2.12.14

Im Keller

Österreich, BRD 2014 Regie: Ulrich Seidl 85 Min.

Schon der Titel ist eine Provokation, bezieht er sich doch auf Natascha Kampuschs Verlies im Keller ihres Peinigers. Mit seiner neuen Dokumentation schaut Ulrich Seidl, der Österreicher und Regisseur von „Models" (1998) und „Tierische Liebe" (1995) sowie der „Paradies"-Trilogie, genauer nach, was sonst noch alles bei seinen Landsleuten im Keller steckt. Er legt viel von dem bloß, was man (bei ihm) erwartet, die Vorfreude auf Abartiges wird schnell belohnt: Hinter hohen Hecken und geschlossenen Fassaden gibt es den Opern singenden Schießmeister in der unterirdischen Schießanlage. Eine Frau im Bademantel, die in den Keller des Mehrfamilienhauses geht, um eine lebensecht wirkende Babypuppe zu liebkosen und sich ausgiebig mit ihr zu unterhalten. Selbstverständlich auch ausgefallene Sexualpraktiken und ein Posaunist mit seinen Nazi-Devotionalien im „gemütlichen Raum", der mit dem Feudel in schwarz-rot-gelb die Hitler-Bilder und Bajonette abstaubt. Dazu eine riesige gelbe Schlange, die ein Hamsterchen mit gnadenloser Langsamkeit in einem Terrarium jagt, ein fülliger Wachmann, der nackt unter dem Regime einer Domina Hausputz macht, und eine schlüssige Erklärung, „weshalb der Türke nicht logisch denken kann". Die extreme Masochistin, die bei den Folter-Spielen ihre „Seele baumeln lassen kann". Das Entsetzen über den Nazi-Stammtisch kollidiert mit der Tristesse eines Jugendkellers.

Wie immer muss man bei Seidls Dokus mit viel Inszenierung rechnen und bei seinen „Spielfilmen" mit starken dokumentarischen Elementen. In Unkenntnis dessen wollten einige Publikationen einen „Skandal" hochkochen, als sie Aufnahmen eines Schützenvereins als inszeniert „entlarvten". Doch auch wenn sich Seidl treu bleibt und sein Personal wieder dem gleichen Horror-Kabinett entsprungen zu sein scheint, er gibt wohl wirkliche Haltungen und nicht zu vernachlässigende gesellschaftliche Strömungen wieder. Ästhetisch sitzen die Protagonisten immer wieder erstarrt wie eingeklebte Püppchen in den Installationen ihrer Sonderlichkeiten. Dazu diese streng symmetrischen Kompositionen, die ebenso wie die raschen Folgen unfassbarer Bilder und Menschen fesseln. Ein sehr mutiges, umstrittenes und ambivalentes Vergnügen.