min., FSK: ab 16