29.9.25

Nur für einen Tag

„Wenn du singst, vergesse ich meine Sorgen", trällert der Automechaniker Raphaël (Bastien Bouillon) seiner Jugendliebe Cécile auf der Eisbahn zu. Aus den Boxen erklingt das Chanson Femme Like U von K.Maro. Vielleicht hören aber auch nur die beiden diese Musik für ihr romantisches Duett auf der Eislauffläche. Denn „Nur für einen Tag" ist eines dieser wunderbaren Filmmusicals, in denen Menschen unvermittelt zu singen beginnen. Meist, wenn sie nicht mehr wissen, was sie sagen sollen.

Cécile (Juliette Armanet) weiß wirklich nicht weiter: Nach ihrem großen Erfolg in einer nationalen Fernsehkochshow fehlt der Gourmetköchin für ihr bald zu eröffnendes Restaurant in Paris noch das durchschlagende Rezept, das „Signature Dish". Aus ihrem erdrückenden Dauerstress kann sie ihr Freund Sofiane (Tewfik Jallab) nur mit einer lebensfrohen Tanzeinlage zu „Alors on danse" von Stromae befreien. Dabei ist Cécile die geborene Köchin: Aufgewachsen in der provinziellen Fernfahrer-Gaststätte ihrer Eltern, heißt sogar ihr alter Hund Bocuse nach dem berühmten Sternekoch. Doch nun muss sie „nur für einen Tag" in das Nest ihrer Kindheit zurückkehren, weil ihr Vater Gérard (François Rollin) auch nach dem dritten Herzinfarkt die Küche nicht verlassen will. Zudem ist die junge Frau schwanger und hat ihrem Partner Sofiane nichts von der bevorstehenden Abtreibung erzählt. Da passt es perfekt, dass kurz nach ihrer Rückkehr und dem ersten Streit mit dem Vater Céciles Jugendliebe Raphaël (Bastien Bouillon) auftaucht und es noch deutlich spürbar zwischen beiden knistert. Aus dem geplanten Kurzbesuch wird eine wilde Reise in die Vergangenheit ihrer Teenagerzeit.

„Nur für einen Tag" ist selbstverständlich nicht der erste Film, der große Lebensentscheidungen mit einem Rückblick auf scheinbar freiere Zeiten verbindet. Das wunderschön leichte Filmmusical ist jedoch etwas Besonderes, weil es einem Geheimnis von Céciles Familie folgt. Vater Gérard, der seiner Tochter kritisch jeden frechen Spruch aus der Fernsehshow gegen die einfache Küche vorhält, versöhnt sich schließlich mit dem einfachsten Rezept fürs Glück seit früher Kindheit: Er taucht einen Zuckerwürfel in Kaffee, bevor er knackend im Mund verschwindet. So könnte man auch das Rezept für diesen wunderbaren Film beschreiben: schwierige Lebenssituationen mit bitter-süßen Chansons vermischen und einen spontanen Schuss Glück verspüren. Bewundernswert ist die scheinbare Leichtigkeit, mit welcher der Film gleich mehrere schwere Entscheidungen jongliert.

Mit Klassikern und modernen Hits setzt „Nur für einen Tag" die lange und schöne Tradition französischer Filmmusicals fort. Allerdings ist er alltäglicher als die Werke von Altmeister Jacques Demy („Die Regenschirme von Cherbourg", 1964) oder die rührenden Playbacks von Alain Resnais in „Das Leben ist ein Chanson" (1997). Und eben nicht im Stil von „La La Land" (2016) mit perfekter Choreografie, sondern scheinbar mitten aus dem Leben wird hier gesungen. (Zuletzt gab es auch noch den Drogen- und Trans-Thriller „Emilia Pérez" von Jacques Audiard.)

Wie es sich für das Musical gehört, brechen Musik und Bewegung – beginnend mit dem Tanz zu Stromae – immer wieder unvermittelt in den Film ein. Dabei hüpft und tanzt das Herz mit. Neben dem wunderbaren Schauspiel auf hohem Niveau von allen Hauptfiguren machen auch die selbst gesungenen Musikeinlagen den Film unbedingt sehenswert. Herrlich, wenn Juliette Armanet als Cécile mit tiefer Stimme den Sprechgesang von Alain Delon bei „Parole, Parole, Parole" gibt und ihre Filmmutter, die legendäre Dominique Blanc, den Part von Dalida singt. Im kongenialen Zusammenspiel von Handlung und Songs macht das letzte Lied, der Titelsong „Partir un jour", beim gänzlich offenen Ende deutlich, dass Cécile nun mit sich im Reinen ist – was auch immer passieren wird.

„Nur für einen Tag" war dieses Jahr Eröffnungsfilm des Filmfestivals von Cannes und der erste Debütfilm überhaupt, dem diese Ehre zuteilwurde. Allerdings ist Regisseurin und Drehbuchautorin Amélie Bonnin keineswegs Debütantin. Sie inszenierte diese Geschichte bereits in einem Kurzfilm, der 2023 bei den Césars als „Bester Kurzfilm" ausgezeichnet wurde. Zudem war sie als Illustratorin und Musikvideo-Regisseurin tätig. Die mit Natürlichkeit gewinnende Hauptdarstellerin, die französische Musikerin Juliette Armanet, ist erfolgreich im französischen Pop unterwegs. Sie hatte einen spektakulären Auftritt bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Paris, als sie auf einem Boot die Seine hinabfuhr, vor einem brennenden Klavier stand und John Lennons „Imagine" sang.

„Nur für einen Tag"
(Frankreich 2025), Regie: Amélie Bonnin, mit Juliette Armanet, Bastien Bouillon, François Rollin, 96 Minuten, FSK: ab 12