30.8.22

Freibad


Deutschland 2021, Regie: Doris Dörrie, mit Andrea Sawatzki, Maria Happel, Nilam Farooq, 102 Min., FSK: 12

Mit Burka oder oben ohne? Die richtige Postleitzahl oder Hautfarbe? Das „Frei" in Freibad hat nichts mehr mit Freiheit zu tun, auch die kleine Flucht aus dem Alltag ist von Regeln und Kulturkämpfen überlagert. Die wunderbar kluge Autorin und Filmemacherin Doris Dörrie bringt dies und noch viel mehr in ihrer kunterbunten, trefflich besetzten und mit überraschender Tiefe am Beckenrand ausgestatteten Komödie „Freibad" unter.

Ein paar Beach Girls singen „Wouldn't it be Nice" - „wäre es nicht schön" - und die Utopie von Doris Dörrie („Männer", „Kirschblüten – Hanami", „Die Friseuse", „Grüße aus Fukushima") ist ein reines Frauenfreibad. Nur Frauen, aber ansonsten sehr divers und mit viel Körpervielfalt, was schon die Unterwasserkamera zeigt. Über der Wasserlinie und auf der Wiese zwischen bunten Liegetüchern und Sonnenschirmen viel Freude und Lachen. Bis die Kamera (Hanno Lentz, „Fabian oder Der Gang vor die Hunde", „Kirschblüten – Hanami") auf tragikomische Einzelheiten einzoomt.

Doch vorher noch eine „herrliche" Slapstick-Einlage, als eine bajuwarisch geifernde Polizei-Mannschaft probiert, ins Frauenbad einzudringen, weil eine Schlägerei gemeldet wurde. (Eine alte Idee aus dem Inspector Clouseau-Film „Ein Schuss im Dunkeln" von 1964, in dem Peter Sellers ein Nudisten-Camp und Elke Sommer observieren musste.) Entsprechend der gängigen Medienmeldungen werden sofort die türkischen Frauen mit Kopftüchern aufgesucht, die nach eigenen Angaben ihren Kindern mal eine Backpfeife geben, sich aber keineswegs geschlagen haben. Für neues Aufsehen sorgt ein schwarzes Schaf aus diesem „Clan": Yasemin (Nilam Farooq) schwimmt mit extrem sexy Burkini, der jede Körperkurve nachzeichnet, sportliche Bahnen und flucht über die Querschwimmerin Eva (Andrea Sawatzki).

Die intrigante Unruhestifterin, welche die Polizei rief, ist Gabi (Maria Happel). Die herrliche Karikatur der unerträglich bitteren Meckertante trägt selbst ein Kopftuch, aber das sei schließlich von Hermes. Gabi ist Teil des ungleichen Freundinnenpaars Eva und Gabi, die das Geschehen um sie herum böse, spitz und empört kommentieren. Wie Statler und Waldorf aus der Muppet-Show. Über allem wacht die schwarze Schweizerin Steffi (Melodie Wakivuamina) als Bademeisterin - auf den ersten Anschein resolut, doch sie vermeidet auch gerne Konflikte. Und von denen marschiert plötzlich ein ganzer heftig verschleierter Haufen ein. Die angeblichen Syrerinnen empören vor allem die ehemalige Feministin Eva, die bald den Busen blank zieht. Gabi verstummt, als die Anführerin der schwarzen Schar unter der Burka einen überaus schicken Prada-Badeanzug zeigt. Die Spannungen wachsen über mehrere Tage bis zu einer tatsächlichen Schlägerei, diesmal geschlichtet von einer Frauen-Mannschaft. Da dies Steffi zu viel ist, gibt es am nächsten Tag einen männlichen Bademeister – ein Sakrileg, das zu Streit, Streik und Ausmarsch aus dem Paradies führt.

Aber reden wir hier von Gender-Diskussion, wenn sich der einzige explizite Mann als aquatisches Wesen sieht? Und der andere – Transfrau oder Transsexueller nach Geschmack einsetzen – jeden Morgen lustvoll zwischen seinen Beinen die riesige Aufblaswurst seines Würstchenstandes aufbläst? Das ist umwerfend komisch, das lässt die Luft aus jeder aufgeblasenen Diskussion raus, das ist großer, kluger Humor würdig eines Ernst Lubitsch-Preises.

Aus dem Gesellschaftsquerschnitt, den so ein Freibad immer ist, macht Doris Dörrie in „Freibad" einen knallbunten Mikrokosmos unserer Befindlichkeiten. Mittendrin ein Kulturkampf um das Alter, die Religion, die Körper und das Bodyshaming, dazu locker flockige Sommerhits wie „Solo una parola" von der Crucchi Gang. Was auch wieder ein Cultural Clash ist, denn bei dem Projekt singen ja deutschsprachige Musiker ihre eigenen Songs auf Italienisch! In diesem Fall Francesco Wilking „Nur ein Wort" von „Wir sind Helden". Wenn die syrische Anführerin schließlich ihren Schleier fallen lässt, klingt es auf schönstem Schweizerdeutsch: „Ich hab' in Zürich studiert, ich shoppe in Paris und ich bade in Deutschland. Aber das Einzige, was sie immer wissen, ist immer nur der Schleier!" Mit viel Witz und Scharfsinn gibt es hier Vielfalt vor allem in den Themen – ein Segen im Deutschen Film. Dazu geht Plakatives direkt baden und die Perspektiven wechseln bei schönen Überraschungen. Eine passende Spaß-Antwort auf unendlich viele dogmatische und dumme Diskussionen. So passt „Freibad" zu Freigeist!