16.8.22

Goliath (2022)


Frankreich, Belgien 2022, Regie: Frédéric Tellier, mit Gilles Lellouche (Patrick Fameau) · Pierre Niney (Mathias Rozen) · Emmanuelle Bercot, 121 Min., FSK: ab 12

Der Kampf von David gegen Goliath, von schwachen Opfern gegen einen übermächtigen Chemiekonzern, findet in dem bewegenden und überzeugenden Polit-Drama „Goliath" mit einem entschlossenen Ensemble statt. So kann Regisseur und Koautor Frédéric Tellier sein engagiertes großes Werk ganz anders als Hollywood und viel glaubhafter bringen.

Das Landwirtschaftsgift heißt Tetrazine und der Konzern Phytosanis. Doch direkt ist klar, dass Glyphosat und Monsanto, beziehungsweise der Nachfolger Bayer gemeint sind, wenn die junge Witwe unter Tränen vor Gericht erzählt, wie ihre Frau qualvoll am Krebs sterben musste, welches dieses „Pflanzenschutzmittel" erzeugte. Während Anwalt Patrick (Gilles Lellouche), Spezialist für Umweltrecht, die Landwirtinnen mit enormer Leidenschaft verteidigt, ist sein Gegenspieler Mathias (Pierre Niney) noch damit beschäftigt, Europa weiszumachen, dass Dieselmotoren eine total saubere Sache sind. Was wissenschaftlicher Blödsinn und eine dreiste Lüge ist – also das Spezialgebiet des Lobbyisten, der Internet-Filmchen von kleinen schwarzen Sklaven in Kobalt-Minen produzieren lässt, um umweltschonende Elektroautos zu diskreditieren. Als ein französischer Minister öffentlich exakt die Worte des Lobbyisten nachspricht, ist die Sache gewonnen. Politiker sind Sprechpuppen der Industrie. Mathias übernimmt nun für einige Millionen den Fall von Phytosanis. Dieser Gegner bekommt Charisma und Überzeugungskraft zugeschrieben, aber nie Sympathien: Nach einem weiteren Erfolg redet er in einer Bar über das Familien-Glück mit seiner Frau, kurz bevor er zu einer Prostituierten geht!

Regisseur Frédéric Tellier hat hier zwar mit Gilles Lellouche („Ein Becken voller Männer", „Kleine wahre Lügen") und Pierre Niney („Yves Saint Laurent", „Frantz") zwei starke Hauptdarsteller, er vermeidet aber eine Zuspitzung auf diese Konfrontation. Statt der üblichen überdramatischen Gerichtsszenen zeigt er uns ein breites Spektrum von Schicksalen in ausgewogener Montage: Da gibt es auch die Sportlehrerin, die zusätzlich zu ihrem Beruf in einer erschreckend automatisierten Fabrikhalle Gabelstapler fährt und sich für ein Verbot von Pestiziden einsetzt, weil ihr Partner, ein Zirkusartist mit kleiner Tochter, einst wegen ihnen schwer erkrankte. Parallel zum Kampf von Anwalt Patrick beginnt eine Gruppe von Aktivisten mit Aktionen gegen die Lobbyisten, die mit Schlägern reagieren. Mathias' Organisation, die sich extrem zynisch „Better world", „Bessere Welt" nennt, hetzt dem Gegner eine Steuerprüfung auf den Hals und lässt dessen ehemalige Freundin, eine Recherche-Journalistin, brutal zusammenschlagen. Gegen all diese Macht und Gewalt scheint der Fall verloren, bis sich eines der Opfer vor der Konzernzentrale öffentlich verbrennt...

Jede dieser Szenen, jede der Figuren von „Goliath" ist bis zum enorm ergreifenden Plädoyer für eine gerechtere und ehrlichere Welt exakt und packend. Frédéric Tellier gelingt die Überraschung, aus einem bekannten Thema mit klar abgesteckten Fronten einen durchgehend fesselnden Film ohne falsches Pathos zu machen.

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