15.12.20

Wolfwalkers / Apple TV+


Bereits „Die Melodie des Meeres" (Europäischer Filmpreis 2015) von Tom Moore war ein Kunstwerk, das weit über das Genre des Kinder-Zeichentrick hinaus schien. Der Nachfolger „Wolfwalkers" erzählt mit einem ähnlich wunderbaren Stil von Naturzerstörung durch Zivilisation und Religion in Cromwells Irland. Ein Meisterwerk und der schönste, klügste und reichste (Animations-) Film des Jahres.

Das verwegene Mädchen Robyn träumt davon, wie der Vater Wölfe zu jagen. Doch der große, üble Boss will sie in eine Industrie-Küche stecken, denn „da gehören Frauen hin". Auch diese Emanzipations-Geschichte erzählt „Wolfwalkers", angesiedelt im Irland des Jahres 1650. Oliver Cromwell erobert die Insel mit seinen englischen Truppen. Damit zwingt er den katholischen Bewohnern nicht nur seine puritanische Religion auf, auch „die Natur" muss kontrolliert werden. Der große, geheimnisvolle Wald vor der Stadt fällt immer mehr den Holzfällern zum Opfer. Die werden allerdings schon in der ersten Szene von Wölfen und einem magischen Wesen verjagt.

Robyns alleinerziehender Vater Bill ist Wolf-Jäger für den mächtigen und bösartigen Lordprotektor. Aus übergroßer Sorge um sein Kind verbietet Bill ihr, die Stadt zu verlassen. Doch das neugierige Mädchen und ihr Raubvogel Merlyn lassen sich nicht fernhalten. Im verwunschenen Gestrüpp lernt sie die wilde Mebh kennen. Das rothaarige Wesen, das mit den Wölfen rennt, ist ein „Wolfwalker" – Wolf, wenn sie schläft, und Mensch, wenn sie wach ist.

„Wolfwalkers" ist ungewöhnlich reich an interessanten und weiterführenden Geschichten. Doch erst einmal fasziniert wieder der atemberaubend schöne Stil von „Die Melodie des Meeres" und „Das Geheimnis von Kells". Jede Szene hat Bilder „zum an die Wand hängen": Inspiriert von irischen Holzschnitten sieht man die graue Stadt im Hintergrund als grafisches Element, als vertikales Raster. Da gibt es ein farbenfrohes Mandala mit der Wolf-Familie und in der Mitte Mutter sowie Tochter Wolfwalker. Dann meint man in einem Blumenmeer Klimt zu entdecken. Dann wieder eine strenge Linienführung mit dem Fachwerk der Häuser. Die Zeichnungen sind grafisch und doch voller Leben. Dabei verspielt, nicht perfekt, wenn nicht bereinigte Linien um die Gesichter kreisen. Trotz der Referenz zu irischen Holzschnitten hat man weniger das Gefühl der „Aneignung" als bei Disney-Filmen („Pocahontas"), wo die indigene Kultur oft nur Dekoration ist.

So ergänzen sich wieder Form und Inhalt aufs Reizvollste. Die unmenschliche Strenge des religiösen Eroberers trifft auf freies Leben und freien Stil. Nicht nur mit der Diskussion um Lebensraum für Wölfe hat „Wolfwalkers" dabei hochaktuelle Themen. Durch den raffinierten Perspektivwechsel der verzauberten Robyn erleben wir mit den Sinnen der Wölfe die Zerstörung der Wälder. Soziologisch zeigen die Bilder gar die traurige Menschheitsgeschichte einer Entfremdung von Natur und marxistisch die Entfremdung der eigenen Arbeitskraft im Zuge der Verstädterung.

Eine Geschichtsstunde über die Besetzung Irlands durch England ist dieses Meisterwerk sowieso. Denn mit dem Lordprotektor ist Oliver Cromwell gemeint, der in Irland grausam Kriegsverbrechen beging. Aber auch hier ist „Wolfwalkers" verblüffend modern: Solche Hassprediger führen immer noch bei Christentum, Islam und anderem religiösen Wahnsinn das Wort. 

Ein Kunstwerk, kluge Geschichten und beste Unterhaltung - „Wolfwalkers" begeistert in jeder Hinsicht groß und klein. Das ist relevante Filmkunst auf dem Niveau wie das – wesentlich umfangreichere - Werk von Hayao Miyazaki („Prinzessin Mononoke").

„Wolfwalkers" (Irland, Luxemburg, Frankreich 2020), Regie: Tomm Moore, 103 Min., FSK: ab 6